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Seeräuber-Jenny 26.12.2009 00:53

Eine deutsche Weihnacht
 
Die Glocken klingen laut zum Weihnachtsfeste,
ein Stern blinkt hell wie eine Leuchtreklame.
Ein Fettfleck ziert das Abendkleid der Dame,
ein Rotweinklecks des Hausherrn weiße Weste.

Am Christbaum flackern letzte Kerzenreste.
Im Kripplein liegt ein Kind. Wie war sein Name?
Es ist längst tot, zu schwach war Jesses Same,
und jung zu sterben war vielleicht das Beste.

Im Garten kaut der Sohn auf der Zigarre,
stiert in die Nacht - die Nacht, in der sie wachten,
er und sein Freund, stets griffbereit die Knarre,

gemeinsam über Herrenwitze lachten,
jetzt liegt er unterm Schnee in Leichenstarre.
Und bald geht es erneut hinaus zum Schlachten.

Leier 26.12.2009 10:57

Liebe Seeräuber-Jenny,


das ist ein grausig gutes Weinachtssonett, bei dessen Lektüre es einen kalt überläuft.
In der ersten Strophe sehe ich die Kriegsgewinnler, in der zweiten eine der durch Entbehrungen gezeichnete Familie.
Die beiden Terzette befassen sich mit dem Weihnachts-Front-Urlaub?
Aufrüttelnd, auch wenn ich falsch interpretiere.

Lieben Gruß
von
cyparis

Seeräuber-Jenny 26.12.2009 13:56

Ahoi Leier,

deine Interpretation ist fast richtig.

Die reichen Eltern des jungen Mannes feiern Weihnachten, als ob nichts wäre. Das Kind mit der Friedensbotschaft liegt vergessen in der Krippe. Der junge Mann, auf Fronturlaub, muss bald wieder los ins Kriegsgetümmel, und man lässt ihn ziehen, denn er hat ja seine Pflicht fürs Vaterland zu erfüllen. Die Einen sterben jung, die Anderen schwimmen immer oben, wie Fettaugen auf der Brühe.

Ich dachte an den 1. Weltkrieg, aber ich glaube, das Gedicht über eine deutsche Weihnacht ist zeitlos, denn auch heute sterben wieder junge Männer in Afghanistan.

Lieben Gruß
Seeräuber-Jenny

Leier 26.12.2009 14:00

Liebe Seeräuber-Jenny -

und ich dachte an den 2. Weltkrieg - aber wo sind da schon große Unterschiede.
Wenn das Kind in der Krippe gemeint ist - da mach ich mir aber schwere Gedanken!

Friedliebenden Gruß
von
cyparis

Seeräuber-Jenny 26.12.2009 14:03

Ahoi Leier,

die Friedensbotschaft des Kindes ist zweitausend Jahre alt. Fand sie Gehör? Nein!

Lieben Gruß
Seeräuber-Jenny

Abraxas 27.12.2009 03:23

Hallo Seeräuber-Jenny,

eine fabelhafte Idee hattest du da! :)

Zitat:

Die Glocken klingen laut zum Weihnachtsfeste,
ein Stern blinkt hell wie eine Leuchtreklame.
Ein Fettfleck ziert das Abendkleid der Dame,
ein Rotweinklecks des Hausherrn weiße Weste. -- gut formuliert (Satzbau).

Am Christbaum glimmen letzte Kerzenreste,
darunter liegt ein Kind. Wie war sein Name?
Es ist längst tot, zu schwach war Vaters Same
und jung zu sterben sicherlich das Beste.

Im Garten raucht der Sohn eine Zigarre, -- grenzwertig: "eine" betont man üblicher Weise "eine" (Xx), hier verlangt das Metrum aber, es "eine" (xX) zu betonen; das ist hier aber noch okay, finde ich.
stiert in die Nacht und denkt dran, wie sie wachten, -- normaler Weise würde man das "stiert" betonen; hier verlangt das Metrum, das nicht zu tun. Ist auch etwas grenzwertig, aber auch noch im Bereich des tolerablen, wie ich finde.
er und sein Freund, stets griffbereit die Knarre, -- hier ist das "er" im natürlichen Sprachrhythmus zu stark und der Jambus betont den Vers eher seltsam.

gemeinsam über Herrenwitze lachten.
Jetzt liegt er unterm Gras in Leichenstarre.
Und bald geht es erneut hinaus zum Schlachten.
Meine Meinung: ein bischen bügeln und das Teil ist glatt wie Seide; ist ja im Grunde genommen nur eine kleine Falte. ;)
An sich finde ich es wie gesagt klasse. :)

LG,
Abraxas

Seeräuber-Jenny 28.12.2009 21:32

Ahoi Abraxas,

danke für deine nützlichen Tipps. Habe noch ein bisschen am Text gebügelt, ich glaube, jetzt sind die letzten Fältchen raus.

Lieben Gruß
Seeräuber-Jenny

Abraxas 29.12.2009 01:08

Hallo,

jup, eigentlich einwandfrei.

Zitat:

stiert in die Nacht und denkt an die durchwachten
Dieser Vers ist nun entweder total elegant, oder in sich unpassend. :D
Einerseits richtig pfiffig, den Leser durch die erstmalige benennung der Nacht, danach beim Lesen von "durchwachten" einen Rückschluss auf "Nacht" -> Nächte machen zu lassen. Andererseits wäre es grammatisch exakter, wenn zuvor statt "Nacht" ohnehin "Nächte" stünde; da man aber nicht in die Nächte stieren kann, hat sich das ohnehin erledigt. Das kann man aber auch einfach unter künstlerischer Freiheit verbuchen und gut. :D

Gute Arbeit!


LG,
Abraxas

Seeräuber-Jenny 29.12.2009 14:06

Ahoi Abraxas,

aye, künstlerische Freiheit, aber eben noch nicht vollkommen. Nun, mit dem ersten Terzett bin ich noch nicht ganz zufrieden. Ich grüble, aber bisher ist mir nichts Besseres eingefallen. Über Anregungen würde ich mich freuen.

Ich möchte dir recht herzlich danken, dass du mein Sonett mit Rat und Tat begleitest.

Lieben Gruß
Seeräuber-Jenny

Abraxas 29.12.2009 14:42

Hallo Seeräuber-Jenny,

gerne doch.

Das erste Terzett?

Zitat:

Im Garten kaut der Sohn auf der Zigarre,
stiert in die Nacht und denkt an die durchwachten
mit seinem Freund, stets griffbereit die Knarre,
Vielleicht gefällt dir:

Im Garten kaut der Sohn auf der Zigarre,
bedenkt der Nächte Schatten, der durchwachten,
mit seinem Freund, stets griffbereit die Knarre,


Da hätteste sogar noch ne Metapher drin für möglicherweise erlebte, üble Dinge. :)


LG,
Abraxas


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