Gedichte-Eiland

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Falderwald 29.11.2015 08:12

Der Brief
 


Der Brief


Nun bist du fort, das Haus ist leer, erfroren
des Lebens Geist und in den Korridoren
der Augenblicke heulen kühle Winde
ihr Lied der Einsamkeit vor meinen Ohren.
Du musstest diese Reise unternehmen,
sonst hättest du dein Selbstgefühl verloren.
Begleiten konnte ich dich nicht, doch hatten
wir heilig uns die Freiheit einst geschworen.
Ich will dir diesen Brief nicht aus der Ferne
mit einem Hauch von Traurigkeit umfloren,
denn wir vertrauen unserem Gedanken,
den wir für uns zum Ideal erkoren.
Nun bist du dort und ich bin hier zuhause.
Verspürst auch du der Sehnsucht stetes Bohren?
Ich weiß, du kehrst zurück, auch wenn wir beide
jetzt noch ein wenig in der Hölle schmoren.
Ich warte, bis du kommst, denn du musst wissen,
um dich zu lieben, wurde ich geboren.


Falderwald
. .. .



Laie 29.11.2015 10:23

Hallo Falderwald,

ein wunderschönes Liebesgedicht, obgleich die Melancholie spürbar ist.
Das Reimschema ist mal ganz was anderes, unterstützt aber, nach meinem Empfinden, die Stimmung sehr gut.

Gern gelesen!


Gruß,
Laie

Sidgrani 29.11.2015 11:07

Lieber Falderwald,

was für eine schöne Liebeserklärung. Melancholisch, nicht anklagend und von der Gewissheit getragen, dass es ein Wiedersehen gibt. Es ist noch nicht zu Ende und geht weiter, so wie ja auch die Enjambements für einen steten Fluss sorgen, was mir besonders gefällt. :)

Den Schluss finde ich besonders stark!

Zitat:

Ich warte, bis du kommst, denn du musst wissen,
um dich zu lieben, wurde ich geboren.
Liebe Grüße
Sid

Erich Kykal 29.11.2015 11:15

Hi, Faldi!

Interessante Form - da du sie als "Sommervogel" publizierst, welchen Namen hat sie? Es gibt nur einen einzigen Reim, alle Zeilen dazwischen reimen sich gar nicht:

Nun bist du fort, das Haus ist leer, erfroren
des Lebens Geist und in den Korridoren
der Augenblicke heulen kühle Winde
ihr Lied der Einsamkeit vor meinen Ohren.
Du musstest diese Reise unternehmen,
sonst hättest du dein Selbstgefühl verloren.
Begleiten konnte ich dich nicht, doch hatten
wir heilig uns die Freiheit einst geschworen.
Ich will dir diesen Brief nicht aus der Ferne
mit einem Hauch von Traurigkeit umfloren,
denn wir vertrauen unserem Gedanken,
den wir für uns zum Ideal erkoren.
Nun bist du dort und ich bin hier zuhause.
Verspürst auch du der Sehnsucht stetes Bohren?
Ich weiß, du kehrst zurück, auch wenn wir beide
jetzt noch ein wenig in der Hölle schmoren.
Ich warte, bis du kommst, denn du musst wissen,
um dich zu lieben, wurde ich geboren.


Fehlte nicht eine ungereimte Zeile zwischen Z1 und 2, könnte man von perfektem Gleichmaß sprechen. Absicht oder passiert?

Sehr gern gelesen!:) Obschon ich kein Freund ungereimter Zeilen bin, sog. "loser Enden", verneige ich mich doch vor der Leistung, so viele gleiche Reimwörter sinnvoll in einem Text unterzubringen!

LG, eKy

PS: Aha - Ghasel ... - vielleicht solltet ihr die Form immer dazuschreiben, als Untertitel in Klammern oder so.

Thomas 29.11.2015 19:57

Lieber Falderwald,

ich muss dich loben. Es ist von allen sechs eindeutig das beste Ghasel und gefällt mir sehr gut. Es trifft genau den Kern dieser schönen, im deutschen so schwer zu realisierenden Form. Ich sage das mal einfach so ohne Begründung, da ich schon einige Ghasele (leider nur als Übersetzungen) gelesen habe und diese Form sehr schätze. Den besonderen Reiz erhält sie (z.B. bei Rumi) durch die religiöse, ja mystische Dimension, die dir fremd ist. Deshalb erfreut es mich besonders, dass du solch eine schöne "säkulare" Version geschrieben hast.

Liebe Grüße
Thomas

Lailany 30.11.2015 05:30

Kia ora Faldi,
deine versatile Feder vermag immer wieder zu überzeugen. Ob bissige Satire, zynische Schmähschriften oder wunderbar romantische und innig liebevolle Texte... in Faldis Topf ist alles drin.

Bzgl Form gibts auch nix zum Meckern... den Gefallen tust du uns nicht, bei dir nach Ausrutschern zu suchen, käme Sand in die Wüste tragen gleich.

Wunderschöne Schlusszeilen, die Empfängerin dieses Briefes weiß ihn bestimmt zu würdigen. :)

Einen Kritikpunkt möcht ich dir dennoch aufzeigen:

ein wenig in der Hölle schmoren...

In der Hölle schmoren, ist eine starke Aussage. Das "ein wenig" erscheint mir in diesem Zusammenhang zu lapidar und verwässert das Bild.
Eine ähnliche, wenn auch nicht ganz so auffällige Diskrepanz sehe ich in kühlen Winden, die heulen.
Wenns heult, ists nach meiner Auffassung mindestens ein Sturm. Was spricht gegen "wehen"?
Oder du machst den Wind zu einem stärkeren Bild, wzB Eiseswinde ?

Korridore der Augenblicke... ist mein Sahnehäubchen. :)

Aufgabe prima erfüllt!:)

Sehr gern gelesen und besenft.

HG von Lai:Blume:

PS: Hab noch was entdeckt: vor meinen Ohren... ist mir, so wie du es hier verwendest, nicht geläufig... "in meinen Ohren" ja.
"um meine Ohren" kenn ich auch, halt in anderem Zusammenhang.
Dammit, jetzt hab ich dir gleich 3 Kritikpunkte um die Ohren gehauen, dabei sah ich doch vorher nur einen. :o
Ich geh jetzt, bevor ich Hausverbot bekomme.:rolleyes:

Claudi 30.11.2015 12:45

Moin Faldi,

ich möchte mich aus vollem Herzen Thomas anschließen. Das Wesen des Ghasels hast Du mit Deiner Liebeserklärung auch für mein Gefühl aufs Feinste erfasst. Große Gefühle kannst Du sehr intensiv vermitteln, ohne dabei die Grenze zur Schwülstigkeit zu überschreiten. Selbst wenn Du dick aufträgst, z.B. in: "erfroren des Lebens Geist", blinzelt mir da immer ein Fünkchen Humor entgegen und Du gleitest nicht ins Weinerliche ab. Mit Charme und Witz lockerst Du die traurigen Passagen wirkungsvoll auf, z.B. hier:

Ich weiß, du kehrst zurück, auch wenn wir beide
jetzt noch ein wenig in der Hölle schmoren.


Du siehst, das empfinde ich, was selten vorkommt, ganz anders als Lai.

Die Kombination aus wiederkehrenden Endreimen und Waisen scheint für Deinen Stil wie gemacht zu sein. Ich denke, die an einigen Stellen leicht antiquierten Forulierungen wie: "doch hatten wir heilig uns die Freiheit einst geschworen" oder: "mit einem Hauch von Traurigkeit umfloren" gehen ganz gut mit dem Ghasel zusammen, auch wenn ich persönlich das nicht so schreiben würde. Jedenfalls habe ich den Eindruck, Du bist sehr bewusst mit der Sprache umgegangen.

Für den Schlussvers, der mit spielerischer Leichtigkeit das Reimschema bedient und doch so ernsthaft und glaubwürdig rüberkommt, hast Du Dir ein extra :Blume: verdient.

Was Dich vielleicht überrascht: In diesem Gedicht brauche ich die konkreten Details, die diese Beziehung besonders machen, überhaupt nicht anzumahnen. Hier sorgt der geheimnisvolle Hintergrund sogar für eine prickelnde, fantasieanregende Spannung, die ich auf keinen Fall missen wollte.

Von mir bekommst Du die volle Punktzahl und außer dem Blümchen noch einen (selbstverständlich platonischen) :Kuss für dieses gelungene Werk (das pulsierende Herz ist mir denn doch zu kitschig).

LG Claudi

Chavali 30.11.2015 16:50

Moin Faldi,

was für ein schöner Text - und als Ghasel gestaltet ist er echt der Hit!
Meine Vorschreiber haben sich ja schon voller Lob geäußert - dem kann ich mich nur anschließen.

Eindeutig der beste Text dieser Ghasel-Aufgabe der Sommervögel,
die dir wohl selber sehr gefallen hat...;)

Mir übrigens auch und ich werde mich auch weiterhin damit beschäftigen.


Lieben Gruß,
Chavi

juli 02.12.2015 13:36

Hallo Faldi :)
 
Dein Ghasel liest sich am Besten. Wenn du eine Angebetete hast, wird sie sicher begeistert sein. Dein Brief läßt Frauenherzen schmelzen. Ich schließe mich dem Lob meiner Vorredner an.
:)
Schon mehrfach gelesen und ein dickes Lob!

Liebe Grüße sy

PS: das war bestimmt schwer, weil es nicht schwülstig wirkt und gar nicht leiert.

:Blume::Blume::Blume:

Bodo Neumann 02.12.2015 20:28

Lieber Falderwald,

Hand aufs Herz *allen Mut zusammennehm*, willst du mich heiraten?
Aber nein, ich wäre nicht in der Lage, dir einen adäquaten Antwortbrief zu schreiben...

So, genau so finde ich, müssen fünfhebige Verse geschrieben werden. Man spürt die Länge nicht, der Lesefluss endet nicht jedesmal auf dem Reim, sondern die Reime finden sich im Lesefluss ganz von allein, reichen sich die Hand, lassen wieder los und finden sich wieder - ganz ohne "tätää tätää tätää".

Der in meinen Augen stärkste Teil ist der erste Satz, der über volle 4 Verse geht. Man taucht sofort und unmittelbar in das Geschehen bzw. das Geschehene hinein und wird zum LI. Danach kommt ein Verspaar, bei dem leicht die Gefahr bestünde, ins Leiern zu kommen, wenn das nächste ebenso klar "versabschließend" gestaltet wäre. Hier steuerst du aber mit einem weiteren Enjambement geschickt entgegen (doch hatten ... wir heilig uns). Ebenso im nächsten Reimpaar, bevor wieder ein eher "traditionelles " folgt.
Sehr geschickt (bewusst oder unbewusst) erscheint mir der relativ nüchterne Satz "Nun bist du dort und ich bin hier zuhause." Punkt. Zäsur auf dem ungereimten Versende. Gegen den Strom. Klasse.

Nachdem nun überwiegend positive Dinge genannt wurden, nun noch Punkte, die ich für weniger gelungen halte:
1. Dein Hang zu zentrierten Texten. Ich hasse zentrierte Texte. Sie wirken auf mich immer irgendwie aufgesetzt: "Hier, sehet her, meine Lyrik in zentriertem Text. Als nächstes versuche ich mich in einer eigens für Liebesbriefe liebevoll herangezogenen und großgestreichelten Schnörkelschriftart." So in etwa, verstehst du? Nein? Naja, irgendwas muss ich doch kritisieren...;)

lg Bodo


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