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Walther 02.09.2011 11:11

Sonett mit vorgehaltenem Spiegel
 
Sonett mit vorgehaltenem Spiegel


Ich rate mir, mich nicht im Spiegel zu betrachten:
Dort könnt ich sehen, was ich gar nicht sehen will.
Ich schweige mich beim Kämmen an, sag nichts, bin still
Und mühe mich vergeblich ab, nicht zu beachten,

Was mir brutal ins Auge springt: die neuen Falten,
Die Tränensäcke und das viele Weiß im Bart.
Der Bube, der dort starrt, der war mal jung und smart.
Jetzt kann er, flucht er, bald nicht mehr das Wasser halten.

Ich dusche mich schon heiß, der Spiegel soll beschlagen,
Damit, wenn ich den Bauch forsch in die Hose zwing,
Sich die Erkenntnis selbst enthebt und rasch die Fragen,

Warum ich, nicht mehr jung, die großen Sprüche schwing,
Vertagt, bis ich sie doch nicht mehr vertagen kann:
Erwachsen sein wär an der Zeit. Man stirbt als Mann.

Ida 02.09.2011 12:05

guten tag walther,

mir gefallen diese verse, nur der schluß ist mir zu traugig/schwermütig
es steckt etwas selbstironie darin und dazu will mir der tod nicht gefallen

ansonsten gern gelesen lg ida

Dana 02.09.2011 20:24

Lieber Walther,

habe schon lange nicht mehr so gelacht. :D

Ich sehe das lyr. Ich im Bad: gespielt gleichgültig, ein wenig brummig und doch stolz, gestehend aber nicht zeigend und immer wieder in den Spiegel schielend.:D
Jeder Vers ist ein Bild, das lachend macht, weil es genau das trifft, was alle trifft.
Man sagt, die Menschen lachen im Theater am lautesten, wenn ihr eigenes Sein auf die Schippe genommen wird. Es wird plötzlich lustig. :D

Ein herrliches Sonett!
Hervorheben möchte ich die 1. und 3. Strophe - echte Knaller, wenn man das so als bartlose ohne Bauch sagen darf.:D

Liebe Grüße
Dana

Falderwald 02.09.2011 21:41

Hallo Walther,

sag mal, findest du es nicht ein wenig unverschämt, hier so unverblümt über mich zu berichten? :D

Nein, im Ernst, das Vorhalten des Spiegels ist diesem Sonett wirklich gelungen, das kann man nur gekonnt nennen.

Von Zeile zu Zeile habe ich mich nickend durchgeschmunzelt und am Ende schaute ein breites Grinsen durch das viele Weiß in meinem Bart.

Im Gegensatz zu Ida finde ich den Schluss überhaupt nicht schwermütig.
Liebe Ida, das kannst du als Frau nicht verstehen. Männer sind nun mal anders gestrickt. Wir gehen wie ganze Kerle durchs Leben, immer Bauch rein, Brust raus, aufrecht, wie die Helden und blicken dem Tode unerschrocken ins eisige Auge.

Mehr Selbstironie geht nun wirklich nicht mehr.

Das ist ein wirklich lebendiges Gedicht und beste Unterhaltung für den Freitag Abend, so kann das Wochenende beginnen.

Gut gemacht.


Gerne gelesen, gelacht und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Walther 05.09.2011 20:48

Lb. Ida,

danke für Deine freundlichen Worte. In der Tat kann man sich am letzten Vers stören. Aber ein wenig schwarzer Humor gehört zum Leben dazu. Und zum Sterben. :D

LG W.


Lb. Dana,

wer sich ernst nimmt, wird wirklich alt. :) Danke für Deine lobenden Worte!.

LG W.

Lb. Falderwald,

tja, was soll ich da sagen? :D

Danke und Gruß W.

Odiumediae 07.09.2011 14:42

Insgesamt ein schönes Sonett. Mir gefällt besonders das Thema, es ist auch metrisch schön umgesetzt.

Was die Form des Werkes angeht, mag ich vor allem die jambischen Sechsheber, weil sie – ungeachtet der Tatsache, dass die Zäsuren nach der sechsten Silbe jedes Verses fehlen – an das das deutsche Barocksonett erinnern. Es hätte zwar insofern gepasst, als dem Sonett durch seine Beschäftigung mit den Merkmalen des Alterns ein gewisser (leicht satirischer) memento mori-Unterton anhaftet. Allerdings hätten sie dem Sonett auch eine gewisse Steifheit verliehen, die den wunderbar locker und frei dargebotenen Inhalt konterkariert hätten. Da Du Dich keiner Inversionen oder eines starken Hakenstils bedienst, wirkt das Sonett selbstironisch, was Dir meiner Erachtens sher gut gelungen ist.

Zum Inhalt habe ich einige kleinere Anmerkungen:


Zitat:

Ich schweige mich beim Kämmen an, sag nichts, bin still
Ich werde das Gefühl nicht los, dass die von mir fett markierte Redundanz dem Versmaß geschuldet ist und nicht als Stilmittel gedacht war. Man hätte das etwas eleganter lösen können, indem man einen anderen Aspekt (z.B. einen zeitlichen) untermischt. So verwässert man die Aussage zwar auch ein wenig, aber etwas unauffälliger:

Zitat:

Ich schweige mich beim Kämmen immer an, bin still[/B]
Das ist meiner Erachtens wunderbar:

Zitat:

Und mühe mich vergeblich ab, nicht zu beachten,

Was mir brutal ins Auge springt: die neuen Falten,
Das Enjambement gefällt mir, weil es wunderbar die Sinneinheiten ineinander überfließen lässt.

Zitat:

Der Bube, der dort starrt, der war mal jung und smart.
Das ‚smart‘ scheint mir hier dem Reimzwang geschuldet zu sein, denn das Alter macht ja bekanntlich weiser. Zumal will mir dieser Anglizismus nicht recht in das schöne Werk passen. Es wirkt irgendwie fehl am Platze.

Zitat:

Jetzt kann er, flucht er, bald nicht mehr das Wasser halten.
Schöner Einschub! Die Perspektive ist meiner Meinung nach sehr gelungen.

Fazit: trotz meiner Nörgelei halte ich das Sonett für gelungen.

(Nebenbei, ich bitte darum, meine fehlenden Grüße zu Beginn und am Ende jedes meiner Beiträge nicht als unhöflich zu interpretieren. Ich bin einfach der Meinung, dass man sich, wenn man sich nicht einmal ‚in echt‘ begegnet, derlei Ritualen nicht hinzugeben braucht.)

Walther 12.09.2011 12:20

Lb. Odiumediae,

danke für Deine ausführliche Besprechung, die ich erst heute beantworten kann. Bewußt habe ich den sechshebigen Jambus gewählt, der, wie Du vermerkt hast, gerne im Barock von Gryphius & Co. verwandt wurde. Dadurch wollte ich den Gegensatz zwischen Form und Inhalt in mehrfacher Hinsicht verstärken.

Du greifst den 3. Vers des ersten Quartetts auf und bedeutest dem Leser, hier habe das Versmaß die Feder geführt. Weit gefehlt. Wenn Du einmal das Quartett und meiner und danach in Deiner Version vorträgst, wirst Du sofort verstehen, warum das genauso formuliert werden muß, wie es im Original stand.

Ebenso hast Du den 3. Vers den zweiten Quartetts vorgenommen und bemängelst, hier sei das Wort "smart" nicht ganz "optimal". Wie Du herausgestellt hast, ist dieses Wort dem "Alter" des LyrIchs vielleicht nicht ganz angemessen, aber genau das ist der Grund, warum es dort steht. Eben weil diese Unangemessenheit den ironischen Grundton des Inhalts verstärkt.

Danke für Deine insgesamt positive Bewertung. Solches erfreut den brotlosen Lyriker immer. Denn als ein wenig Lob ist mit Lyrik, wenn sie nicht von den Klassikern ist, nicht mehr zu gewinnen. :)

Frohes Dichten und Werken!

LG W.


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