Gedichte-Eiland

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Chavali 10.11.2012 15:47

Scherenschnitt
 
Dem Schatten gleich seh ich dein Angesicht,
verborgen sind Gefühle und Gedanken,
die sich um Werden und Vergehen ranken
und das von Endlichkeit des Lebens spricht.

Verloren ist der Jugend heitre Fülle,
vergessen ist des Sommers Sonnenziel.
Du lebst in einer wunderbaren Stille
und in der Taubheit zeichenvollem Spiel.

Nur Winterweiße liegt an deiner Seite,
die kahlen Bäume zeigen ihre Krone.
Ein tiefer Kälteatem bleibt zum Lohne,
seit Herbststurm euch dereinst entzweite.




Version II
(Bearbeitung Thomas)


Den Schatten sehe ich in dein Angesicht
(verborgen sind Gefühle und Gedanken,
die sich um Werden und Vergehen ranken)
der von der Endlichkeit des Lebens spricht.

Verloren ist der Jugend heitre Fülle,
vergessen ist des Sommers Sonnentraum.
Du lebst in einer wunderbaren Stille
und in der Taubheit zeichenvollem Raum.

Nur Winterweiße liegt an deiner Seite,
wo kahle Bäume ihre Kronen zeigen.
Ein tiefer Kälteatem bleibt - und Schweigen -
seit euch der Herbststurm einst entzweite.

Erich Kykal 10.11.2012 16:56

Hi, Chavi!

Schön und düster zugleich!

2 Peanuts:

Der Wechsel des Reimschemas in S2 (kein Fehler, mir gefiele es hier angesichts der Gravitas der Thematik bloß besser, wenn auch S2 ABBA wäre).

Der fehlende Heber und der Schreibfehler in der allerletzten Zeile:

"als Herbstesstürme euch entzweiten." - Bei Herbstesstürme muss das "n" dran! Um den Reim nicht zu beschädigen, kannst du aber das Subjekt ändern.
Daher:
"als Herbstgestürme euch entzweite." - Zum nächsten Fehler: Die Zeit! Die ganze Str. ist in Gegenwart, die letzte Zeile in Mitvergangenheit. An sich möglich, bloß das Wörtchen "als", das hier Gleichzeitigkeit impliziert, dürfte nicht hier stehen.
Daher:
"weil (oder "da") Herbstgestürme euch entzweite." - Das wäre nun zwar richtig formuliert, indes, die Zeile hat einen Heber zu wenig, nur 4 statt der hier nötigen 5!
Daher:
"weil(da) nacktes Herbstgestürme euch entzweite." (Du kannst natürlich ein anderes Adjektiv wählen, Hauptsache, die Metrik stimmt wieder.)

Sehr gern gelesen!

LG, eKy

Antigone 11.11.2012 07:44

Scherenschnitt
 
Hallo Chavali,

der Scherenschnitt impliziert immer Schwarz und Weiß. Das drückt das Gedicht aber nicht aus. Besser wäre hier wohl: Schattenspiele.

In S1V3 fehlt unbedingt das Komma (eingeschobener Nebensatz), denn sonst würde sich V 4 auf 2 und 3 beziehen, tut es aber nicht, sondern führt den Hauptsatz von V1 weiter.

In S2V4 muss es richtig heißen: "zeichenvollen Spiels" (Genitiv). Hast du Schwierigkeiten mit dem Reim "Sonnenziel" (finde ich nicht besonders geglückt, nebenbei). Und obwohl die Umgangssprache zum Dativ tendiert, würde ich ihn auf keinen Fall literarisch benutzen. Wie ich schon mal schrieb, besitzt die lyrische Sprache eine starke Differenz zur Umgangssprache.

In der letzten Verszeile fehlt tatsächlich das Plural-"n" bei entzweite. Hat natürlich keinen Sinn, es wegzulassen um des Reimes willen: Seite - entzweite, wird ja doch bemerkt. Dann geht aber der Reim nicht auf.
"Herbstgestürme" wäre in der Tat die einzige Möglichkeit, in jedem Fall Singular.

Abgesehen davon, gefällt mir das Gedicht aber. Mit der Einschränkung, dass
das alte Gesicht nicht nur vom Verlust gekennzeichnet ist (das würde dem Jugendwahn entgegenkommen), sondern mehr noch von Lebenserfahrung, von Reife, es ist gezeichnet von gelebtem Leben, was eher Plus ist als Minus.

Lieben Gruß
Antigone

ginTon 11.11.2012 16:45

hallo chavilein,

mir gefällt der Text,

Zitat:

Dem Schatten gleich seh ich dein Angesicht,
verborgen sind Gefühle und Gedanken,
die sich um Werden und Vergehen ranken
und das von Endlichkeit des Lebens spricht.
die Gegenüberstellungen der ersten Strophe finde ich sehr gut...

Zitat:

Nur Winterweiße liegt an deiner Seite,
die kahlen Bäume zeigen ihre Krone.
Ein tiefer Kälteatem bleibt zum Lohne,
als Herbstesstürme euch entzweite.
auch diese Strophe finde ich gut, vllt in der letzten Zeile "als Herbststürme euch nachts entzweiten" oder ähnlich, selbst mit dem Reim wäre es ok, da die Stammsilbe die gleiche bleibt...

beim Reimschema trennst du erste und letzte Strophe vom mittleren Teil ab, was ich immer gut finde, so ergibt das Ganze einen Anfang und ein Ende und den dazugehörigen abweichenden Mittelteil...

insgesamt ein wirklich feines Gedicht, hat mir gefallen :)

liebe Grüße ginnie

Chavali 11.11.2012 16:51

Hallo Erich,

danke für deine schnelle Rückmeldung, hatte sie gestern schon gelesen :)
Zitat:

Der Wechsel des Reimschemas in S2 (
Das war Absicht, hätte natürlich auch einen abab Reim hinbekommen ;)
Ich wollte damit die Unwägbarkeit des verbleibenden Lebens ausdrücken.
Zitat:

Der fehlende Heber und der Schreibfehler in der allerletzten Zeile:
Da muss ich mal schauen. Sicher kann (und sollte) hier der Plural stehen, dennoch erlaubte ich mir des Reimes wegen diese kleine Freiheit.
Da es aber anscheinend sehr stört, werde ich eine andere Lösung finden.
Du hast ja schon eine kleine Lösungshilfe gegeben.
Zitat:

Schön und düster zugleich![...]Sehr gern gelesen!
Das freut mich und ich danke dir nochmals.


Hallo Antigone,
Zitat:

der Scherenschnitt impliziert immer Schwarz und Weiß.
Das ist klar.
Das drückt das Gedicht aber nicht aus.
Wieso nicht? Liegt das nicht am Betrachter?
Besser wäre hier wohl: Schattenspiele.
Das mag sein, mir gefällt aber der Titel - für mich stimmig.
habe mal meine Antworten für den ersten Teil deiner Kritik blau eingefärbt.
Ich hoffe, du akzeptierst das :)
Zitat:

Hast du Schwierigkeiten mit dem Reim "Sonnenziel"
(finde ich nicht besonders geglückt,
Nun, ich finde, das ist ein wunderbares Wort, um die Freuden des Lebenssommers auszudrücken.
Ich hätte auch einen anderen Begriff nehmen können,
aber das war zuerst da und daraufhin suchte ich nach einem Reimwort.
Zitat:

In S2V4 muss es richtig heißen: "zeichenvollen Spiels" (Genitiv).
Dass hier der Genitiv genommen werden kann, ist richtig, ich entschied mich aber für den 3.Fall und der
ist auch nicht verkehrt, dichterisch-freiheitlich eben ;)
Zitat:

In der letzten Verszeile fehlt tatsächlich das Plural-"n" bei entzweite.
Das stimmt, habe den Passus schon in der Antwort an Erich oben erklärt.
Zitat:

das alte Gesicht nicht nur vom Verlust gekennzeichnet ist (das würde dem Jugendwahn entgegenkommen), sondern mehr noch von Lebenserfahrung, von Reife, es ist gezeichnet von gelebtem Leben, was eher Plus ist als Minus.
Auch damit hast du recht - was aber der Intention meines Textes widerspricht.

Zitat:

Abgesehen davon, gefällt mir das Gedicht aber.
Schön, das freut mich.
Danke für den Kommentar und die interessante Aufzeigung der Möglichkeiten,
wie man den Text auch anders abfassen könnte.
Was ich davon verwende, schau ich mal.


Lieben Gruß an euch beide!
Chavali




EDIT:

hui ginnie,

dein Kommi ist dazwischen gerutscht - scheinbar, als ich meine Antwort schrieb :o

Hab vielen Dank für deine positive Rückmeldung!
Zitat:

beim Reimschema trennst du erste und letzte Strophe vom mittleren Teil ab, was ich immer gut finde,
so ergibt das Ganze einen Anfang und ein Ende und den dazugehörigen abweichenden Mittelteil...
Schön, dass dir das Stilmittel zusagt und die letzte Zeile in S3 habe ich ein wenig verändert,
damit der Reim zu Seite in S4Z1 passt ;)

Freut mich!

Lieben Gruß auch an dich
chavi
:)




Falderwald 14.11.2012 21:15

Hi Chavi,

dieses Gedicht gefällt mir trotz oder gerade wegen seiner Düsternis sehr gut.

Und deshalb auch vorweg, was mir nicht gefällt: "Herbstessturm".

Ich könnte mir vorstellen, daß auch du nicht ganz so glücklich mit dieser Formulierung bist.

Aber ich hätte da einen nur unmerklichen Änderungsvorschlag für dich, denn du gerne übernehmen magst, wenn du möchtest:

"...seit Herbststurm euch dereinst entzweite."

Übrigens ist die fogende Zeile vollkommen korrekt.
Lass dir bloß nicht einreden, da gehöre ein Genitiv hin, das ist absoluter Unsinn:

("Du lebst in einer wunderbaren Stille)
und in der Taubheit zeichenvollem Spiel."

Der Genitiv ist ja schon vorhanden mit "der Taubheit" und ersetzt somit den Artikel zu einem Dativobjekt.

Abgespeckt hieße es:

Du lebst ... in (einem) zeichenvollen Spiel oder
Du lebst ... in zeichenvollem Spiel

Und nicht: Du lebst ... in zeichenvollen Spiels.

Auch nicht: Du lebst ... in der Taubheit zeichenvollen Spiels. *schauder* :eek:

Das ist hier also keine Umgangssprache, sondern ein eindeutiger Dativ und schon mal gar keine Dichterfreiheit, denn alles andere wäre falsch und das hätte Erich schon bemängelt. :rolleyes:

Also lass es bitte so stehen. ;)

Inhaltlich gesehen kann ich voll mitgehen, denn die eisige Kälte wird zwischen den Zeilen überaus spürbar und beschreibt das Klima "danach" bezeichnend.
So bleibt dem / der Angesprochenen wohl wirklich nichts anderes übrig, als sich in das unweigerliche Schicksal zu finden, das die Zeit und somit das Leben für jeden Einzelnen individuell mit sich bringt.

Ein Scherenschnit, ja, schwarz und weiß und zudem noch sehr zweideutig, geht es hier ja auch um eine zerschnittene Beziehung.

So finde ich also auch den Titel sehr treffend.


In diesem Sinne gerne gelesen und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Chavali 16.11.2012 16:41

Hallo Faldi,

deine Idee für Zeile 3 in Strophe 3
Zitat:

"...seit Herbststurm euch dereinst entzweite."
gefällt mir sehr gut.
Du hast recht, besonders gut gefiel mir die Änderung, die ich diesbezüglich vornahm, nicht.
Deshalb hab herzlichen Dank!
Seltsam, auf das Naheliegende kommt man oft selber nicht, als wäre man betriebsblind...
Zitat:

Lass dir bloß nicht einreden, da gehöre ein Genitiv hin, das ist absoluter Unsinn:

("Du lebst in einer wunderbaren Stille)
und in der Taubheit zeichenvollem Spiel."

Der Genitiv ist ja schon vorhanden mit "der Taubheit" und ersetzt somit den Artikel zu einem Dativobjekt.
Oh gut, dass du es grammatikalisch erklärt hast.
Danke auch dafür!
Ich setze das immer nur nach Gefühl - und war mir sicher, dass es richtig so ist.
Aber wenn dann jemand mit Argumenten daherkommt, fühlt man sich oft verunsichert...:rolleyes:
Zitat:

Ein Scherenschnit, ja, schwarz und weiß und zudem noch sehr zweideutig,
geht es hier ja auch um eine zerschnittene Beziehung.

So finde ich also auch den Titel sehr treffend.
Und hier noch ein drittes *dankeschön* - weil du meine Intention getroffen hast :)


Einen lieben und erleichterten Gruß
von Chavali



Thomas 16.11.2012 19:36

Liebe Chavali,

ich lese dein Gedicht als die Beschreibung eines Menschen, der durch den Tod seines Partners vereinsamt ist. Hoffentlich liege ich damit nicht völlig daneben.

In deinem Gedicht habe ich die Worte "Spiel" und "Lohn" etwas unpassend gefunden und habe ein wenig gefeilt, um sie hinwegzubekommen. Was hältst du davon?


Den Schatten sehe ich in dein Angesicht
(verborgen sind Gefühle und Gedanken,
die sich um Werden und Vergehen ranken)
der von der Endlichkeit des Lebens spricht.

Verloren ist der Jugend heitre Fülle,
vergessen ist des Sommers Sonnentraum.
Du lebst in einer wunderbaren Stille
und in der Taubheit zeichenvollem Raum.

Nur Winterweiße liegt an deiner Seite,
wo kahle Bäume ihre Kronen zeigen.
Ein tiefer Kälteatem bleibt - und Schweigen -
seit euch der Herbststurm einst entzweite.


Liebe Grüße
Thomas

Dana 16.11.2012 19:43

Liebe Chavali,

tiefsinnig, treffend und so unendlich wahr.
Wenn man selbst bewusst gelebt hat, jeweils zeitgegeben, erkennt man den Wandel in der Betrachtung. Auch diese wandelt sich!;)
Im "Scherenschnitt" hast du es lyrisch und metaphorisch wunderbar dargestellt.


Zitat:

Zitat von Chavali
Dem Schatten gleich seh ich dein Angesicht,
verborgen sind Gefühle und Gedanken,
die sich um Werden und Vergehen ranken
und das von Endlichkeit des Lebens spricht.

Vorweg steht der Lauf, des Lebens Lauf. Man weiß von der Endlichkeit, man weiß um das Vergehen. Nicht, dass man darum die Schatten umgehen könnte oder gar sollte. Gerade ob dieses Wissens, sollte man Gefühle und Gedanken leben lassen.
Das fühle ich hier heraus.

Zitat:

Zitat von Chavali
Verloren ist der Jugend heitre Fülle,
vergessen ist des Sommers Sonnenziel.
Du lebst in einer wunderbaren Stille
und in der Taubheit zeichenvollem Spiel.

Hier ist mir, nach "Folgerichtigkeit".;)
Man ergibt sich ihr, man weiß um sie. Fast wird man zum Beobachter des Seins.

Zitat:

Zitat von Chavali
Nur Winterweiße liegt an deiner Seite,
die kahlen Bäume zeigen ihre Krone.
Ein tiefer Kälteatem bleibt zum Lohne,
seit Herbststurm euch dereinst entzweite.

Und hier ergreift den Leser eine "kalte" Erkenntnis. Man ergibt sich lebend den "Jahreszeiten", die eigentlich im Wechsel nur zum Dasein gehören, es aber nicht bestimmen sollten.

Mich hat eine tiefe Traurigkeit erfasst, weil ich als Beobachter weiß, dass es allzu oft "grundlos" so abläuft. Als hätte man sich ausschließlich den vier Jahreszeiten ergeben, ohne zu merken, dass man diese von Geburt an durchlebt und immer wieder leben darf. Kein Herbststurm kann es zerstören, keine Winterweiße für immer erkalten.

Du siehst, ich ranke Hoffnungen um eine Traurigkeit.:)

Ein schönes, sehr sensibles Gedicht. Es zeigt und fordert auf. Es ist einfach gut.

Liebe Grüße
Dana

Chavali 26.11.2012 18:30

Hallo lieber Thomas,
Zitat:

In deinem Gedicht habe ich die Worte "Spiel" und "Lohn" etwas unpassend gefunden und habe ein wenig gefeilt,
um sie hinwegzubekommen. Was hältst du davon?
deine etwas veränderte Version habe ich oben mit eingestellt.
Das ist in Ordnung, denke ich, und sie ist auch ganz nett ;)
Danke dafür.
Zitat:

ich lese dein Gedicht als die Beschreibung eines Menschen, der durch den Tod seines Partners vereinsamt ist.
Hoffentlich liege ich damit nicht völlig daneben.
Deine Interpretation kann man so annehmen, jeder Leser liest ja aus einem Text das für sich heraus,
was er empfindet.



Liebe Dana,

hab vielen Dank für deine lobenden Worte.
Ich war erst unsicher, ob dieser Text bei dem Leser ankommt.

Schön, wie du anhand deiner Interpretation den Inhalt analysiert hast.
Das hat mir sehr gefallen!
Auch das Fazit, das du ziehst, kann ich sehr gut nachempfinden.
Zitat:

Ein schönes, sehr sensibles Gedicht. Es zeigt und fordert auf. Es ist einfach gut.
Danke nochmals, ich freu mich über dein Urteil :)



Liebe Grüße an euch beide,
Chavali



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