Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 28.05.2018 18:11

Seelenverkäufer
 
Den Bug zerschunden von den Kollisionen,
die keinen stören, fährt das Narrenschiff
mit allen, die es wie ein Volk bewohnen
und sich verschaukeln lassen, Richtung Riff.

Der Mann am Steuer sieht den Kurs verschwommen,
die Brille in der Hand, doch in Gedanken.
Der Maschinist erbricht sich, liegt benommen
von Abgas hustend auf den morschen Planken.

Der Ausguck schreit sich unablässig heiser,
doch niemand hört auf ihn, den Ungelenken.
Zur Nacht erst wird er endlich etwas leiser -
Gefahr kann jeder sich ins Dunkel denken.

Und die Matrosen spielen trunken Fangen
mit irgendetwas, das sie kaum erkennen,
und alle Lieder, die sie früher sangen,
verschweigen sie, wo sie vor Geilheit brennen.

Bei voller Fahrt lässt man den Anker fallen
und wettet lüstern, wann die Kette bricht,
und während Gläubige von Eden lallen,
verbirgt ihr Gott beschämt sein Angesicht.

Thomas 28.05.2018 18:31

Lieber Erich,

eine eindrucksvolle Beschreibung des Narrenschiffs. Die Zeile "doch niemand hört auf ihn, den Ungelenken" scheint mir nicht optimal, kann es aber nicht begründen. Das Schlussbild des beschämten Gottes ist fast rührend.

Liebe Grüße
Thomas

Chavali 28.05.2018 19:49

Lieber Erich,

beschreibst du wirklich das Buch *Das Narrenschiff* von Sebastian Brant?

Mir scheint, es könnte auch ein Gleichnis sein.

Super gemacht!

LG Chavali

Erich Kykal 28.05.2018 21:25

Hi Thomas, Chavi!

Das Buch "Narrenschiff" kenne ich nicht, das gleichnishafte Bild sehr wohl. Ich schrieb dies als Gleichnis auf eine träge, politikfaule Gesellschaft oder korrupte politische Ordnung (oder eigentlich ja: Unordnung).

Der Kurs eines Landes/Staates, mit dem Präsidenten oder Potentaten als Steuermann, das Volk als Mannschaft oder Passagiere, die Wirtschaftsbosse als Heizer und Maschinisten, und die wenigen Weisen im Ausguck, auf die aber nie jemand hört ... :Aua

Vielen Dank für euer freundliches Echo! :)

LG, eKy

Chavali 29.05.2018 09:32

Lieber Erich,

ich weiß nicht, ob Thomas auch das *Narrenschiff* meinte?
Zitat:

Zitat von Thomas
eine eindrucksvolle Beschreibung des Narrenschiffs.

Deshalb fragte ich dich, ob dein Text eine Bedichtung desselben wäre ;)
Da hatte ich doch den richtigen Riecher:
Zitat:

Zitat von Ch.
Mir scheint, es könnte auch ein Gleichnis sein.

und wie du schreibst, ist es ja auch so.
Ich hätte noch dazu schreiben können:
unserer Gesellschaft - aber ich wollt mich nicht blamieren, falls es nicht so
gewesen sein sollte :o

Gern nochmal gelesen!
LG Chavi

juli 29.05.2018 09:39

Hi eKy,

Dein Gedicht erinnert an Staaten, die zu viele alte Menschen als Volk haben. Der demographische Wandel wird verleugnet, es wird einfach so weitergemacht wie immer. Das Schiff ist der Staat. Auch ich finde die letzte S. für mich am Eindringlichsten. Der beschämte Gott dreht sich weg...

Auch ist mir noch ein anderes Bild sofort bei deinem Gedicht in den Kopf geschossen.

Das Schiff: Black Pearl und deren Phantomkapitän : David Jones, der eine Untotenmannschaft regiert. Fies gesagt gibt es schon solche Staaten in Südamerika. Ich hoffe, und ich weiß, dass ich egoistisch bin, dass wir hier mit unseren Staatenschiffen noch eine Weile auf ruhigeren Gewässern schippern.

Ich hoffe die Black Pearl ist nicht zu weit hergeholt.

Sehr gerne kommentiert von ju

Erich Kykal 29.05.2018 14:37

Hi Juli!

Die "Black Pearl" ist das Schiff von Käpt'n Jack Sparrow. Davy Jones fährt den "Flying Dutchman" - den Fliegenden Holländer. ;)

Das mit den alten Leuten mag ein Detail sein, aber es ist die Weltgemeinschaft insgesamt, die blind oder sehenden Auges in den Untergang steuert. Und dank egomanischer Lokalinteressen, Kleinstaaterei und unversöhnlicher politischer oder religiöser Systeme kann niemand das Ruder herumreißen, weil alle nur über den Kurs streiten, oder welche Farbe der Schornstein haben sollte ... :Aua:rolleyes:

Traurig.

LG, eKy


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