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Erich Kykal 04.09.2019 11:21

Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)
 
Die ihren lieben Lebtag kaum ein Böses streifen,
was wissen sie von all dem Leiden in der Welt,
das Schutz- und Heimatlose ständig überfällt?
Wie glauben sie, das Grauen bündig zu begreifen:

Kontrollsadisten, die in Bootcamps Kinder schleifen,
bis sie zerbrochen sind, wie es dem Geist gefällt,
der sie zu solchen Seelenschlächtern hinbestellt,
und wagt, Erziehung es zu nennen und ein Reifen.

Fanatische, die glühend alles ringsum morden,
was nicht in ihre Welt der Seligkeit sich fügt,
Zerstörte, die in blindem Gegenzug zerstören!

Wie sind wir, seit wir Affen waren, so geworden?
Verachtend, schlagend, brechend, was sich selbst genügt,
und nur, was wir vernichten, darf uns ganz gehören.

Thomas 04.09.2019 19:19

Lieber Erich,

ich verstehe dein Sonett nicht. Die Reimfolge ist perfekt und das Metrum in sechshebigen Jamben (aber leine Alexandriner) interessant. Aber der Inhalt ist schwer nachvollziehbar. "Die wir" in der ersten Zeile "nie ein Böses streifen" sind in den Schlusszeilen alles andere als vom Bösen entfernt, sondern "schlagend und brechend" und es "gehört uns nur ganz", was "wir vernichten". Wenn das mal nicht böse ist?

Liebe Grüße
Thomas

Erich Kykal 04.09.2019 20:53

Hi Thomas!

Die "wir"s in S1 meinen die im Wohlstand, in Sicherheit Aufgewachsenen (uns eben), die "wir"s in den Terzetten meinen die Menschheit im Allgemeinen.
Vor deinen Anmerkungen ist mir gar nicht aufgefallen, dass man es auch so verstehen könnte, dass beide Male dieselben mit "wir" gemient sind! Dann ist das Werk inhaltlich natürlich bestenfalls verwirrend!

Ich überlege, was ich da machen kann.


Ich habe gestern den (wie ich finde sehr guten und sehr notwendigen) (Jugend)Roman "Boot Camp" (im englischen Original, das ich gelesen habe, von Todd Strasser, aber die deutsche Version nennt als Autor seltsamerweise einen Morton Rhue) gelesen, und das arbeitete seitdem in mir und ließ mir keine Ruhe, ehe ich mir nicht mit den mir möglichen Mitteln Luft verschafft hatte!

Inhalt: ein hochintelligenter und menschlich schon sehr reifer 15-Jähriger wird wegen vergleichsweiser Kleinigkeiten und der Liebe zu einer acht Jahre älteren Frau von seinen reichen Eltern, die Angst um ihren Ruf haben, in so ein Bootcamp abgeschoben. Dort widersteht er dem Drill, den Schikanen, den Demütigungen, den Schlägen und der physischen Folter (immer nur so, dass keine Spuren bleiben) sowie den seelischen Vergewaltigungen durch Aufseher (von denen viele selbst frühere "Insassen" sind - das System erhält sich selbst ...) und deren willige Häftlingsgestapo über ein halbes Jahr lang. Ihm gelingt sogar die Flucht, aber er geht zurück, um 2 Verfolgern das Leben zu retten und wird prompt von diesen wieder eingeliefert. Daraufhin wird der "Held" von den dortigen Kleingeistern und sadistischen Kontrollfreaks dermaßen geschunden, dass er doch noch zerbricht und sich geistig dem System "anpasst". Als seine Eltern ihn abholen, weil eine Verfolgerin und die anderen Entkommenen sich für ihn einsetzen, ist er ein willenloser Zombie, der der Meinung ist, er hätte alles, was ihm monatelang angetan wurde, durchaus verdient. Alles was für ihn noch zählt, ist die Angst vor jenen, denen er "gehört": selbst vor den eigenen Eltern, die aus seiner nunmehrigen Sicht nur noch Teil des Systems sind, das über ihn bestimmt und nach Belieben verfügt. So etwas wie Vertrauen und Liebe existieren nicht mehr für ihn.

Ein starker Roman, aus der Ichperspektive erzählt, der zeigt, wie ein sehr kluger, mutiger, feinsinniger und sensibler Heranwachsender (er rettet sogar seine Verfolger, obwohl er weiß, was dann mit ihm geschieht!) konsequent durch Unmenschlichkeit zerbrochen wird, nur um "systemgerecht" zu funktionieren, weil das System einfach "liefern" muss für die 4000 Dollar monatlich, die engstirnige Eltern dafür bezahlen. In den USA gelten Minderjährige bis zum Erreichen des 18. Lebensjahrs vor dem Gesetz nicht als Personen mit Rechten, sondern als Eigentum ihrer Erziehungsberechtigten: Unterschreiben diese die Handhabe, dürfen sie in solchen Bootcamps sadistisch gedemütigt und gefoltert werden, bis sie brechen und sich fügen. Es sterben sogar Kinder dort, was als "Kollateralschaden" von Versicherungen gedeckt wird.
Ich frage mich, was für ein Land das sein muss, das seinen Kindern so etwas antut, ob mit staatlich oder privatwirtschaftlich geführten Unternehmen dieser Art! Menschenrechte und "Land of the Free"? - Am Arsch, wenn man nicht alt genug ist! Auf Dmax (TV-Sender) gab es sogar mal eine Dokureihe über solche Bootcamps: Monatelang wurde dort mitgefilmt, wie zum Teil erst Elfjährige mit militärischen Drill und sozialer Isolation gefoltert wurden, heimlich verprügelt, angeschrien, bespuckt, im Freien angekettet wie Tiere ... - es war schrecklich! Aber offenbar denken viele Amis, dies sei genau das, was vielen "privilegierten" Kindern fehle, um "echte" Männer und "züchtige" Frauen werden zu können! Was für ein verlogener Beschiss!
Die einzige Lektion aus dem Ganzen ist die: Es ist einfacher, Kinder zu zerbrechen, als sie zu erziehen! Und viele gehen eben gern den leichten Weg, vor allem wenn sie Kohle haben und keine Ahnung, was wirklich in solchen Kinder-KZs passiert! Viele denken immer noch, es wäre nur so eine Art "strenges Ferienlager" ... - aber das Klima und die "didaktischen Methoden" dort sich letztendlich dieselben wie in einem Hochsicherheitsknast für echte Kriminelle, kombiniert mit militärischer Entmenschlichung und Persönlichkeitsdemontage. Islamistische Koranschulen verfahren übrigens ähnlich mit ihren Schutzbefohlenen ...
So macht man keine guten Menschen, nur oberflächlich funktionierende gebrochene Seelen ...

Wäre so etwas auch bei uns denkbar, wenn es immer weiter nach rechts geht, wie die Erfolge der AfD (Asoziale führen Deutschland) andeuten? Ich wage nicht, mir das vorzustellen!

LG, eKy,


PS:
Ich habe in der letzten Str. noch den Einstieg geändert, da sich ja (für dich) das Problem stellte, dass Leser das "wir" der ersten Str. mit dem "wir" der letzten Str. gleichsetzen könnten. Dabei meint das obere uns, die Wohlstandskinder, aufgewachsen in Sicherheit und geliebt, das untere die Menschheit im Allgemeinen. Nun sollte das Problem nicht mehr auftreten. Was meinst du - verliert die Frage durch die simplifizierende, aber sich so von S1 absetzende Änderung zuviel an Wucht und sprachlicher Eleganz, oder geht das so?

Ursprüngliche Version war: "Wie sind wir, seit wir Affen waren, so geworden?"

Thomas 05.09.2019 17:54

Lieber Erich,

ich denke es ist eher schlechter. Warum lässt du nicht die Schlussstrophe und änderst die erste, indem du etwas sagst wie: "Diejenigen, die kaum ein Böses streifen, was wissen die von..." Das meinst du doch. Oder?

Liebe Grüße
Thomas

Erich Kykal 05.09.2019 22:44

Hi Thomas!

Prima Vorschlag - bekam ich auch anderswo: Die "wir"s in S1 in die 3. Person setzen!

Hab ich gemacht, und den ursprünglichen Einstieg in S4 wieder hergestellt.

Vielen Dank! :)

LG, eKy


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