Gedichte-Eiland

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norbert 22.03.2009 18:07

Bei armen Leuten
 
Bei armen Leuten

Bei armen Leuten schrumpfen die Gedanken,
wenn auch der letzte Schrei nach Würde stirbt
und jeder Rest von Stolz zerschellt an Schranken,
in denen Sehnsucht grau wird und verdirbt.

Für arme Leute welkt die Macht der Liebe,
denn wer sich selbst nicht lieben kann, der hasst
und mahlt sein Lebenskorn in dem Getriebe,
in dem kein Rad mehr zu dem andern passt.

Bei armen Leuten steht das Wort "vergebens"
auf jeder Wand, auf die ihr Auge blickt.
Die Endstation der Reise ihres Lebens:
Ein Wartesaal, in dem die Uhr nicht tickt.

Klatschmohn 22.03.2009 20:34

Hallo Norbert,
jetzt hatten sich meine kranheitsbedingetn depressiven Zustände langsam gebessert, da las ich Dein Gedicht und wumm- sind sie wieder da.
Dein Gedicht hat eine traurige Realität vieler hoffnungsloser Menschen verdichtet. So was gibt es - und nicht zu knapp.

Nunmehr traurige Grüße,
Klatschmohn

Medusa 22.03.2009 21:07

Lieber Anklagebert,

Manno, das hat mich umgehauen! Ganz, ganz großartig, da fehlt nichts, gar nichts.

Die Wirklichkeit ist schlimm genug, jeder weiß darum. Aber wie Du das in 12 Zeilen verdichtest, das ist schlichtweg genial!

Erschütterte Grüße,
Medusa.

(kommt in meinen Ordner!)

Dana 22.03.2009 22:09

Lieber norbert,
ich bin noch etwas unsicher ob der Traurigkeit um die "armen Leute".;)
Es ist traurig um sie bestellt, ja, aber gefährlich, sich auf IHRE Traurigkeit einzulassen.
Sehnsucht grau, nicht fähig sein, sich selbst zu lieben und ein Wartezimmer, in dem keine Uhr mehr tickt - wie soll man sich ihnen nähern?
Sie lassen nichts zu, was mit Sonne, Liebe und Vergeben zu tun hat.
Sie sähen IHRES aus und wollen ernten, was nicht aufgehen kann.
(Ich hoffe, ich habe richtig verstanden.)
Liebe Grüße
Dana

Klatschmohn 22.03.2009 22:25

Liebe Dana (entschuldige Norbert),
ich habe schon verstanden, was Du damit sagen willst.
Aber weißt Du, in sie selbst ist oft auch viel Traurigkeit und Bedrückung hineingesät worden.
Woher sollen sie es nehmen? Es gibt wohl Möglichkeiten, aber oft haben sie keinen Zugang dazu - eben weil sie das "vergebens" schon zu oft erfahren haben.

Liebe Grüße an Euch Beide,
Klatschmohn

Dana 22.03.2009 22:47

Ein Glück, dass das hier erlaubt ist:

Liebe Klatschmohn,
darum schrieb ich, ich wäre verunsichert ob der "armen Leute". Ich weiß auch, was du meinst. Ich meinte die anderen.:confused:

Norbert, erklär es uns jetzt, bitte ... :o

ALRICI 22.03.2009 22:55

Hallo Norbert,

ich empfinde dein Gedicht recht anrührend.
Ich meine zu wissen, was Armut ist.
Als Außenseiter mit künstlerischen Ambitionen habe ich einiges an Not hinter mir, und kämpfe mich gerad wieder mit wenig Kraft aus einer schwierigen Situation.
In Notzeiten, da ich auf mich selbst zurück geworfen, war habe ich viel gelernt.
Und nicht selten gehörten sie zu meine kreativsten Phasen.

Was du hier beschreibst ist aber eine bittere Armut, die die Seele des Menschen angreift, weil sie verletzend ist.
Doch möchte ich noch erwähnen, dass der Begriff 'Armut' immer auch im sozialen Gefüge bewertet werden sollte.

Zu Beginn einer Weltreise als junger Mann habe ich Deutschland mit dreihundert Mark verlassen. Damit hätte ich hier kaum einen Monat auf dem untersten Level leben können.
In anderen Ländern war ich mehrmals erstaunt, wie dort Menschen mit nicht einmal einem zehntel meines Lebensstandards ihre Würde zu wahren wussten.
Das betrachtete ich damals verwundert als einer der höchsten Lebenskünste.
Wir leben aber nunmal hier. Armut scheint auch vererblich zu sein.

Gut gemacht, bedankt,
Alrici

ReinART 23.03.2009 08:17

Lieber Norbert
habe dein gedicht 1 x gelesen und gedacht: Wow, wo bekommt er diese starken Bilder her.
Das lag daran, dass ich sogleich die Bilder zu deuten vermochte, respektive glaube, was Du sagen wolltest. Dachte: Ein selten schönes und tiefes Gedicht.
Beim zweiten lesen und dann der Kommentare, wurde ich etwas verunsichert angesichts der Bilder.
Arme Leute- kann man auf unterschiedliche Weise interpretieren. Du weißt wie ich das meine und muss nicht weiter ausholen.
Auch der letzte Schrei: es muss ja nicht ein Merkmal der Nichtarmen sein, dass sie schreien können. Ich kenne sehr glückliche und in sich ruhende Menschen, von denen ich mir nicht vorstellen kann, dass sie mal ausrasten und schreien. Es ist also der Schrei noch keine Garantie für eine ausgeglichene Gefühlswelt oder fürs Glücklichsein.
Dann der Wartesaal in dem die Uhr nicht tickt. Wieder ein unglaublich starkes Bild, das mich sofort gefangen nahm , aber beim zweiten darüber nachdenken, kam ich zu der Ansicht, dass die tickende Uhr auch als Synonym für genau dieses Unglücklichsein stehen könnte und bei Menschen, wie den Aborigines oder anderen Naturvölkern, die ohne Uhr leben, das Zufriedensein vielleicht daher kommt, dass diese "hektische Uhr" eben nicht tickt.
So viel dazu.
Ein ganz starkes Gedicht über dass man nicht nachdenken sollte sondern sich von den von Dir beschworenen Bildern verzaubern lassen sollte.
Lieben Gruß
reinhard

Chavali 23.03.2009 08:38

Lieber norbert,

das ist, glaube ich, eines deiner stärksten Gedichte!
Dazu auch meine Gratulation!

Viel wurde schon geschrieben und in deinen Text hineingedeutet.
Wie ReinArt bin ich der Ansicht, dass arm und arm zwei unterschiedliche Dinge sind -
einmal arm an positiven Gefühlen und zum zweiten die materielle Armut.

Ich meine, du beschreibst hier die Gefühlsarmut und zwar mit sehr passenden, starken Worten...
oder doch die materiell Minderbemittelten, die keinen Ausweg sehen aus Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit....?

Für die Zeile mit dem Schrei schlage ich dir Ruf vor.
Lässt sich gefälliger lesen und wirkt nicht ganz so oft verwendet.
Letzter Schrei ist auch so ein Mode-Schlagwort ;)


Sehr gern gelesen und darüber nachgedacht hat mit lieben Grüßen,
katzi

ALRICI 23.03.2009 10:59

Hallo Katzi,

deine Unterscheidung zwischen emotionaler Ausweglosigkeit und materieller Armut ist berechtigt.
Den emotionalen Aspekt sehe ich in Norberts Werk in V2 Z1+Z2 beschrieben.

In V1 lese ich die Auswirkung von materieller Armut auf Emotion (Emotion=Seele) und geistiger Widerstandskraft.

In V3 Vergeblichkeit, Ausweglosigkeit und Stillstand (Uhr).

Emotionale und materielle Armut beeinflussen einander.
Das heißt nicht, dass arme Leute nicht lieben können.
Ganz und gar nicht, die können emotional reicher und liebesfähiger sein als manch reicher Pinkel der sich für Geld meint alles kaufen zu können.
(Glück in der Liebe kann keiner bezahlen).

Aber es gibt nach unten hin eine Grenze, unter der die Armut unerträglich (weil zu viel Stress) werden kann und so wie oben beschrieben sich verheerend auf das gesamte Lebensgefühl auswirkt.

Alrici


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