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Lailany 29.11.2015 02:26

Ausweg
 
Ausweg

Wie kränklich blass sich ihre Tage neigen,
um sich die kahle Wand entlangzuschweigen
im Schattenspiel der ausgedingten Träume.
Geräuschlos katzenhaft, wie ihr zu eigen,
beschreitet sie im Schein des vollen Mondes
den Weg zum See. Inmitten Dornenzweigen
streift sie die Endlichkeit von ihren Schultern,
lauscht in die ferne Eufonie der Geigen
und ist bereit, beim Moll der Schlussakkorde
ins bodenlose Schwarz hinabzusteigen.

Sidgrani 29.11.2015 08:07

Liebe lai,

ein ernstes und bedrückendes Werk, das so gar nichts von einer "verliebten Rede" oder "Lobpreisung" hat. So wird das Ghasel unter anderem beschrieben. Aber es ist dir prächtig gelungen.

Aber ein wenig muss ich doch meckern: :)

Zitat:

Wie kränklich blass sich ihre Tage neigen,
um sich die kahle Wand entlangzuschweigen
Da bin ich leicht gestolpert, ist bestimmt Ansichtssache. Passt an diese Stelle vielleicht
gewohnt oder verdammt, die kahle Wand entlang zu schweigen?

Und - kann man in die Euphonie lauschen?

Wie gefällt dir:

lauscht trüb der fernen Eufonie der Geigen?

Auf jeden Fall ist dir ein sehr berührendes Gedicht gelungen, das einige düstere Bilder heraufbeschwört.

Liebe Grüße
Sid

Erich Kykal 29.11.2015 11:34

Hi, Lai!

Sprachlich famos - gediegen!

Ein "loser Faden": Welche "kahle Wand" wird in Z2 beschworen? Alles andere wird als Bild erklärlich: Eine Selbstmörderin auf dem nächtlichen Weg zum Wasser, um sich zu ertränken. Ophelia?

Ansonsten bleibt auch hier nur die Frage: wie heißt diese Form? Vielleicht solltet ihr Sommervögel dies bei allen euren Werken erwähnen, denn manche - so wie ich - kennen viele Formen nicht.:o

Sehr gern gelesen und genossen! Von der Sprachmächtigkeit her das beste Stück dieser Art bisher! Chapeau!:)

LG, eKy

PS: Aha - Ghasel ... - vielleicht solltet ihr die Form immer dazuschreiben, als Untertitel in Klammern oder so.

Bodo Neumann 29.11.2015 12:05

Liebe Lailany,

es ist dir meiner Meinung nach außerordentlich gut gelungen, den (wie ich beim Arbeiten an dieser Form feststellen musste) drohenden Leierrhythmus (wohl aufgrund des gehäuften Reimes) erfolgreich zu unterdrücken.

Zum einen scheint das über die Enjambements zu gelingen (besonders das von S5 auf S6, aber auch das von S6 auf S7 erscheinen mir essentiell), zum anderen zwingt deine äußerst bildhafte Sprache den Leser zum langsamen, betonten Lesen, was dem "Leiern" angenehm entgegenwirkt. Meine Highlight: die kahle Wand entlangzuschweigen, die Endlichkeit von den Schultern streifen, beim Moll der Schlussakkorde ins bodenlose Schwarz hinabzusteigen.

Vor allem die letzten beiden Verse bilden eine schöne Einheit von Inhalt und Form, weil das Ding mit dem Schlussakkord im bodenlosen Schwarz dann auch wirklich endet. Mir geht es so, dass ich dabei unwillkürlich Beethoven im Kopf habe. Und hier bei deinem Text speziell den zweiten Satz der 7. Sinfonie. Der ist so unendlich traurig, dass ich ihn wählen würde, um ins Wasser zu steigen. (Das Ende des ersten Satzes seiner 5. Sinfonie dagegen lässt eigentlich nur einen extrem blutigen Selbstmord in Kombination mit einem Amoklauf zu :eek:)

Einzig bei den "ausgedingten Träumen" bin ich mehrfach hängengeblieben. Zunächst ist mir dieser Ausdruck nicht so geläufig, und wenn, dann vielleicht eher als "ausgedung'nen Träumen", oder verstehe ich falsch?

Ansonsten: Daumen hoch - habe jetzt noch Gänsehaut...

lg Bodo

juli 29.11.2015 17:44

Liebe Lailany :)
 
Es ist schwer so ein Gedicht zu schreiben, Du hast meine volle Bewunderung! Das Thema paßt zum November, und die von dir gefundenen Bilder lassen mich einen Film sehen. Die Worte - es liest sich sehr gut, es klingt sehr gut. Es könnte auch in der düsteren Abteilung stehen. Sehr poetisch! Und sehr sehr traurig!

Liebe Grüße sy

:Blume::Blume::Blume:

Dana 29.11.2015 19:55

Liebe Lailany,

von mir musst Du bei "Traurigkeiten" nichts außer "ooh, wie schön" befürchten.;)
So stelle ich mir einen "dramatischen Abgang" vor, der erst im Gedicht lyrisch wohl bedacht geschehen kann - mögen Wirklichkeiten ganz, ganz anders sein.
Bilder und Tragik unschlagbar - ein Gedicht, das nachwirkt.

Liebe Grüße
Dana

Nachteule 30.11.2015 01:06

Hallo Lailany,

da ich nicht verstehe, wer "sie" ist und darum der gesamte Zusammenhang für mich fehlt, kann ich nicht viel mehr sagen, als dass Metrum und Reimschema stimmen. :D

Da das Ghasel aber eine Strophenform ist würde ich es auch als Zwei-Vers-Strophe formatieren. Dabei warst du aber nicht die einzige. ;)

nächtlicher Gruß, gutes nächtle und carpe noctem
Nachteule

Lailany 30.11.2015 07:50

Liebe Kommentatoren

@ Sid,
bzgl Inhalt hast du Recht, aber das wird anscheinend schon längst nicht mehr so streng gehandhabt. Auch das Werk von Weinheber beinhaltet nicht die schönen Dinge des Lebens.
Trotzdem gut, dass dus ansprichst, vllt sollte man das in der Beschreibung berücksichtigen. Ich hab zwar ausdrücklich "vorwiegend" gesetzt, aber dennoch.... Was meinen die anderen dazu?
Beim "um sich": Bist du da bei der Betonung gestolpert? Ich betone das "sich".
"in die Euphonie der Geigen lauschen"... hier mein ich, dass das geht.
Die Musik kommt von weit her, Protagonist muss sich anstrengen, Töne zu erhaschen. Das wollt ich ausdrücken.

@ Eky,
wenn von dir derlei Lobesworte kommen, dann darf ich mit meinem Teil wahrlich sehr zufrieden sein.
Bei der kahlen Wand lasse ich es dem Leser über, wo er sich die Szene vorstellen will. Krankenzimmer, Altenheim, Pflegeheim für psychisch Kranke. Letzteres hatte ich beim Schreiben im Sinn.

@ Bodo,
auch wenns nur ein kurzer Test geworden ist, ich muss gestehen, ich hab mir große Mühe gegeben, damit er nur ja nicht leiert und feilte und schliff mehr als 3 Wochen jeden Tag daran.
Hey, dass du ausgerechnet Beethovens 7. zweiter Satz erwähnst, ist erstaunlich. Ich bin kein großer Fan dieser Art Musik, doch dieses Stück gefällt mir sehr und ich hör es mir manchmal an. Und auch "Die Wolga" von Smetana.
Exakt zu Beethovens 7. zweiter Satz hab ich im Netz einen Kommentar gelesen, der mich in seiner Trefflichkeit sehr beeindruckt hat. Ich zitiere:
"I dont know, what exactly the question was, but this music is the answer."

Die "ausgedingten Träume"... ausgedingt ist mir noch geläufig, auch, wenns wohl ein sehr altes Wort ist und kaum mehr benutzt wird.
Kommt wohl von "ausgedient", was mir aber nicht so gut in den Kram gepasst hat.
Oder aber es kommt von Ausgedinge, verdingt, ausgedingt.
"ausgedungen" kenn ich wiederum nicht.
Der Online-Duden gibt zu solch seltenen Wörtern leider auch nix her.

@ Sy,
Texte für die düstere Ecke fallen mir am leichtesten. Und so lang sich Leser daran erfreuen können, fahre ich nur zu gerne auf dieser Schiene weiter.:)

@ Dana,
ja, da munkeln wir wieder. :) Und wie schon in meiner Antwort zu Sy... solang ein paar Leser mitmunkeln, kommt aus dieser Ecke sicher noch mehr von mir.

@ Nachteule,
wer "sie" ist? Eine Alte, eine körperlich oder geistig Kranke, eine Einsame, eine, die keinen anderen Ausweg sieht, eine, die einfach nicht mehr weiterleben will.
Die Enjambements sind der Grund, warum ich mich gegen die Zweizeiler entschieden hab. Hab mirs zwar angeguckt, wies aussähe, hat mir aber nicht gefallen.
Die Voraussetzungen sind ja erfüllt und die optische Präsentation ist doch nirgendwo vorgeschrieben.;)

Herzlichen Dank euch allen für euren Besuch und das erfreuliche Feedback.

LG von Lai:Blume:

Chavali 30.11.2015 16:57

Liebe Lai :)

sehr poetisch - wenn auch ein ein dramatischer Hintergrund beschrieben wird - oder gerade deshalb.

Hinter Faldis Brief für mich der zweitbeste Text innerhalb unserer Ghasel-Aufgabe.

Diese Worte beschwören Bilder herauf, denen man lieber verschließen möchte.
Und doch sind solche Begebenheiten auch das Leben.
Selten zwar, aber es gibt sie.

Chapeau!

Liebe Grüße,
Chavi :Blume:

Lailany 01.12.2015 05:49

Liebe Chavi :)

dein Lob freut mich!
Und hinter Faldi Platz 2 auf deiner Bewertungsskala einzunehmen, ist ein sehr gutes Ergebnis, mit dem ich rundum zufrieden bin.:)

Herzlichen Dank für Besuch und Kommi.

LG von Lai:Blume:


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