Gedichte-Eiland

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Canberra 10.05.2012 13:16

Finsternis
 
Vernichtend schreit in mir der Kummer,
doch niemand holt mich hier heraus.
Ich prügle gegen schwarze Wände
und fühle mich nicht mehr zuhaus.

Und nachts hör ich die Dielen knarren,
wenn du die Tür ganz leise schließt.
Ich stell mir vor, es wäre Frühling
und dass du mich schlicht übersiehst.

Wenn Mama dann am nächsten Morgen
ganz fröhlich und zufrieden scheint,
dann bin ich ihr nicht wirklich böse,
ich weiß, dass ihre Seele weint…

Timo 10.05.2012 15:48

Liebe Canberra,
entschuldige, wenn ich den Text nicht ganz verstehe.
...Finsternis umgibt dich, wenn du nach Hause kommst?
... warum ist es nicht mehr dein ZuHause?
Ich stell mir vor, es wäre Frühling
und das du mich im Jetzt nicht siehst.von wem ist hier die Rede und warum willst du nicht gesehen werden?
... warum weint (Mama) ?
Herzlichst
Timo

ginTon 10.05.2012 17:32

hallo canberra,,

Ich finde das Gedicht gelungen. Ich lese aus dem Gedicht eine zerrüttete Familie, in der ein Familienmitglied also das "du" in der zweiten Strophe, andere Wege zu gehen scheint, ja sich sogar in das gemeinsame "zu Hause" hineinschleichen muss.

Weswegen und weshalb kommt in dem Werk nicht zum Ausdruck, muss aber auch nicht. Durch die Interpredationsoffenheit präsentiert
sich das Werk somit sehr gut..

Ganz klar kommt die Hellhörigkeit des LI zum Ausdruck, wahrscheinlich aus irgendwelchen Ängsten heraus...

Den Frühling stelle ich mir als Sinnbild für Gefühle vor, die scheinbar nicht mehr frei und fliegend sind sondern eine Umkehrung erfuhren..

in meinen Augen ein eindringlicher Text..LG gin


Zitat:

Vernichtend schreit in mir der Kummer,
doch niemand nimmt ihn aus mir raus.
Ich prügel gegen schwarze Wände.
Das ist nicht länger mein Zuhaus.

Ich höre, wenn die Dielen knarren
und du die Tür ganz leise schließt.
Ich stell mir vor, es wäre Frühling
und das du mich im Jetzt nicht siehst.

Wenn Mama dann am nächsten Morgen,
ganz fröhlich und zufrieden scheint,
dann bin ich ihr nicht wirklich böse,
ich weiß, dass ihre Seele weint…

Canberra 11.05.2012 14:26

Hallo euch zwein. :D

Danke erst einmal für eure Kommentare. Ich wollte schon vor längerer Zeit ein Gedicht über eine unglückliche Familie – speziell den Kindesmissbrauch - schreiben, aber alle meine direkten Versuche waren entweder zu flach oder misslungen. Daher habe ich eine subtilere Art verwendet, deren Interpretationsmöglichkeiten natürlich ganz weit gefasst werden können. Nicht anders habe ich es gewollt.

Zitat:

entschuldige, wenn ich den Text nicht ganz verstehe.
Nein. Das macht gar nichts. Gerade weil ich den Text so kurz und platisch geschrieben habe, ist er – denke ich – schwer zu verstehen.

Zitat:

Vernichtend schreit in mir der Kummer,
doch niemand nimmt ihn aus mir raus.
Ich prügel gegen schwarze Wände.
Das ist nicht länger mein Zuhaus.
Die erste Strophe beschreibt das Gefühlsleben des Lyrischen Ichs. Aus der dritten Strophe ergibt sich, dass es ein Kind sein muss. Es fühlt sich nicht mehr glücklich zuhause. Ist traurig, verzweifelt, aber kann der Situation nicht entkommen.

Zitat:

Ich höre, wenn die Dielen knarren
und du die Tür ganz leise schließt.
Ich stell mir vor, es wäre Frühling
und das du mich im Jetzt nicht siehst.
Die ersten beiden Strophen geben einem wenig in die Hand. Es geht offenbar um ein lyrisches Du, dass vielleicht am Kummer des Lyrischen Ichs schuld sein kann, weil das LI gerade auf das LD Bezug nimmt. Ich habe aber absichtlich nicht genau beschrieben, was das LD macht und wer es ist.

Die letzten beiden Verse stellen dann wieder das Gefühlsleben des LI dar. Wie es mit der Situation umgeht. Es stellt sich den Frühling um ihn herum vor. Der Frühling soll Freude, Licht, Erblühen, Lebenslust usw. symbolisieren. Offenbar existiert so etwas im Moment für das LI nicht. Dann wird aber wieder Bezug auf das LD genommen. Das hier ist eine der wenigen Stellen, wo man meines Erachtens nach den Kindsmissbrauch herauslesen kann, denn das LI wünscht sich, dass das LD es nicht sehen kann, weil es etwas macht, was das LI nicht will.

Zitat:

Wenn Mama dann am nächsten Morgen,
ganz fröhlich und zufrieden scheint,
dann bin ich ihr nicht wirklich böse,
ich weiß, dass ihre Seele weint…
In der letzten Strophe erkennt man dann, dass das LI ein kleines Kind ist, weil das Wort Mama eher kindlich benutzt wird. Hier nimmt das Kind dann Bezug auf die Schuld der Mutter, die eigentlich etwas an der Situation verhindern kann, es aber nicht tut. Das Kind weiß aber, dass die Mutter das nicht mit Absicht tut. Sie scheint eben nur glücklich in Wahrheit ist sie furchtbar traurig, weil sie so ohnmächtig ist.

Zitat:

Weswegen und weshalb kommt in dem Werk nicht zum Ausdruck, muss aber auch nicht. Durch die Interpredationsoffenheit präsentiert
sich das Werk somit sehr gut...
Genau. Ich wollte, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, das Gedicht zu interpretieren.

Zitat:

in meinen Augen ein eindringlicher Text
Danke.

Ich hoffe, das hilft. :D

Liebe Grüße. Canberra.

Thomas 11.05.2012 17:08

Hallo Canberra,

das Einzige, was ich an dem guten Gedicht verbesserungswürdig halte ist das 'im Jetzt', welches eine fast philosophische Spracheben ist, die gar nicht zu der 'Mama' in der nächsten Zeile passt. Vielleich ging 'im Licht', oder dass das ich nicht gesehen wird, weil es im Frühling etwas ganz Winziges ist?

Liebe Grüße
Thomas

Canberra 25.05.2012 14:52

Hi. :)

Ich verstehe dein Problem, aber "im Licht" wäre zu poetisch und würde inhaltlich nicht passen, da es um Finsternis geht. Als Alternativen fallen mir spontan ein:

Ich höre, wenn die Dielen knarren
und du die Tür ganz leise schließt.
Ich stell mir vor, es wäre Frühling
und dass du mich einfach nicht siehst.



Wobei die Betonung bei "einfach" schon arg gebeugt werden müsste.

...und dass du mich schlicht übersiehst.

Wäre glaub ich besser!?

LG. Canberra.

Thomas 25.05.2012 15:10

Hallo Canberra,

"und dass du mich schlicht übersiehst." finde ich gut, vielleicht ginge auch "und dass du mich nur übersiehst." Das "einfach" geht an dieser Stelle metrisch nicht, höchsten mit einer Inversion "und dass du einfach mich nicht siehst." welche jedoch das "mich" recht stark hervorheben würde.

Nochmals Anerkennung und Liebe Grüße
Thomas

Erich Kykal 25.05.2012 17:19

Hi, Canberra!

Vorschläge:

Zitat:

Zitat von Canberra (Beitrag 62189)
Der Kummer nagt an mir wie Ratten,
doch niemand nimmt sie aus mir fort. "aus mir raus" wirkt sprachlich unschön, ungelenk.
Ich schlage gegen schwarze Schatten. "prügle" besser als "prügel", aber hier eine andere Alternative.
Wie kein Zuhaus mehr wirkt der Ort, Hier ein elegantes Enjambement, das den Leser gleich zur 2. Str. überleitet.

wenn in der Nacht die Dielen knarren, Komma.
und du die Tür ganz leise schließt.
Ich träum', dass dich die Augen narren,
und du mich endlich übersiehst. Solltest du deine Version stehenlassen: "dass" hier mit Doppel-s.

Wenn Mama dann am nächsten Morgen Kein Komma.
ganz fröhlich und zufrieden scheint,
so weiß ich doch um ihre Sorgen. Besser Punkt hier vor der Conclusio.
Sie weiß, dass meine Seele weint…So herum erscheint es mir logischer.


Ich habe mir erlaubt, meine Tipps gleich in dein Zitat einzuarbeiten. Es spart Zeit und Mühen, und du hast gleich einen Eindruck von der anderen Wirkung der Stellen. Nimm, was dir brauchbar erscheint.
Ich habe mir auch erlaubt, einige Zeilen so zu ändern, dass ein durchgängiges Reimschema: ABAB entsteht. Entscheide selbst, on es deinen Intentionen entspricht.

Der Text ist inhaltlich okay, aber mit der Conclusio hab ich Probleme: Ein Kind weiß, dass es im Grunde ausgeliefert ist, aber von der eigenen Mutter erwartet es Schutz. Wenn die Mutter also Bescheid weiß und - aus Angst oder Egoismus (sie will den Typen nicht verlieren, weil sie ihm hörig ist) - ihre Tochter nicht davor bewahrt, wird das Kind - spätestens wenn es groß ist und die Lage besser überblickt - der Mutter sehr wohl SEHR böse sein!!!

Der Verrat eines solchen, ja des allerengsten überhaupt denkbaren Vertrauensverhältnisses ist fast noch vernichtender als der Missbrauch selbst! Das Kind wäre zutiefst enttäuscht von der Mutter und würde sich bald von ihr distanzieren.

LG, eKy

Canberra 05.06.2012 00:19

Hallo Erich,

Danke für deine Mühe mit meinem Text. Ich habe ihn mir mal vergleichend durchgelesen und mir gefallen einige deiner Stellen sehr gut. Aber ich werde nicht alles übernehmen – Dichterstarrsinn.

Zitat:

Der Kummer nagt an mir wie Ratten,
Dieser Vers ist mir zu zaghaft. Vernichtend vorangestellt symbolisiert direkt das Absolute. Dass es keine Rettung gibt.

Zitat:

doch niemand nimmt sie aus mir fort.
Wie kein Zuhaus mehr wirkt der Ort,
Der Reim mit fort und Ort gefällt mir.

Zitat:

wenn in der Nacht die Dielen knarren,
und du die Tür ganz leise schließt.
Ich träum', dass dich die Augen narren,
und du mich endlich übersiehst. Solltest du deine Version stehenlassen: "dass" hier mit Doppel-s.
Zitat:

so weiß ich doch um ihre Sorgen. Besser Punkt hier vor der Conclusio.
Sie weiß, dass meine Seele weint…So herum erscheint es mir logischer.
Mag sein, dass es auch so logisch ist. Aber das Gedicht soll in erster Linie darstellen, dass die Mutter absolut nichts gegen den Missbrauch ihrer Tochter tun kann, weil sie zu unselbstständig, zu unterwürfig und zu ängstlich ist. Sie würde gerne, weil sie weiß wie ihre Tochter leidet. Daher weint sie auch innerlich, spielt aber allen anderen – z.B. den Nachbarn – die heile Welt vor. Die Tochter müsste sich eigentlich von ihrer Mutter verraten fühlen, denkt aber, dass die Mutter genauso wenig gegen den Vater tun kann wie sie. Das Kind sieht ihre Mutter ebenso in der Rolle des Opfers und ist ihr daher auch nicht böse, dass sie nichts unternimmt. So in etwa hab ich mir das vorgestellt.

Zitat:

spätestens wenn es groß ist und die Lage besser überblickt - der Mutter sehr wohl SEHR böse sein!!!
Das denke ich auf jeden Fall auch. Aber durch das Wort „Mama“ wollte ich darstellen, dass das Kind noch sehr klein ist, vielleicht sieben oder sechs. Es hat noch nicht die Tragweite der Reflexion, die eine Sechzehnjährige an den Tag legt, die dann gewiss ihre Mutter hassen wird, wenn sie sie nicht beschützt.

Die neue Version würde dann so aussehen:

Vernichtend schreit in mir der Kummer,
doch niemand nimmt ihn aus mir fort.
Ich prügle gegen schwarze Wände.
Wie kein Zuhaus wirkt dieser Ort,

wenn in der Nacht die Dielen knarren,
und du die Tür ganz leise schließt.
Ich stell mir vor, es wäre Frühling
und dass du mich schlicht übersiehst.

Wenn Mama dann am nächsten Morgen
ganz fröhlich und zufrieden scheint,
dann bin ich ihr nicht wirklich böse,
ich weiß, dass ihre Seele weint…

Danke für deine Gedanken. Liebe Grüße. Canberra.

Thomas 05.06.2012 08:28

Liebe Canberra,

ich halte deine ursprüngliche vierte Zeile 'Das ist nicht länger mein Zuhaus.' für viel besser und stärker als die jetzige, welche zwar gut klingt, aber durch den 'Ort' der nur 'wirkt' meiner Meinung nach emotional viel schwächer ist. Auch das 'Ich höre' am Anfang der zweite Strophe finde ich viel stärker und würde es stehen lassen. Vielleicht könnte man das Problem in der zweiten Zeile so lösen: 'doch niemand hilft, holt mich heraus.' Das 'mich' bekäme Betonung, aber es würde trotzdem in der zweiten Zeilenhälfte der Hilferuf 'Holt mich heraus!' anklingen.

Liebe Grüße
Thomas


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