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Alt 06.04.2017, 13:13   #2
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heimkehrerin
 
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Ein mich sehr anrührendes Thema, liebe syranie,

denn die Abwärtsspirale von Isolation und noch mehr Essen mit "Entschädigungscharakter" ist ja weitreichend bekannt.

Das Essverhalten, das auf viel Fett und Zucker anspringt, liegt noch dazu auch als Gefahrenpotential in unserem genetischen Erbe der Steinzeitmenschen verankert. Bloß konnten die es sich unter den damaligen Lebensumständen nicht nur leisten - damals war das überlebensnotwendig.

Und so liegt vor allem im Titel deines Gedichtes, das ja weit mehr ist als eine bloße Aufzählung von Versuchungen, die Kernaussage, die das reichhaltige Buffet, das du für die "Isolierte" ausbreitest, unter dem richtigen Licht erscheinen lässt und macht den Leser betroffen.

Fett als Geschmacksträger ist nun mal immer noch für viele Köche das Nonplusultra und unsere Gaumen springen auch darauf an. Gemüsecremesüppchen, die gute Soße zum Braten mit Kruste, Panna Cotta oder Tiramisu - die wären ohne Fett nur halb so gut - und dann wäre der Belohnungscharkter, den Essen für so viele hat, beim Teufel. Wer schon mal "Low Fat" gekocht hat, weiß, dass das anfangs eine gewaltige Umstellung - vor allem für die Geschmacksnerven - ist. Dann erscheint beinahe als Bestrafung, was einem aber eigentlich gut täte. Ein Hürde, die noch schwerer zu nehmen ist, wenn ohnehin nur noch das Essen als einziges Vergnügen wahrgenommen wird.

Du nimmst dich hier eines Problems an, das in unserer Gesellschaft weit verbreitet ist und die Isolation derer, die nicht durchtrainiert und schlank mit Selfies glänzen können, wird auch noch verstärkt durch den extremen Fit- und Schlankheitswahn in der heutigen Gesellschaft.

Zitat:
"Alles ist im Lebensfluss"
ist für mich dann auch die stimmige Abschlussaussage - denn wenn Essen das Einzige ist, wo man sich noch lebendig fühlen kann, steckt man schon mittendrin im selbstschädigenden Suchtverhalten. Und genau das ist das Diabolische daran.

An dem Ausdruck "schlankes Stachelpaar" bin ich hängengeblieben und auch, wenn ich es nicht ganz fassen kann, spüre ich die vermutliche Absicht dahinter. Stachel, weil sie für den Dicken quasi ein Feindbild darstellen (das, was er nie sein wird und kann in seiner Vorstellung? Und was man an sich selbst als Mangel empfindet, muss man beim anderen dann (unbewusst) ablehnen? War das so gemeint?).

Sehr gerne gelesen und besonders gefällt mir, dass der erhobene Zeigefinger fehlt. Der Leser darf sich selbst aussuchen, ob er die Botschaft als "Mahnung" oder bloße Wahrnehmung einer gesundheitsgefährdenden Problematik interpretiert. Oder gar als überzeichnende Satire (sollte man gänzlich empathiebefreit sein).

Toll gemacht!

Lieber Gruß,
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"Du musst, wenn du unser Glück beschreiben willst,
ganz viele kleine Punkte machen wie Seurat.
Und dass es Glück war, wird man erst aus der Distanz sehen.”

― Peter Stamm, Agnes
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