Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 30.08.2013 01:29

Besitzergreifend
 
Du sagst, du lebst nur für mich und verschließt alle Türen,
denn du wüsstest viel besser als ich, was gut für mich sei.
Mit Engelsgeduld brichst du all meine Träume entzwei,
erwürgst meine Zukunft mit Güte, erstickst meinen Schrei
mit gut gespieltem Verständnis und heiligen Schwüren.

Du schenkst mir dein Lächeln und fragst mich: Ist das denn nichts?
Beteuernd, du liebst mich, musst du mich dennoch besetzen,
als hätten wir Krieg. Du wolltest mich niemals verletzen,
und atmest doch, trunken von Macht, was von meinem Entsetzen
sich flüchtig verfängt im Verdunkelten deines Gesichts.

Hans Beislschmidt 09.09.2013 20:39

Hey Erich,

es ist mir schon bei „Unterschwellig“ aufgefallen, dass du Sprachduktus und Reimschema veränderst - ebenso wie eine erkennbare daktylische Vorliebe. Die Aussage kommt nun unverbrämter daher, wirkt weniger wie eine Kunstsprache und das tut dem Anspruch der gesellschaftskritischen Thematik gut. Ein neuer Eky?

Den sprachlichen Hinweisen zufolge, geht es um ein Mutter-Kind Verhältnis. Es gäbe psychologisch und auch soziologisch so viel zu sagen über das „moderne“ Mutterrollenbild. Spontan fällt mir die Allzweckmutti ein, die schon eine halbe Stunde vor Kindergartenschluss auflauert, um noch den neuesten Balletttratsch auszutauschen. Wie oft hab ich diese Wohlstandsmammis gesehen.

"Wenn Du noch eine Mutter hast, so danke Gott und sei zufrieden", dichtete schon Kaulisch vor 150 Jahren . Aber das sprichwörtliche Lobeslied wird zur Qual, wenn „Kind“ durch Hubschrauberfürsorge vergewaltigt wird - bzw. produziert schwere Verhaltensstörungen, wie Beziehungsunfähigkeit usw.
Politisch heißt das Übel „deutsches Hausfrauenmodell“, dem die Unionspolitiker immer noch nacheifern. Ihr ist es mit anzulasten, dass hochneurotische Mütter ihren Kindern vom Kindergarten bis zur Hochzeit sämtliche Entscheidungen abnehmen wollen – und sich unentbehrlich machen – sich einfach nicht „entkinden“ können. Welch ein tragischer Irrtum.
Bezeichnenderweise gibt es aber auch Kinder, die sich nicht „entmuttern“ können – eine ödipale Tragödie.

Gut in Sprache gesetzt.

Gruß vom Hans

p.s. in einer Biographie habe ich über Rilke und seines von Schuldgefühlen geprägtes Verhältnis zur Mutter gelesen. Ziemlich krank.

Erich Kykal 09.09.2013 22:16

HI, Hans!

Sehr gute Analyse! Wiewohl sie durchaus Bestand hat aus ihrer Lesart heraus, stand mir bei diesem Gedicht jedoch ein von einem Partner dominiertes eheliches Verhältnis vor Augen, in diesem Falle ein Mann, der seine Frau (das LyrIch) eifersüchtig bewacht, kontrolliert, manipuliert, sie unfrei macht und abhängig, ein Kontrollfreak, der sein labiles Selbstwertgefühl über die Macht definiert, die er über den anderen ausübt.

Aber ich möchte deine Sicht ebenso gelten lassen - das Gedicht definiert die Protagonisten ja nicht genau, also hat auch diese Sichtweise ihre Berechtigung!
Vielen Dank für diese neue Facette an diesem Bilde!:)

Der Stil ist nicht explizit neu - ich habe (sehr) früher auch schon so geschrieben ("Unterschwellig" ist ja auch ein älteres Werk, nur kürzlich neu be- und überarbeitet...). Erst in den letzten Jahren raffinierte sich meine Sprache - vor allem durch die zahlreichen Sonette und mein Faible für das ältere Deutsch - zu diesem Duktus, der vielen mitunter leicht verstaubt erscheint.:D
Ich lege die Ausdrucksform ja nicht vorher fest - das Gedicht "entschlüpft" mir, wie es will - die Form generiert sich selbst aus Stimmung und Gedankengut zum Zeitpunkt des Dichtens. Von Daktylus usw. hab ich wenig Ahnung, und beim Schreiben denke ich da auch ganz sicher nicht dran. Nur das Gefühl - und meist die erste Zeile - lenken die sich ergebende Form...

Danke für deinen Kommi!

LG, eKy

PS: Rilkes Mutter erzog ihn die ersten Lebensjahre als Mädchen und kleidete ihn auch so. Das allein sollte schon für lebenslange Komplexe gesorgt haben und wirft ein deutliches Licht auf den Grad der Realitätsbezogenheit und -verankerung dieser Dame!!!

Dana 13.09.2013 18:07

Lieber eKy,

ich las dein Gedicht und dann den Kommentar von Hans. Fast beschämt stellte ich fest: "Oh, das hätte ich doch nicht erkannt."
Dann las ich deine Antwort und atmete auf. Ein kleiner Unterschied in der Analyse war zwar da - ich sah ein eheliches Verhältnis, die "Raffinesse" der holden Gattin und hatte Mitleid mit dem Herren.;)

Gerade die verschiedenen Sichtweisen machen die Qualität deines Gedichtes aus - einfach ergreifend.

Liebe Grüße
Dana

Erich Kykal 13.09.2013 19:30

Hi, Dana!

Ja, auch so rum wäre möglich. Man sollte derlei immer anpassungsfähig gestalten, damit jeder das Seine hineindeuten kann!:)

LG, eKy


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