Gedichte-Eiland

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Falderwald 17.10.2015 19:29

Requiem auf eine Divergenz
 


Requiem auf eine Divergenz


Oh, Konfusion, du Federtrieb des Lebens,
du Irrwisch, der im Durcheinander steckt,
stets warst du ein Gespinst geträumten Webens
und meines Chaos’ Synergieeffekt.

Ich fasste einmal hinter meiner Stirn kurz
dem WG-Tarium aus Wahn und Qual
ins Klo und fand dort nur den kleinen Hirnfurz
der mainstreamangepassten Scheinmoral.

Solch Sockenpuppe stank nach Nuttendiesel,
Schmecktakel pur, vom Allerfeinsten, doch
versank dabei mein Weltbild mit Geriesel
in eines Popcorn-Kinos Sommerloch.

Die Lichtspielbühne war ein Eulenspiegel
und im Reflektorzentrum stand mein Narr,
der pfiff nur noch auf einem Lungenflügel
vom Arschgeweih bis zum Gesichtskatarrh.

Verstörend spielte dieser Lichtableiter
romantisch seine Rolle in dem Stück,
er schiss Klischees von seiner Hühnerleiter
und hielt dies für sein größtes Dichterglück.

Vom Augenkrebs gepeinigt rief ich böse:
Hier, Staatstrojaner, endet alle Not!
Denn vom Ohrgasmus in der Truckermöse
kann niemand leben und ich schlug ihn tot.

Und nun erschaffe ich ihm eine Büste
fürs Grab mit einer Platte, darauf steht:
Auf Sextourismus in der Servicewüste,
hier ruht mein unverstandener Poet.


Falderwald
. .. .



Marzipania 18.10.2015 05:50

Ganz große Klasse!
Und so schön böse, originell und - wahr.
Schon die Ansprache "oh, Konfusion ... lässt mich aufhorchen, ein Interesse, das bis zum Ende des Gedichts in keinem Augenblick erlahmen wird, genährt durch herrliche Neologismen wie "WG-Tarium", "Schmecktakel" und den nicht minder treffsicheren "Ohrgasmaus."
Wunderbar auch die (teilweise) wütende Leidenschaft, die den Text durchtränkt.
Kurzum: 100 von 100 Punkten.
Zitat:

Requiem auf eine Divergenz


Oh, Konfusion, du Federtrieb des Lebens,
du Irrwisch, der im Durcheinander steckt,
stets warst du ein Gespinst geträumten Webens
und meines Chaos’ Synergieeffekt.
Aktueller, ökonomiegeprägter Sprachgebrauch ("Synergieeffekt") mischt sich hier mit einem tänzelnden Irrwisch, dem Traum, dem Wunschdenken: die Entwicklung vom Wunderlichen zum Wunderbaren hin.

Zitat:

Ich fasste einmal hinter meiner Stirn kurz
dem WG-Tarium aus Wahn und Qual
ins Klo und fand dort nur den kleinen Hirnfurz
der mainstreamangepassten Scheinmoral.
Kann dieser Abschied von einer Globalisierung jedweden Denkens überhaupt gelingen? Falls ja, auf welche Weise? Ist es dem Einzelnen überhaupt möglich?


Zitat:

Solch Sockenpuppe stank nach Nuttendiesel,
Schmecktakel pur, vom Allerfeinsten, doch
versank dabei mein Weltbild mit Geriesel
in eines Popcorn-Kinos Sommerloch.
Hach, jetzt taucht die Sockenpuppe auf, mein kleiner Liebling. :) -
Denn wenn das Weltbild ein nüchternes ist, sei es nun saisonbedingt oder überhaupt, wird das Püppchen wenig ausrichten. Besonders wenn es mit Diesel betankt wird. :D:cool:

Zitat:

Die Lichtspielbühne war ein Eulenspiegel
und im Reflektorzentrum stand mein Narr,
der pfiff nur noch auf einem Lungenflügel
vom Arschgeweih bis zum Gesichtskatarrh.
Es folgt die Phase der Einsicht: Alles Scheiße, zumindest aber umsonst. Für lau gedacht, für lau gesagt.

Zitat:

Verstörend spielte dieser Lichtableiter
romantisch seine Rolle in dem Stück,
er schiss Klischees von seiner Hühnerleiter
und hielt dies für sein größtes Dichterglück.
Dies muss den Dichter naturgemäß verstören. Denn die Welt weist ihm
a) den Rücken und
b) ein Plätzchen im Obdachlosenasyl zu.

Zitat:

Vom Augenkrebs gepeinigt rief ich böse:
Hier, Staatstrojaner, endet alle Not!
Denn vom Ohrgasmus in der Truckermöse
kann niemand leben und ich schlug ihn tot.
Das Schlimmste aber bleibt, dass der Verlust an Sprache, Sinn und Lust, an Mannigfaltigkeit und Kunst ein allgemeines Phänomen ist. Dass im www
viel weniger Platz dafür ist als in einem kleinen Apartment.

Zitat:

Und nun erschaffe ich ihm eine Büste
fürs Grab mit einer Platte, darauf steht:
Auf Sextourismus in der Servicewüste,
hier ruht mein unverstandener Poet.
Jetzt erscheint das Resumee, die Bitternis des Wissenden:
Nur in der Ironie ist Überleben möglich.

Offen bleibt die Rolle des Anklägers selbst, der einerseits aktiver Teilnehmer des Spiels ist, andererseits durch sein Reflektionsvermögen gleichsam über der schnöden Realität schwebt.
Für mich in großArtiges Gedicht, mit dem ich mich ausgesprochen gern beschäftigt habe.
LG
Marcy

charis 18.10.2015 09:12

Hallo Federwald

Ich bin beeindruckt, welche Wortgewalt!
Als hätte Odin himself Falderwalds Feder geführt!

Sehr gerne und amüsiert (aber auch betroffen) gelesen.

Lieben Gruß
charis

Falderwald 19.10.2015 18:21

Hi Marcy,

wow, ich bin begeistert von deiner Analyse der einzelnen Strophen, auch wenn da zwischen den Zeilen noch ein wenig mehr transportiert wird.

Zum Schluss fragst du nach der Rolle des Anklägers, der an diesem Spiel teilnimmt.
Wenn man es genau nimmt, dann ist er ja nicht nur Ankläger, sondern auch Richter und Scharfrichter in einer Person und das Witzige dabei ist, dass er auch noch den eigenen Delinquenten abgibt, zumindest ein gewisser Teil von ihm.

Ich sag mal so, wir reden immer über die schöne Lyrik und die getragenen Worte, wir beschreiben die Welt mit Wortbildern, wählen Metaphern und Floskeln, kleiden alles in schöne Sätze und Konstruktionen und vermitteln dabei das Bild einen heilen Welt voll Liebe, Romantik und sogenannter "ästhetischer Lyrik".

Dabei ist die reale Welt eigentlich ganz anders. Es herrscht Chaos und Anarchie in der Natur, ihr fehlt jegliche Moral und Vorstellung von Recht und Ordnung, kurz gesagt, sie ist ein freier und ungebändigter, aber unbewußter Wille, der agiert und die Bedingungen vorgibt.

Und so verhält es sich auch mit dem Protagonisten, der es leid ist, sich mit Liebe, Romantik und Friede, Freude, Eierkuchen zufrieden zu geben, weil er eben einen ganz anderen Blick auf die Welt werfen musste.
Da bleibt dann nicht mehr viel Schönes übrig.
Er resigniert, denn dieser Teil musste sterben, so sehr sich jener auch dagegen zu Wehr setzen wollte.

Manchmal braucht es da eben exzentrische Wortspiele, um die Sockenpuppe zu entlarven...;)

Vielen Dank für deine ausführliche Beschäftigung mit diesem Text...:)


Servus charis,

ich bedanke mich für die lobenden Worte und den schmeichelhaften Vergleich.
Schön, dass dir der Text gefallen konnte. :)

Ein Dank für die positive Rückmeldung...:)


Ich bedanke mich für eure Antworten...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald



Marzipania 20.10.2015 05:19

Moin, Moin,
klar, geschätzter Falderwald, hat dieses Gedicht mehrere Bedeutungsebenen - sonst gefiele es mir gar nicht. :p
In einer ordentlichen Analyse müssten noch ganz andere Dinge zu Sprache kommen [Form und Gattung, die (genauere) Kommunikation im Gedicht, genauere Betrachtung der Sprache, die Dinge, die über den Text hinausweisen und, und und ...]. Mein Eindruck ist jedoch, dass das Interesse an solchen Überlegungen hier nicht sonderlich groß ist. Unlängst - du weißt davon - verglich mich eine Userin bereits mt einem Terrier, nur weil ich auf korrekter Rechtschreibung, Rhythmus und Takt beharrte. :rolleyes:;)
Na ja. - Es freut mich aber, einige Arbeiten von dir gelesen und zusätzlich eine der schmucken Kykal-Bibeln erstanden zu haben.
Dir alles Gute
Marzipania

Falderwald 28.10.2015 18:03

Moin Marzipania,

entschuldige meine verspätete Antwort, aber ich hatte die letzten Tage eine Menge andere Dinge um die Ohren, auch persönliches, so dass meine Zeit begrenzt war.

Ich erwarte von einem Kommentar ja gar nicht die Aufschlüsselung aller Bedeutungsebenen, du hast das doch sehr schön gemacht und ich war damit zufrieden.

Ebenfalls erwarte ich auch keine Analyse der Form, denn das dieser Text im 5-hebigen Jambus mit abwechselnd weiblichen und männlichen Kadenzen im Kreuzreim in sieben vierzeiligen Strophen daherkommt, müsen wir uns ja hier nicht mehr erzählen.

Das hat rein gar nichts mit Desinteresse zu tun, aber offensichtliche Dinge müssen ja nun wirklich ab einer "bestimmten Ebene" nicht mehr haarklein erörtert werden. Textarbeit ist allerdings dennoch willkommen. Kein Text ist perfekt und wenn es sprachliche Schwierigkeiten zu überwinden oder bessere Ausdrücke zu finden usw. gilt, sollte dies eigentlich im Interesse eines jeden Dichters liegen, darüber nachzudenken, vielleicht doch noch einmal dementsprechend an seinem Text zu feilen.

Und wenn er das nicht tun will, dann macht er es eben nicht. Die Gedanken und die Diskussion darüber aber ist angeregt.

Zitat:

Unlängst - du weißt davon - verglich mich eine Userin bereits mt einem Terrier, nur weil ich auf korrekter Rechtschreibung, Rhythmus und Takt beharrte.
Die ist aber nun nicht mehr da und ich schrieb dieser im entsprechenden Faden, dass auch der Terrier einen Grund hat, wenn er zu bellen anhebt. ;)

Du erinnerst dich?


Vielen Dank für die erneute Rückmeldung...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald




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