Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 15.02.2014 17:11

Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege
 
I

Geborgen liegt der Ort in tiefen Schatten,
das Morgenlicht fängt Kinder in den Türen,
ein junges Mädchen geht sein Mieder schnüren
und Veilchen blühen schon in den Rabatten.

Wer wollte wohl an solchem Bilde rühren,
und doch: Es strömen über grüne Matten
Verfemte her, die niemals Heimat hatten
und deren Lebenswärme nicht verspüren.

Ein Ruf erschallt, man sieht die wilde Meute,
ein Bauer und die Knechte fassen Beile.
Ein Ruck geht durch das ganze Dorf, denn heute

soll ihr Entlegensein den Frieden büßen!
Man schreit und strömt davon in banger Eile,
in Unterkleidern und auf nackten Füßen.

II

Es ist ein Schreien und ein wildes Toben,
die Hütten brennen und die Frauen flehen.
Ein Furor, den die Welt noch nicht gesehen,
doch tausend Male schon, hat sich erhoben!

Die Braven fallen, und von allen Enden
ergießt die Gier der nackten Ungeheuer
sich über Kirche, Bauernhof und Scheuer,
und kein Gebet mag das Gemetzel wenden!

Die Wut verebbt, die derben Waffen schweigen,
nur dort, wo sich des Waldes Ufer neigen,
hat man noch blutig Frau und Kind gefangen.

Die Frau hat man geschändet und gehangen,
der Knabe wird geprügelt und geschunden
und endlich bloß an einen Baum gebunden.

III

Geschwärzte Pfeile in den schmalen Rippen,
genagelt an des alten Baumes Rinde,
so stirbt das letzte Licht in diesem Kinde,
ein ungelebtes Leben auf den Lippen.

Die krausen Enden dunkler Schäfte wippen
ein letztes Mal, das junge Herz steht stille,
und mit ihm scheint ein losgelöster Wille
zur Seite mit dem leeren Blick zu kippen.

Ein sachtes Raunen streift die alte Linde,
das Kriegsvolk zieht davon mit blanken Hippen.
Fast unbemerkt treibt mit dem leisen Winde

ein Schluchzen fort. Darüber legt sich Stille.
Ein altes Weiblein sieht man Gräber schippen.
Des Menschen Zorn ist seines Grams Destille.

Hans Beislschmidt 15.02.2014 20:05

Erich, ich bin begeistert ....

drei Sonette - verknüpft im Handlungsfaden einer Ballade - dazu diese Wuchtigkeit im Ausdruck, die tiefe Schneiße der Trauer und des Schmerzes ob der sinnlosen Gewalt .... ein empathisches Feuermal ....
Eins deiner besten, erlaube ich mir zu sagen.

Gruß vom Hans

Erich Kykal 15.02.2014 23:04

Hi, Hans!

Vielen Dank für so ein tolles Lob!

Vor vielen Jahren - ich war noch sehr jung - sah ich einst ein Fernsehspiel über den 30jährigen Krieg mit just solch einer Szenenfolge, die mich damals zutiefst beeindruckt hatte. Sie verfolgte mich durch die Jahre als Sinnbild all dessen, was Krieg bedeutet. Durch Zufall heute wieder hochgespült war es der rechte Moment, die eigentlich unfassbare Szene endlich in Worte zu fassen.

Besonders die sinnlose Grausamkeit der verwahrlosten Söldner, zuletzt noch - wie ein umfassendes Sinnbild der Unlogik menschlicher Abgründe - das unschuldige Kind zu foltern und zu ermorden, hinterließ prägende Spuren in meinem Wesen und machte mich der Welt und den Menschen gegenüber reservierter und misstrauischer.

Interessanterweise - und das macht die Episode erst wirklich beängstigend - hatte ich damals keinen Moment angenommen, dies könnte nicht wirklich so passiert sein, oder dass die Wahrscheinlichkeit dafür eher gering sei, und dies nur der Auswuchs eines schlechten Drehbuches...
Nein, instinktiv die Möglichkeit - bei aller moralischen und seelischen Entrüstung über soviel Unrecht - solcher Gefühlskälte auch in mir selber fühlend, wusste ich instinktiv, dass Menschen sehr wohl derlei zu tun vermögen!


Passend zum Ablauf des Geschehens auch die Strukturen der drei Sonette:
Ist Sonett I noch klassisch aufgebaut, so ist der Tumult im II. Sonett gespiegelt durch die Auflösung der klassischen Regeln: Keine gleichen Reime in den Quartetten und Paarreime in den Terzetten. Die tiefe Trauer und Hoffnungslosigkeit von Sonett III wird durch die Verwendung von insgesamt nur 3 Reimen reflektiert, sozusagen ein Sonett, auf die Spitze getrieben.
Ich schmeichle mir übrigens gern, diese Form selbst erfunden zu haben (keine Ahnung, ob's stimmt): ABBA - ACCA - BAB - CAC


LG, eKy

Dana 17.02.2014 21:27

Lieber eKy,

Hans hat in nur zwei Sätzen die gesamte gefühlte Ohnmacht kommentiert.
Du hast den "riesigen Irrsinn" in nur drei Sonetten dargestellt, die greifen, berühren und ob:

Zitat:

Zitat von Erich Kykal
Ich schmeichle mir übrigens gern, diese Form selbst erfunden zu haben (keine Ahnung, ob's stimmt): ABBA - ACCA - BAB - CAC

zu recht so bestehen darf und soll.

Ich weiß, dass man sich bei Betrachtungen und "Urteilen" vergangener "Epochen" weit aus dem Fenster lehnen kann und finde zugleich, dass gerade jenes das ist, was man unter "Lernen aus der Geschichte" nennt. Was und wie man erlernt, bleibt ein Thema für sich. Man muss ausharren, bis die Gegenwart Geschichte wird.

Doch nie und nimmer kann ich erfassen, dass das Leid der Unschuldigen und der Massen zum Lauf der Geschichte gehört - und ... es doch immer so sein wird.:(

Nicht der "Dreißigjährige Krieg" allein. Die gesamte Geschichte ist voll davon, unendlich grausam und unendlich "unvernüftig". Sie trägt aber dennoch ihre "Helden" davon.:eek:

Was ich sagen wollte:

Deine Sonette treffen ins Mark und reihen sich in unvergängliche Lyrik ein.
Es gilt jetzt schon, dass sie die Welt nicht verändern - aber sie sprechen lebende Gemüter an, die niemals aufhören daran zu erinnern, dass der Unsinn und die Brutalität gesehen werden.
Dichtung, anerkannt und verkannt, ist ein Ventil für Schönes und Grausames.

Verstehe es durch und durch als höchste Anerkennung - für Dichtung und Antwortkommentar.


Liebe Grüße
Dana

Erich Kykal 18.02.2014 00:41

Hi, Dana!

vielen Dank für deine wohltuenden Zeilen.

Natürlich steht diese barbarische Szene aus einem bestimmten Konflikt versinnbildlichend für alle Kriege der Menschheit und die dabei begangenen Grausamkeiten, von steinzeitlichen Clanfehden bis zum modernen Terrorkrieg. Noch im Vietnamkrieg haben die soooo zivilisierten Amis - verbrieft - mindestens ein ganzes Dorf ausgelöscht, Männer, Frauen, Kinder. Einfach aus Frust darüber, dass sie des Vietkongs einfach nicht habhaft werden konnten und zuletzt aus Angst und Unsicherheit in jedem Zivilisten einen potentiellen Kommunisten sahen.
Was so verstörend dabei ist, ist der Umstand, dass es eben Amerikaner waren, die sich im Nimbus moralischer Überlegenheit aufmachten, mit Waffen für eine "bessere" Welt zu sorgen. Von aufgeputschten Balkanhorden erwartet man nichts anderes als Massenerschießungen und Rundumschläge auf Unschuldige, aber hier zeigte sich, dass es egal ist, wo und mit welchen Werten der Mensch aufwuchs - im Krieg erweist er sich so oder so als...allzu menschlich.

LG, eKy

PS: Die Zeile mit dem unreinen Reim im ersten Sonett (müssen/Füßen) hab ich umgeschrieben.


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