Gedichte-Eiland

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Chavali 29.04.2010 09:49

Lieblingsgedichte
 
Die Füße im Feuer

Conrad Ferdinand Meyer
(1825-1898)



Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.
Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell
Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann ...

- "Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt
Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!"
- Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert's mich?
Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!"
Der Reiter tritt in einen dunklen Ahnensaal,
Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt,
Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht
Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib,
Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild ...
Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd
Und starrt in den lebend'gen Brand. Er brütet, gafft ...
Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal ...
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.

Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin
Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft.
Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick
Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt ...
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
- "Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!
Drei Jahre sind's ... Auf einer Hugenottenjagd ...
Ein fein, halsstarrig Weib ... 'Wo steckt der Junker? Sprich!'
Sie schweigt. 'Bekenn!' Sie schweigt. 'Gib ihn heraus!' Sie schweigt.

Ich werde wild. D e r Stolz! Ich zerre das Geschöpf ...
Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie
Tief mitten in die Glut ... 'Gib ihn heraus!' ... Sie schweigt ...
Sie windet sich ... Sahst du das Wappen nicht am Tor?
Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr?
Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich." -
Eintritt der Edelmann. "Du träumst! Zu Tische, Gast ..."

Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht
Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet.
Ihn starren sie mit aufgerißnen Augen an -
Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk,
Springt auf: "Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt!
Müd bin ich wie ein Hund!" Ein Diener leuchtet ihm,
Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück
Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr ...
Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach.
Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert.
Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt.
Die Treppe kracht ... Dröhnt hier ein Tritt? Schleicht dort ein Schritt? ...

Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht.
Auf seinen Lidern lastet Blei, und schlummernd sinkt
Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut.
Er träumt. "Gesteh!" Sie schweigt. "Gib ihn heraus!" Sie schweigt.

Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt ...
- "Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!"
Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt,
Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr - ergraut,
Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar.

Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad.
Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
Friedsel'ge Wolken schimmern durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht.
Die dunklen Schollen atmen kräft'gen Erdgeruch.
Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: "Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl! Auf Nimmerwiedersehn!" Der andre spricht:
"Du sagst's! Dem größten König eigen! Heute ward
Sein Dienst mir schwer ... Gemordet hast Du teuflisch mir
Mein Weib! Und lebst ... Mein ist die Rache, redet Gott."

Chavali 29.04.2010 10:46

Hallo zusammen :)

hier kann jeder sein Lieblingsgedicht einstellen, vielleicht auch mehrere.
Eine kurze Begründung dazu wäre toll!

Achtet bitte darauf, dass der Verfasser schon mindestens 70 Jahre tot ist -
so will es das Urheberrechtsgesetz.

Für mich sind Die Füße im Feuer eines meiner Lieblingsgedichte.
Es ist an Dramatik kaum zu überbieten und das mag ich :)
Außerdem hat der Text ein schwieriges Versmaß: er ist in Hexametern geschrieben.
Lieben Gruß,
Chavali

ginTon 03.05.2010 21:30

ach ja schon lange nicht mehr gelesen,, ein Muss
für alle Liebhaber der Nacht..."Hymnen an die Nacht"

von Novalis



Muß immer der Morgen wiederkommen?
Endet nie des Irdischen Gewalt?
Unselige Geschäftigkeit verzehrt den himmlischen
Anflug der Nacht.

Wird nie der Liebe geheimes Opfer ewig brennen?
Zugemessen ward dem Lichte seine Zeit;
aber zeitlos und raumlos ist der Nacht Herrschaft.

- Ewig ist die Dauer des Schlafs. Heiliger Schlaf -

beglücke zu selten nicht der Nacht Geweihte in
diesem irdischen Tagewerk. Nur die Toren verkennen
dich und wissen von keinem Schlafe, als dem Schatten,
den du in jener Dämmerung der wahrhaften Nacht mitleidig auf uns wirfst.

Sie fühlen dich nicht in der goldnen Flut der Trauben -
in des Mandelbaums Wunderöl und dem braunen Safte des Mohns.

Sie wissen nicht, daß du es bist, der des zarten Mädchens Busen umschwebt
und zum Himmel den Schoß macht - ahnden nicht, daß aus alten Geschichten
du himmelöffnend entgegentrittst und den Schlüssel trägst zu den
Wohnungen der Seligen, unendlicher Geheimnisse schweigender
Bote.

Chavali 04.05.2010 06:39

Rilke
 
....und natürlich

Rainer Maria Rilke

1875 - 1926


Abend

Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes und eins, das fällt:

und lassen dich, zu keinem ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt,
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt -

und lassen dir (unsäglich zu entwirrn)
dein Leben bang und riesenhaft und reifend,
so daß es, bald begrenzt und bald begreifend,
abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.




...so melodisch, so poetisch - wunderbar :)

ginTon 04.05.2010 19:29

ich schließe mich hier mal chavi an...muss erst einmal nach den übersetzungen schauen...
Der Träumer (R.M. Rilke)

I

Es war ein Traum in meiner Seele tief.
Ich horchte auf den holden Traum:
ich schlief.
Just ging ein Glück vorüber, als ich schlief,
und wie ich träumte, hört ich nicht:
es rief.


II

Träume scheinen mir wie Orchideen. -
So wie jene sind sie bunt und reich.
Aus dem Riesenstamm der Lebenssäfte
ziehn sie just wie jene ihre Kräfte,
brüsten sich mit dem ersaugten Blute,
freuen in der flüchtigen Minute,
in der nächsten sind sie tot und bleich. -
Und wenn Welten oben leise gehen,
fühlst du's dann nicht wie von Düften wehen?
Träume scheinen mir wie Orchideen. -

Chavali 20.05.2010 16:41

Theodor Storm
 
Die Stadt

Am grauen Strand, am grauen Meer
und seitab liegt die Stadt;
der Nebel drückt die Dächer schwer,
und durch die Stille braust das Meer
eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
kein Vogel ohn' Unterlass;
die Wandergans mit hartem Schrei
nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
du graue Stadt am Meer;
der Jugend Zauber für und für
ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
du graue Stadt am Meer.



Theodor Storm
14.September 1817 in Husum, +4.Juli 1888 in Hademarschen bei Rendsburg/Holstein



ginTon 21.05.2010 13:15

.
.

Theodor Däubler (17.8.1876-13.6.1934)

Purpurschwere, wundervolle Abendruhe

Purpurschwere, wundervolle Abendruhe
Grüßt die Erde, kommt vom Himmel, liebt das Meer.
Tanzgestalten, rotgewandet, ohne Schuhe,
Kamen rasch, doch sie versinken mehr und mehr.

Furchtbar rot ist jetzt die Stunde. Wutentzündet
Drohen Panther. Grausamfunkelnd. Aufgebracht!
Dieser bleibt: ein Knabe reitet ihn und kündet
Holder Wunder tollen Jubel in die Nacht.

Nacht! der Abend, aller Scharlach mag verstrahlen.
Auch der Panther schleicht im Augenblick davon.
Aber folgt dem Knaben! Sacht, in schmalen Glutsandalen
Tanzt er nackt im alten Takt von Babylon.

Alle Flammen abgeschüttelt? Auf der Füße
Blassen Spitzen winkt und fiebert jetzt das Kind:
Weltentschwunden? Sterne sind die sichern Grüße
Stiller Keuschheit überm Meere, vor dem Wind!

[Das Nordlicht. Genfer Ausgabe. Leipzig : Insel Verlag 1921]
.
.


ginTon 17.06.2010 23:22

Gerrit Engelke (21.10.1890-13.10.1918)

Schöpfung

Nicht Raum, nicht Zeit, nur Nacht und Nacht.
Nur Nacht, von Nacht noch überdacht.
Ein trächtig Sausen wogend schwoll –

Da! plötzlichgroß ein donnernd »Ich«! erscholl –
Da: Er! – Er saß in Nacht,
Und Er – Er war die Nacht.
Der Anfang war erwacht.
Er saß im Anfangsnacht-Getreibe
Mit schwangerem Hirn und Leibe,
Um Seinen Körper rauchte Schweiß.
Ein helles Strahlen ging aus Seinem Kopf –
Und wurde dicht und hell: zum Silber-Mond-Kreis,
Aus Seinen Augen fiel ein Lichtgetropf:
Und irrte wirr im Dunkel:
Sterngefunkel.

Da scholl es wieder fürchterlich:
Das All-Gebär-Gebrüll: »Ich«!
Da riß Er auf mit Händekrallen Seine Stirn:
Und offen lag in Dampf: das rote Feuer-Hirn!
Er riß ein Stück heraus:
Er ballte eine Kugel draus

Und hielt das Glühen in die Nacht,
Er hing es in den Braus:
Die Sonne war erwacht!

Ein Glühgezisch, das Funken sprühte,
Das heiß die schwere Nacht durchglühte,
Daß Mond und jeder Stern verblühte
Und alles Dunkel schwand.
Hochoben hing der Sonne-Brand.

Da riß Er mit den Händekrallen
Aus Seinem Leib das Alles-Herz!
Schrie »Ich«! und »Ich«! in Dampf und Schmerz –
Und ließ es in die Tiefe fallen –

Er ließ es in die Tiefe fallen
Und setzte Seinen Fuß darauf.
Und setzte Seinen Fuß auf diese Welt
Auf Seine, Seine Welt,
Von Sonne überhellt.

Zum Letzten rief er wieder »Ich«:
Gedehnt und väterlich beschließend,
Als erster Wohlklang aus Ihm fließend,
Und ließ ein Teilchen Zeugungs-Hirn aus Seiner Hand
Tief abwärts fallen auf das neue, runde Land:

Und da! und da: der Same quoll;
Ein Wesen, neues Wesen schwoll:
Und stieg – und stand auf dem Geroll: –
Der Mensch! der Mensch! der Mensch!

Der sah den All-Gebärer nicht!
Er sah das Licht, nur Licht und Licht!
Er hob ergriffen seine Hände hoch,
Ein schäumend Stammeln seinem Mund entflog,
Das große Leuchten bog
Seine Knie –

Da brach aus seinem Munde jäh ein Sang:
Voll Rausch, voll niegehörtem Urwelt-Klang:
Vom wilden Leben hochgeschwellt:
Hinauf! Hinauf!
Zum ersten Tag! Zum Ewig-Tag!
Zum Tag der Welt.

Chavali 18.06.2010 18:43

das darf nicht fehlen
 
Johann Wolfgang von Goethe

Der Fischer

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach der Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
"Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht.
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Tau?"

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn;
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.



(1779)

Dana 20.06.2010 16:31

Ich dachte, ich hätte es längst gepostet, mein absolutes Lieblingsgedicht.
Es ist von Hermann Hesse und für mich ganz große Lyrik.
Ich kann in jeder Lebensphase auf den Inhalt Bezug nehmen und annehmen.

Das ist es:


Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

ginTon 20.06.2010 18:42

ERNST WILHELM LOTZ (1890-1914)

Hart stoßen sich die Wände in den Straßen..


Hart stoßen sich die Wände in den Straßen,
Vorn Licht gezerrt, das auf das Pflaster keucht,
Und Kaffeehäuser schweben im Geleucht
Der Scheiben, hoch gefüllt mit wiehernden Grimassen.

Wir sind nach Süden krank, nach Fernen, Wind,
Nach Wäldern, fremd von ungekühlten Lüsten,
Und Wüstengürteln, die voll Sommer sind,
Nach weißen Meeren, brodelnd an besonnte Küsten.

Wir sind nach Frauen krank, nach Fleisch und Poren,
Es müßten Pantherinnen sein, gefährlich zart,
In einem wild gekochten Fieberland geboren.
Wir sind versehnt nach Reizen unbekannter Art.

Wir sind nach Dingen krank, die wir nicht kennen.
Wir sind sehr jung. Und fiebern noch nach Welt.
Wir leuchten leise. - Doch wir könnten brennen.
Wir suchen immer Wind, der uns zu Flammen schwellt.

Chavali 28.06.2010 08:44

Theodor Storm (1817 - 1888)

Meeresstrand

Ans Haff nun fliegt die Möwe
und Dämmrung bricht herein;
über die feuchten Watten
spiegelt der Abendschein.

Graues Geflügel huschet
neben dem Wasser her;
wie Träume liegen die Inseln
im Nebel auf dem Meer.

Ich höre des gärenden Schlammes
geheimnisvollen Ton;
einsames Vogelrufen -
so war es immer schon.

Noch einmal schauert leise
und schweiget dann der Wind;
vernehmlich werden die Stimmen,
die über der Tiefe sind.

Dana 16.08.2010 21:37

Oder dieses Lieblingsgedicht. Kennst du dach auch?


Kennst du das auch?

Kennst du das auch, dass manches Mal
Inmitten einer lauten Lust,
Bei einem Fest, in einem frohen Saal,
Du plötzlich schweigen und hinweggehn musst?

Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf
Wie Einer, den ein plötzlich Herzweh traf;
Lust und Gelächter ist verstiebt wie Rauch,
Du weinst, weinst ohne Halt - Kennst du das auch?

(Hermann Hesse)

Justin 30.08.2010 23:07

Ess ist gar nicht so einfach, sich für ein Lieblingsgedicht zu entscheiden, weil wir Viele ins Herz geschlossen haben. Dana erwähnt 2 Gedichte von Hermann Hesse, die auch bei mir ganz vorn stehen. In "Kennst Du das auch" erkenne ich mich sogar wieder. Chavali hat 2 Gedichte von Theodor Storm reingestellt und auch ich entscheide mich für ein Weiteres von ihm. Es sagt aus, daß man ganz gern mal in die Ferne schweift, Heimat aber ein elastischer Begriff ist. Darüber hinaus geht es um Freundschaft, die um so wertvoller ist, wenn sie erhalten bleibt.

An die Freunde

Wieder einmal ausgeflogen,
Wieder einmal heimgekehrt,
Fand ich doch die alten Freunde
Und die Herzen unversehrt.

Wird uns wieder wohl vereinen
Frischer Ost und frischer West?
Auch die losesten der Vögel
Tragen allgemach zu Nest.

Immer schwerer wird das Päckchen,
Kaum noch trägt es sich allein;
Und in immer engren Fesseln
Schlinget uns die Heimat ein.

Und an seines Hauses Schwelle
Wird ein jeder festgebannt;
Aber Liebesfäden spinnen
Heimlich sich von Land zu Land.

(Theodor Storm)

PS: Habe es mit der Schriftauszeichnung probiert, was leider nicht funktioniert hat. Die Überschrift sollte "fett" erscheinen.

Chavali 23.02.2011 10:04

DAS darf nicht fehlen:

Der Panther
von R.M. RILKE


Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Blaugold 23.04.2011 11:34

Eines meiner Lieblingspoems kenne ich nur in Englisch, ich wage es nicht, es zu übersetzen, fürchte ich doch, irgendwelche Feinheiten zwischen den Zeilen vielleicht missverständlich zu interpretieren.

Es ist ein traditional aus West Afrika:

do not seek to much fame
but do not seek obscurity
be proud
but do not remind the world of your deeds
excel when you must
but do not excel the world
many heroes are not yet born
many have already died
to be be alive to here a song is a victory

Chavali 02.05.2011 18:35

Das Glück von Edenhall
 
Sehr stimmungsvoll auch das hier:




Das Glück von Edenhall


von Ludwig Uhland



Von Edenhall der junge Lord
Läßt schmettern Festtrompetenschall,
Er hebt sich an des Tisches Bord
Und ruft in trunk'ner Gäste Schwall.
"Nun her mit dem Glücke von Edenhall!"

Der Schenk vernimmt ungern den Spruch,
Des Hauses ältester Vasall,
Nimmt zögernd aus dem seid'nen Tuch
Das hohe Trinkglas von Kristall,
Sie nennen's: Das Glück von Edenhall.

Darauf der Lord: "Dem Glas zum Preis
Schenk roten ein aus Portugal!"
Mit Händezittern gießt der Greis,
Und purpurn Licht wird überall,
Es strahlt aus dem Glücke von Edenhall.

Da spricht der Lord und schwingt's dabei:
"Dies Glas von leuchtendem Kristall
Gab meinen Ahn am Quell die Fei,
Drein schrieb sie: Kommt dies Glas zu Fall,
Fahr' wohl dann, o Glück von Edenhall!

Ein Kelchglas ward zum Los mit Flug
Dem freud'gen Stamm von Edenhall;
Wir schlürfen gern in vollem Zug,
Wir läuten gern mit lautem Schall;
Stoßt an mit dem Glücke von Edenhall!"

Erst klingt es milde, tief und voll,
Gleich dem Gesang der Nachtigall,
Dann wie des Waldstroms laut Geroll,
Zuletzt erdröhnt wie Donnerhall
Das herrliche Glück von Edenhall.

"Zum Horte nimmt ein kühn Geschlecht
Sich den zerbrechlichen Kristall;
Es dauert länger schon als recht,
Stoßt an, mit diesem kräft'gen Prall
Versuch' ich das Glück von Edenhall."

Und als das Trinkglas gellend springt,
Springt das Gewölb' mit jähem Knall,
Und aus dem Ritz die Flamme dringt;
Die Gäste sind zerstoben all'
Mir dem brechenden Glück von Edenhall.

Einstürmt der Feind mit Brand und Mord,
Der in der Nacht erstieg den Wall,
Vom Schwerte fällt der junge Lord,
Hält in der Hand noch den Kristall,
Das zersprungene Glück von Edenhall.

Am Morgen irrt der Schenk allein,
Der Greis, in der zerstörten Hall';
Er sucht des Herrn verbrannt Gebein,
Er sucht im grausen Trümmerfall
Die Scherben des Glücks von Edenhall.

"Die Steinwand," spricht er, "bricht zu Stück,
Die hohe Säule muß zu Fall,
Glas ist der Erde Stolz und Glück,
In Splitter fällt der Erdenball
Einst gleich dem Glücke von Edenhall."





Chavali 10.05.2011 21:16

Nacht lag auf meinen Augen
 
Nacht lag auf meinen Augen

Heinrich Heine (1797-1856)


Nacht lag auf meinen Augen,
Blei lag auf meinem Mund,
Mit starrem Hirn und Herzen
Lag ich im Grabesgrund.

Wie lang, kann ich nicht sagen,
Daß ich geschlafen hab;
Ich wachte auf und hörte,
Wie's pochte an mein Grab.

»Willst du nicht aufstehn, Heinrich?
Der ew'ge Tag bricht an,
Die Toten sind erstanden,
Die ew'ge Lus' begann.«

Mein Lieb, ich kann nicht aufstehn,
Bin ja noch immer blind;
Durch Weinen meine Augen
Gänzlich erloschen sind.

»Ich will dir küssen, Heinrich,
Vom Auge fort die Nacht;
Die Engel sollst du schauen,
Und auch des Himmels Pracht.«

Mein Lieb, ich kann nicht aufstehn,
Noch blutet's immerfort,
Wo du ins Herz mich stachest
Mit einem spitz'gen Wort.

»Ganz leise leg ich, Heinrich,
Dir meine Hand aufs Herz;
Dann wird es nicht mehr bluten,
Geheilt ist all sein Schmerz.«

Mein Lieb, ich kann nicht aufstehn,
Es blutet auch mein Haupt;
Hab ja hineingeschossen,
Als du mir wurdest geraubt.

»Mit meinen Locken, Heinrich,
Stopf ich des Hauptes Wund',
Und dräng zurück den Blutstrom
Und mache dein Haupt gesund.«

Es bat so sanft, so lieblich,
Ich konnt nicht widerstehn;
Ich wollte mich erheben
Und zu der Liebsten gehn.

Da brachen auf die Wunden,
Da stürzt' mit wilder Macht
Aus Kopf und Brust der Blutstrom,
Und sieh! - ich bin erwacht.

ginTon 11.05.2011 17:23

habe ich eben gefunden und gelesen und fand es sehr gut..:)

Ballade von der wilden Welt
Richard Dehmel (1863-1920)

Schöne stille Seele
hatte einen Garten,
rings um den Dornheckenwerk
und Urwalddickicht starrten,
einen Blumengarten.

Schöne stille Seele
saß in ihrem Zelt,
bebte vor den Häßlichkeiten
oh der wilden Welt,
in ihrem seidnen Zelt.

Schöne stille Seele
sah gern Kolibris
durch die Blütenbüsche huschen
überm warmen Kies,
die goldnen Kolibris.

Und die bunten Schmetterlinge,
und die blanken Schlangen;
schöne stille Seele
sah sie gern im Dickicht prangen,
die sonneblanken Schlangen.

Sah auch gern die blauen Blitze
über den Wäldern jagen
und die fernen schneebedeckten
Kraterberge ragen;
schöne stille Seele!

Schöne stille Seele
erschrak auf einmal sehr:
durch das Dornwerk drang ein hoher
wilder Fremdling her.
Seele bebte sehr.

Fremder Weltumsegler,
ich saß so schön allein;
du wirst mich Schlange schelten,
dann werden wir häßlich sein.
Und stehst so schön allein.

Schöne stille Seele
könnt all das nicht sagen,
sah den Fremdling vor sich höher
als die Berge ragen;
könnt kaum Willkomm sagen.

Könnt ihn nur empfangen endlich,
Ihn - o wilde Welt -
Blitze, Blüten, Kolibris
jagten um ihr Zelt -
schöne wilde Welt! -

Thomas 12.05.2011 16:48

Das Thema 'Lieblingsgedicht' ist eine tolle Idee. Und gleich zu Anfang 'Die Füße im Feuer', welches auch eines meiner Lieblingsgedichte ist! Aber welches ist das Lieblingsgedicht? Welches würde ich wählen, wenn ich nur ein einziges auswählen dürfte? Ich habe unter meinen vielen Lieblingen ein ganz einmaliges Gedicht gefunden. Zur Begründung sage ich später etwas.

Friedrich Schiller

Das Ideal und das Leben

Ewigklar und spiegelrein und eben
Fließt das zephyrleichte Leben
Im Olymp den Seligen dahin.
Monde wechseln, und Geschlechter fliehen;
Ihrer Götterjugend Rosen blühen
Wandellos im ewigen Ruin.
Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden
Bleibt dem Menschen nur die bange Wahl;
Auf der Stirn des hohen Uraniden
Leuchtet ihr vermählter Strahl.

Wollt ihr schon auf Erden Göttern gleichen,
Frei sein in des Todes Reichen,
Brechet nicht von seines Gartens Frucht!
An dem Scheine mag der Blick sich weiden;
Des Genusses wandelbare Freuden
Rächet schleunig der Begierde Frucht.
Selbst der Styx, der neunfach sie umwindet,
Wehrt die Rückkehr Ceres' Tochter nicht;
Nach dem Apfel greift sie, und es bindet
Ewig sie des Orkus Pflicht.

Nur der Körper eignet jenen Mächten,
Die das dunkle Schicksal flechten;
Aber frei von jeder Zeitgewalt,
Die Gespielin seliger Naturen,
Wandelt oben in des Lichtes Fluren
Göttlich unter Göttern die Gestalt.
Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben,
Werft die Angst des Irdischen von euch!
Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben
In des Idealen Reich!

Jugendlich, von allen Erdenmalen
Frei, in der Vollendung Strahlen
Schwebet hier der Menschen Götterbild,
Wie des Lebens schweigende Phantome
Glänzend wandeln an dem styg'schen Strome,
Wie sie stand im himmlischen Gefild,
Ehe noch zum traur'gen Sarkophage
Die Unsterbliche herunter stieg.
Wenn im Leben noch des Kampfes Wage
Schwankt, erscheinet hier der Sieg.

Nicht vom Kampf die Glieder zu entstricken,
Den Erschöpften zu erquicken,
Wehet hier des Sieges duft'ger Kranz.
Mächtig, selbst wenn eure Sehnen ruhten,
Reißt das Leben euch in seine Fluten,
Euch die Zeit in ihren Wirbeltanz.
Aber sinkt des Mutes kühner Flügel
Bei der Schranken peinlichem Gefühl,
Dann erblicket von der Schönheit Hügel
Freudig das erflogne Ziel.

Wenn es gilt, zu herrschen und zu schirmen,
Kämpfer gegen Kämpfer stürmen
Auf des Glückes, auf des Ruhmes Bahn,
Da mag Kühnheit sich an Kraft zerschlagen
Und mit krachendem Getös die Wagen
Sich vermengen auf bestäubtem Plan.
Muth allein kann hier den Dank erringen,
Der am Ziel des Hippodromes winkt.
Nur der Starke wird das Schicksal zwingen,
Wenn der Schwächling untersinkt.

Aber der, von Klippen eingeschlossen,
Wild und schäumend sich ergossen,
Sanft und eben rinnt des Lebens Fluss
Durch der Schönheit stille Schattenlande,
Und auf seiner Wellen Silberrande
Malt Aurora sich und Hesperus.
Aufgelöst in zarter Wechselliebe,
In der Anmut freiem Bund vereint,
Ruhen hier die ausgesöhnten Triebe,
Und verschwunden ist der Feind.

Wenn, das Tote bildend zu beseelen,
Mit dem Stoff sich zu vermählen,
Tatenvoll der Genius entbrennt,
Da, da spanne sich des Fleißes Nerve,
Und beharrlich ringend unterwerfe
Der Gedanke sich das Element.
Nur dem Ernst, den keine Mühe bleichet,
Rauscht der Wahrheit tief versteckter Born;
Nur des Meißels schwerem Schlag erweichet
Sich des Marmors sprödes Korn.

Aber dringt bis in der Schönheit Sphäre,
Und im Staube bleibt die Schwere
Mit dem Stoff, den sie beherrscht, zurück.
Nicht der Masse qualvoll abgerungen,
Schlank und leicht, wie aus dem Nichts gesprungen,
Steht das Bild vor dem entzückten Blick.
Alle Zweifel, alle Kämpfe schweigen
In des Sieges hoher Sicherheit;
Ausgestoßen hat es jeden Zeugen
Menschlicher Bedürftigkeit.

Wenn ihr in der Menschheit traur'ger Blöße
Steht vor des Gesetzes Größe,
Wenn dem Heiligen die Schuld sich naht,
Da erblasse vor der Wahrheit Strahle
Eure Tugend, vor dem Ideale
Fliehe mutlos die beschämte Tat.
Kein Erschaffner hat dies Ziel erflogen;
Über diesen grauenvollen Schlund
Trägt kein Nachen, keiner Brücke Bogen,
Und kein Anker findet Grund.

Aber flüchtet aus der Sinne Schranken
In die Freiheit der Gedanken,
Und die Furchterscheinung ist entflohn,
Und der ew'ge Abgrund wird sich füllen;
Nehmt die Gottheit auf in euren Willen,
Und sie steigt von ihrem Weltenthron.
Des Gesetzes strenge Fessel bindet
Nur den Sklavensinn, des es verschmäht;
Mit des Menschen Widerstand verschwindet
Auch des Gottes Majestät.

Wenn der Menschheit Leiden euch umfangen,
Wenn Laokoon der Schlangen
Sich erwehrt mit namenlosem Schmerz,
Da empöre sich der Mensch! Es schlage
An des Himmels Wölbung seine Klage
Und zerreiße euer fühlend Herz!
Der Natur furchtbare Stimme siege,
Und der Freude Wange werde bleich,
Und der heil'gen Sympathie erliege
Das Unsterbliche in euch!

Aber in den heitern Regionen,
Wo die reinen Formen wohnen,
Rauscht des Jammers trüber Sturm nicht mehr.
Hier darf Schmerz die Seele nicht durchschneiden,
Keine Träne fließt hier mehr den Leiden,
Nur des Geistes tapfrer Gegenwehr.
Lieblich, wie der Iris Farbenfeuer
Auf der Donnerwolke duft'gem Tau,
Schimmert durch der Wehmut düstern Schleier
Hier der Ruhe heitres Blau.

Tief erniedrigt zu des Feigen Knechte,
Ging in ewigem Gefechte
Einst Alcid des Lebens schwere Bahn,
Rang mit Hydern und umarmt' den Leuen,
Stürzte sich, die Freunde zu befreien,
Lebend in des Todenschiffes Kahn.
Alle Plagen, alle Erdenlasten
Wälzt der unversöhnten Göttin List
Auf die will'gen Schultern des Verhassten -
Bis sein Lauf geendigt ist -

Bis der Gott, des Irdischen entkleidet,
Flammend sich vom Menschen scheidet
Und des Äthers leichte Lüfte trinkt.
Froh des neuen ungewohnten Schwebens,
Fließt er aufwärts, und des Erdenlebens
Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt.
Des Olympus Harmonien empfangen
Den Verklärten in Kronions Saal,
Und die Göttin mit den Rosenwangen
Reicht ihm lächelnd den Pokal.


Ich möchte noch zwei Briefstellen zitieren, die sich auf dieses Gedicht beziehen, weil sie recht gut beschreiben, warum ich das Gedicht so außerordentlich schön finde:

Wilhelm von Humboldt schrieb am 21.08.1795, unmittelbar nachdem er das Gedicht erhalten, an Schiller: 'Wie soll ich Ihnen, liebster Freund, für den unbeschreiblich hohen Genuss danken, den mir Ihr Gedicht gegeben hat? Es hat mich seit dem Tage, an dem ich es empfing, im eigentlichsten Verstande ganz besessen, ich habe nichts anderes gelesen, kaum etwas anderes gedacht,... solch einen Umfang und solch eine Tiefe der Ideen enthält es, und so fruchtbar ist es, woran ich vorzüglich das Gepräge des Genies erkenne, selbst wieder neue Ideen zu wecken.' Humboldt merkte auch an: 'Man muss' sich dieses Gedicht 'erst durch eine gewisse Anstrengung verdienen.'

Interessant ist auch, was Schiller am 30.11.1795 an Humboldt schrieb: 'Ich habe ernstlich im Sinne, da fortzufahren, wo das Ideal und das Leben aufhört... Über diesen Stoff hinaus gibt es keinen mehr für den Poeten, denn dieser darf die menschliche Natur nicht verlassen, und eben von diesem Übertritt des Menschen in den Gott würde diese Idylle handeln... Denken Sie Sich aber den Genuss, lieber Freund, in einer poetischen Darstellung alles Sterbliche ausgelöscht, lauter Licht, lauter Freiheit, lauter Vermögen... ich nehme meine ganze Kraft und den ganzen ätherischen Teil meiner Natur noch auf einmal zusammen, wenn er auch bei dieser Gelegenheit rein sollte aufgebraucht werden.'

Ganz allgemein finde ich Gedichte philosophischen Inhalts, oder Gedankengedichte, problematisch. Sie sind oft vergleichbar mit gereimten Gebrauchsanweisungen (Sie müssen erst den Nippel durch die Lasche ziehn...), welche im Grunde genommen keine Gedichte sind, weil sie mit Gefühlsruhe ihre Weisheit, von oben herab, in schönen Worten und schöner Form auf den Leser niedersinken lassen. Das besondere an Schillers Gedankengedichten ist, dass diese wirkliche Gedichte sind, weil sie die emotionale Bewegung, den kraftvollen Gedankenkampf, der mit der Erkenntnis der Idee notwendig einhergeht, zum Ausdruck bringen. Sie sind keine Beschreibung philosophischer Ideen an sich, sondern eine Folge mitreißender Metaphern, die dem Leser helfen, diese Ideen zu begreifen. Das schönste und tiefste dieser Gedankengedichte ist meiner Meinung nach 'Das Ideal und das Leben'. Schade, dass Schiller das im Brief erwähnte Idyll nicht mehr verwirklichen konnte.

Viele Grüße
Thomas

Stimme der Zeit 14.05.2011 22:03

Gotthold Ephraim Lessing

Die Küsse


Der Neid, o Kind,
Zählt unsre Küsse:
Drum küss' geschwind
Ein Tausend Küsse;
Geschwind du mich,
Geschwind ich dich!
Geschwind, geschwind,
O Laura, küsse
Manch Tausend Küsse:
Damit er sich
Verzählen müsse.


Mir gefällt die fröhliche Unbeschwertheit dieses kleinen Werkes. :)

Stimme der Zeit 27.05.2011 16:46

Das kannte ich noch gar nicht, aber ich finde es großartig, ironisch-bissig und tiefsinnig, der "feinsinnige" Humor Morgensterns gefällt mir einfach.

Christian Morgenstern:

Ballade

Auf der Teichwies' waren heut'
sonderbare Brüder,
sangen, sprangen um die Wett'
zu 'nes Alten Fiedel:
Goldfuchs, rund und blank, juchhe!
Schürze, zart und weiß wie Schnee,
Flasche grau wie Asche.


Sang der Goldfuchs: Alles dreht
sich um mich früh und spät!
Rum-didl-dum,
rum-didl-dautz,
bum bum bum bautz.


Sang die Schürze: Alles dreht
sich um mich früh und spät!
Rum-didl-dum,
rum-didl-dautz,
bum bum bum bautz.


Sang die Flasche: Alles dreht
sich um mich früh und spät!
Rum-didl-dum,
rum-didl-dautz,
bum bum bum bautz.


Warf der Alt' die Fiedel weg,
kriegt den Fuchs zu fassen,
schickt' ihn wie 'nen Schlitterstein
weit hinaus aufs Wasser,
griff die Schürze, steckt sie ein
zwischen Ripp' und Gürtel,
warf die leere Flasch' zu Boden,
dass sie gell zerklirrte;
wandte sich, das Buschwerk schlug
hinter ihm zusammen:
aber lang noch hört man ihn
fernher brummen: Alles dreht
sich um mich früh und spät!
Rum-didl-dum,
rum-didl-dautz,
bum bum bum bautz.

Der Mensch: Geld, Sex und Alkohol ... ;)

Chavali 27.05.2011 17:16

Theodor Storm


Die Nachtigall


Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.


Sie war doch sonst ein wildes Blut;

Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Glut
Und weiß nicht, was beginnen.


Das macht, es hat die Nachtigall

Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.



DAS hätte ich gern schreiben wollen ;)

a.c.larin 01.06.2011 05:40

hallo chavali,

ein feines gedicht!
doch ich wette, wenn storm das heutzutage so in ein lyrik-forum eingestellt hätte, dann gäbe es bestimmt auch harsche kritik:

du fängst mehrere zeilen mit "und" an....
die fängst mehrmals mit "da" und "die" an - wie eintönig!
an manchen stellen ist die syntax ist verwirrend....


was ich damit sagen will?
wir heutigen dichter haben es ungleich schwerer, irgendwelchen ansprüchen zu genügen - weil wir beständig auf dem podium der ganzen welt auftreten und uns rechtfertigen müssen.

in manche dingen war "die gute alte zeit" wirklich besser.
unserer digitale welt ermöglicht einen viel rascheren gedankenaustausch -
das ist einerseits nützlich und geradezu phänomenal,
andererseits aber auch verheerend, weil sich unausgegorenes dadurch genau so rasch verbreitet.
die "klimaerwärmung" schreitet also auch mental voran - allein schon durch das tempo , das wir allesamt drauf haben.

vielleicht ist es ja das, was wir in diesen altengedichten (noch) finden :

they are cooled down!

ihre innere ruhe fasziniert uns. :)
aber anders sind "hall und widerhall" eben auch nicht wahrnehmbar.

liebe grüße,
larin

ginTon 01.06.2011 22:39

.
Mondbeglänzte Zaubernacht,
Die den Sinn gefangen hält,
Wundervolle Märchenwelt,
Steig auf in der alten Pracht.

(Ludwig Tieck, 1773-1853)



ein Gedicht aus der Romantik darf nie fehlen :)...


eine anmerkung noch @larin, dass ist ein thread ausschließlich
für Gedichte oder habe ich da jetzt was falsch verstanden :confused:...

Stimme der Zeit 23.06.2011 19:25

Otto Erich Hartleben, (1864–1905)

Liebe und Lyrik

Der Liebe Lust in Liedern auszuklagen,
scheint heutzutag dem Dichter fast verwehrt.
Was könnt er Neues auch den Leuten sagen:
so mancher hat uns schon sein Glück beschert.
Glaubt einer gar der Liebe Leid zu tragen,
lässt er uns sicherlich nicht unversehrt:
Herz reimt noch stets auf Schmerz, auf Liebe Triebe –
ich reimte mit Genuss auf beide – Hiebe!

So weiss denn selbst der traurigste Philister:
die Liebe sei so eine Himmelsmacht;
in illustrierten Wochenblättern liest er,
dass man sich oft sogar drum umgebracht.
Ein Kenner aller Leidenschaften ist er,
wer ihm nichts Neues bringt, wird ausgelacht:
kurz, was die Lieb angeht – er ist au fait:
es lässt sich nichts mehr machen drin. O weh!

Und ist man nun aus purem Pech ein Dichter,
dems schlecht behagt, den andern nachzutreten,
dems nicht genügt, nur manchmal neue Lichter
zu pflanzen vor ein Bild, zu dem sie beten –
so wird man fluchen auf das Reimgelichter,
das auch den schönsten Brei schon breitgetreten,
und wird, obwohl die Sache etwas schwierig,
die Liebe gänzlich streichen aus der Lyrik.

Wie hass ich jene, die naiv wie Thiere
ihr Lieben schmatzend beichten – ekelhaft!
Unreinem Ohre bei unechtem Biere!
Doch ist nicht schlimmer noch die Leidenschaft,
auf unverhülltem, feilem Druckpapiere
schamlos zu künden, was uns Freuden schafft?
Drum Heil dem Dichter, der mit sich gerungen
und als ein Held zum schweigen sich bezwungen!

___________________
(Ich habe eine Schwäche für humorvolle Werke ...;):))

Dana 24.06.2011 20:50

Gemartert

Ein gutes Tier
Ist das Klavier,
Still, friedlich und bescheiden,
Und muß dabei
Doch vielerlei
Erdulden und erleiden.
Der Virtuos
Stürzt darauf los
Mit hochgesträubter Mähne.
Er öffnet ihm
Voll Ungestüm
Den Leib, gleich der Hyäne.
Und rasend wild,
Das Herz erfüllt
Von mörderlicher Freude,
Durchwühlt er dann,
Soweit er kann,
Des Opfers Eingeweide.
Wie es da schrie,
Das arme Vieh,
Und unter Angstgewimmer
Bald hoch, bald tief
Um Hilfe rief
Vergess' ich nie und nimmer.

(Wilhelm Busch, 1832 - 1908)

Chavali 05.07.2011 08:26

Hallo zusammen,


zunächst ein Wort an larin:
Zitat:

Zitat von larin
ein feines gedicht!
doch ich wette, wenn storm das heutzutage so in ein lyrik-forum eingestellt hätte, dann gäbe es bestimmt auch harsche kritik:

du fängst mehrere zeilen mit "und" an....
die fängst mehrmals mit "da" und "die" an - wie eintönig!
an manchen stellen ist die syntax ist verwirrend....

was ich damit sagen will?
wir heutigen dichter haben es ungleich schwerer, irgendwelchen ansprüchen zu genügen - weil wir beständig auf dem podium der ganzen welt auftreten und uns rechtfertigen müssen.

Sehr gut gesagt!
Von daher denke ich, dass wir sehr gut (mnachmal jedenfalls:D) mithalten können...!

nun ein Wort an ginnie:
Zitat:

Zitat von ginnie
eine anmerkung noch @larin, dass ist ein thread ausschließlich
für Gedichte oder habe ich da jetzt was falsch verstanden :confused:.

So war es natürlich gedacht, aber wer will dem anderen verwehren, eine Meinung zu äußern?
Das kann doch nur willkommen sein, solange sie sich im Thema bewegt.

Also alles gut :)


LG Chavali

P.S.
Im nächsten Post findet ihr ein weiteres Lieblingsgedicht :)











Chavali 05.07.2011 08:28

Meeresstrand



von Theodor Storm
Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.

Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.

Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen -
So war es immer schon.

Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.

Stimme der Zeit 26.07.2011 06:09

Friedrich von Hagedorn
(* 23.04.1708 , † 28.10.1754)



Aurelius und Beelzebub

Es wird Aurel, der nichts, als Armuth, scheut,
Zum Mammonsknecht, zum Harpax unsrer Zeit.
Ihm ist der Klang von vielen todten Schätzen
Ein Saitenspiel, das Zählen ein Ergötzen.
Oft schläft der Thor, noch hungrig und mit Pein,
Vom Hüten matt, auf vollen Säcken ein;
Denn Geld und Geiz nimmt täglich bei ihm zu;
Geld ist sein Trost, sein Leben, seine Ruh′,
Sein Herr, sein Gott. Stets nagt ein scharfer Neid
Sein blutend Herz. Jüngst mehrt′ ein vielfach Leid
Des Wuchrers Qual und Unzufriedenheit.

Der Wittwen Fluch? Beraubter Waisen Ach?
Die Reue? Nein. Dergleichen Kleinigkeit
Gibt Reichen jetzt kein großes Ungemach.
Was wichtigers: Zu spät erfolgte Renten,
Ein drohender Protest, zu wenige Procenten,
Ein viel zu mildes Jahr, der zu fürwitz′ge Zoll.
Dies alles füllt sein Herz mit Unmuth, Zorn und Groll.
Er wird zuletzt verzweiflungsvoll.

Als er so großer Noth zu peinlich nachgedacht,
Ruft der Unsinnige sogar in einer Nacht
Den Satan an, und Satan schickt ihm gleich
Den größten Herrn aus seinem Reich,
Der jetzt, den Alten zu berücken,
In einer neuen Tracht erschien,
Wol zehnmal schöner, als wir ihn
In den Gemälden oft erblicken,
Wo ihm die Augen funkelnd glühn,
Und Hörner seine Stirne schmücken.
Er hatte weder Schweif noch Klauen,
Der Hölle zaubernde Gewalt
Gab ihm die menschliche Gestalt,
Und keinem durfte vor ihm grauen.
Er überkam, nach unsrer Stutzer Art,
Ein schönes leeres Haubt, ein wohl gepudert Haar,
Wobei zugleich dem Kinnchen ohne Bart
Ein Flügelwerk von Band, anstatt des Schattens, war.
Er selbst, wie seine Pracht, war ohne Fehl und Tadel,
Und Herr und Kleid von gleichem Adel.

Nur ließ man ihm (so lautet der Bericht)
Den einen Pferdefuß. Warum? Das weiß ich nicht.
Er war ja sonst, ohn′ allen Zweifel,
Ein hübscher, recht galanter Teufel.

Bald fand der karge Greis den längst gesuchten Rath,
Als dieser Cavalier zu ihm ins Zimmer trat.

Mein Herr, wie heißen Sie? ... Beelzebub ... Willkommen!
Der Oberste der Teufel? ... Ja ...
Ich hatt′ es nicht in Acht genommen,
Weil ich noch nicht auf dero Füße sah.
Sie setzen sich ... Wie geht es in der Höllen? ...
Wie lebt mein reicher Oheim da? ...
Recht wie ein Fürst.. Und wie befindet sich
Der Lucifer? ... Ich bitte dich,
Die Complimente einzustellen.
Dich reich zu machen, komm′ ich hier.
Ich bin dein Retter. Folge mir.

Sein Führer bringet ihn in einen öden Wald
Von heiligen bemoosten alten Eichen,
Den Sitz des Czernebocks, der Gnomen Aufenthalt,
Die Schlachtbank vieler Opferleichen.
Hier herrscht, fast tausend Jahr′, ein schwarzer wilder Schrecken
In grauser Finsterniß. Den unwirthbaren Sitz
Verklärt, doch selten nur, ein rother schneller Blitz.
Hier sollte sich der Trost Aurels entdecken.
Hier blieb der Fliegenfürst und sein Gefährte stehn.
Er stampft dreimal: dreimal erbebt der Grund:
Es öffnet sich ein lichter, tiefer Schlund,
Und läßt im Augenblick so große Baarschaft sehn,
Als würde fast der Reichthum aller Welt,
Hier an Geschmeid′ und Gold, den Augen dargestellt.
Sieh′, spricht der Höllengeist, auf diesem Platz
Liegt ein Geschenk für dich, der Schatz.

Wie wird der Filz durch dieses Wort entzückt!
Kein ird′sches Paradies scheint ihm so schön geschmückt,
So reich an innerm Werth. Kein Thumherr, kein Prälat,
Der seiner Pfründe Zins in Rheinwein vor sich hat,
Kein Bischof, der erfreut, an einem Kirchweihfest,
Das erste Glas besieht, das er sich reichen läßt,
Weiß mit so merklichem, doch wohlbefugtem, Sehnen
Sein fromm und fett Gesicht durch Lächeln auszudehnen.
Er streckt frohlockend aus die hoffnungsreiche Hand.
Wiewol, o harter Zwang! Glück voller Unbestand!
Halt, ruft Beelzebub, dies ist dir zwar gegeben,
Allein vor morgen nicht zu heben.

Der Schatz versinkt auf dieses Donnerwort.
Gestrenger Herr! wie kurz ist meine Freude!
Betrogener Aurel! wie findest du den Ort?
Den Busch? die Kluft? den Schatz? ... Er ist und bleibet dein.
Betrogen! Was? Ich ein Betrüger? ... Nein ....
Sei klug, und laß ein Zeichen dort,
Und nimm dir, wann es tagt, das Gold und das Geschmeide.

Gleich setzt er tiefgebückt sich und ein Zeichen hin.
Er jauchzt mit neuvergnügtem Sinn,
Und sagt aufs zierlichste mit vielen Worten Dank.
Beelzebub verschwand, standsmäßig mit Gestank.
Es springt Aurel um den bemerkten Platz,
Als ob er seinen Fund schon hätte;
Doch stößt er sich an einen Baum.
Aurel erwacht, (denn alles war ein Traum)
Und von dem vorgestellten Schatz
Bleibt nur das Zeichen in dem Bette.

Es ist der Geiz der Teufel vieler Alten,
Und der Beelzebub, der lockend sie bethört.
Ihr ungebrauchter Schatz ist aber nicht mehr werth,
Als was Aurel allhier erhalten.

.

Stimme der Zeit 07.09.2011 13:06

Ich halte die Stellung;), diesmal mit Kurt Tucholsky (1928):



Ehekrach

»Ja –!«

»Nein –!«

»Wer ist schuld?

Du!«

»Himmeldonnerwetter, laß mich in Ruh!« –

»Du hast Tante Klara vorgeschlagen!

Du läßt dir von keinem Menschen was sagen!

Du hast immer solche Rosinen!

Du willst bloß, ich soll verdienen, verdienen –

Du hörst nie. Ich red dir gut zu ...

Wer ist schuld –?

Du.«

»Ja.«

»Nein.«



– »Wer hat den Kindern das Rodeln verboten?

Wer schimpft den ganzen Tag nach Noten?

Wessen Hemden muß ich stopfen und plätten?

Wem passen wieder nicht die Betten?

Wen muß man vorn und hinten bedienen?

Wer dreht sich um nach allen Blondinen?

Du –!«



»Nein.«

»Ja.«

»Wem ich das erzähle ... !

Ob mir das einer glaubt –!«

»Und überhaupt –!«

»Und überhaupt –!«

»Und überhaupt –!«



Ihr meint kein Wort von dem, was ihr sagt:

Ihr wißt nicht, was euch beide plagt.

Was ist der Nagel jeder Ehe?

Zu langes Zusammensein und zu große Nähe.



Menschen sind einsam. Suchen den andern.

Prallen zurück, wollen weiter wandern ...

Bleiben schließlich ... Diese Resignation:

Das ist die Ehe. Wird sie euch monoton?

Zankt euch nicht und versöhnt euch nicht:

Zeigt euch ein Kameradschaftsgesicht

und macht das Gesicht für den bösen Streit

lieber, wenn ihr alleine seid.



Gebt Ruhe, ihr Guten! Haltet still.

Jahre binden, auch wenn man nicht will.

Das ist schwer: ein Leben zu zwein.

Nur eins ist noch schwerer: einsam sein.
.

Odiumediae 09.09.2011 09:40

Späte Sonnen
Wolf Graf von Kalckreuth (1887–1906)

Der Puls des Lebens ist der Nachmittag,
Wann sich die Sonnenlichter seltsam färben
Und wir betäubt in gelber Glut ersterben
Im schweren Gold, dem unser Herz erlag.

Ein spätes Flimmern ruht auf Laub und Hag,
Die langsam uns verzehren und verderben.
Und wie ein edler Wein aus dunklen Scherben
Rinnt unser Blut, das nichts mehr hemmen mag.

O laß den Schlummer nicht die Lider schließen,
Daß nicht der trunknen Klarheit stummes Fließen
Dein Herz durchdringt, das fremde Wunder schaut!

Die Strahlen brennen und ihr Gift ist tödlich:
O harre aus, bis dämmerhaft und rötlich
Der Abend auf die blassen Bäume taut.

Erich Kykal 09.09.2011 10:30

XXIX. Sonett an Orpheus (zweiter Teil) von RAINER MARIA RILKE
 
Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,
wie dein Atem noch den Raum vermehrt.
Im Gebälk der finstern Glockenstühle
lass dich läuten. Das, was an dir zehrt,

wird ein Starkes über dieser Nahrung.
Geh in der Verwandlung aus und ein.
Was ist deine leidenste Erfahrung?
Ist dir Trinken bitter, werde Wein.

Sei in dieser Nacht aus Übermaß
Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,
ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

Und wenn dich das Irdische vergaß,
zu der stillen Erde sag: Ich rinne.
Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.

Dana 10.09.2011 21:00

Und noch ein Schönes: :)


Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke

Stimme der Zeit 11.09.2011 16:43

.
Heinrich Heine (1797-1856)

Die Wanderratten

Es gibt zwei Sorten Ratten:
Die hungrigen und satten.
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die hungrigen aber wandern aus.

Sie wandern viel tausend Meilen,
Ganz ohne Rasten und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.

Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl durch die Seen;
Gar manche ersäuft oder bricht das Genick,
Die lebenden lassen die toten zurück.

Es haben diese Käuze
Gar fürchterliche Schnäuze;
Sie tragen die Köpfe geschoren egal,
Ganz radikal, ganz rattenkahl.

Die radikale Rotte
Weiß nichts von einem Gotte.
Sie lassen nicht taufen ihre Brut,
Die Weiber sind Gemeindegut.

Der sinnliche Rattenhaufen,
Er will nur fressen und saufen,
Er denkt nicht, während er säuft und frißt,
Daß unsre Seele unsterblich ist.

So eine wilde Ratze,
Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze;
Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld
Und wünscht aufs neue zu teilen die Welt.

Die Wanderratten, o wehe!
Sie sind schon in der Nähe.
Sie rücken heran, ich höre schon
Ihr Pfeifen - die Zahl ist Legion.

O wehe! wir sind verloren,
Sie sind schon vor den Toren!
Der Bürgermeister und Senat,
Sie schütteln die Köpfe, und keiner weiß Rat.

Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,
Die Glocken läuten die Pfaffen.
Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigentum.

Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete,
Nicht hochwohlweise Senatsdekrete,
Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder,
Sie helfen euch heute, ihr lieben Kinder!

Heut helfen euch nicht die Wortgespinste
Der abgelebten Redekünste.
Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen,
Sie springen über die feinsten Sophismen.

Im hungrigen Magen Eingang finden
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen,
Nur Argumente von Rinderbraten,
Begleitet mit Göttinger Wurstzitaten.

Ein schweigender Stockfisch, in Butter gesotten,
Behaget den radikalen Rotten
Viel besser als ein Mirabeau
Und alle Redner seit Cicero.
.

Erich Kykal 07.10.2011 21:07

DER FREMDE - Rainer Maria Rilke
 
Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten,
die er müde nichtmehr fragen hieß,
ging er wieder fort, verlor, verließ -.
Denn er hing an solchen Reisenächten
anders als an jeder Liebesnacht.
Wunderbare hatte er durchwacht,
die mit starken Sternen überzogen
enge Fernen auseinanderbogen
und sich wandelten wie eine Schlacht;

andre, die mit in den Mond gestreuten
Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten,
sich ergaben, oder durch geschonte
Parke graue Edelsitze zeigten,
die er gerne in dem hingeneigten
Haupte einen Augenblick bewohnte,
tiefer wissend, daß man nirgends bleibt;
und schon sah er bei dem nächsten Biegen
wieder Wege, Brücken, Länder liegen
bis an Städte, die man übertreibt.

Und dies alles immer unbegehrend
hinzulassen, schien ihm mehr als seines
Lebens Lust, Besitz und Ruhm.
Doch auf fremden Plätzen war ihm eines
täglich ausgetretnen Brunnensteines
Mulde manchmal wie ein Eigentum.

Stimme der Zeit 08.10.2011 20:57

J. W. Goethe, Sonette, II:

Freundliches Begegnen

Im weiten Mantel bis an's Kinn verhüllet,
Ging ich den Felsenweg, den schroffen, grauen,
Hernieder dann zu winterhaften Auen,
Unruh'gen Sinns, zur nahen Flucht gewillet.

Auf einmal schien der neue Tag enthüllet:
Ein Mädchen kam, ein Himmel anzuschauen,
So musterhaft wie jene lieben Frauen
Der Dichterwelt: Mein Sehnen war gestillet.

Doch wandt' ich mich hinweg und ließ sie gehen
Und wickelte mich enger in die Falten,
Als wollt' ich trutzend in mir selbst erwarmen;

Und folgt ihr doch. Sie stand. Da war's geschehen!
In meiner Hülle konnt' ich mich nicht halten;
Die warf ich weg, sie lag in meinen Armen.

Chavali 09.10.2011 13:15

Oktoberlied
 
THEODOR STORM





Oktoberlied

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!
Und geht es draußen noch so toll,
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schöne Welt,
So gänzlich unverwüstlich!
Und wimmert auch einmal das Herz -
Stoß an und laß es klingen!
Wir wissen's doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.
Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!
Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.
Die blauen Tage brechen an,
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Genießen, ja genießen!













Erich Kykal 09.10.2011 14:28

ABSCHIED - Rainer Maria Rilke
 
Wie hab ich das gefühlt, was Abschied heißt.
Wie weiß ich's noch: ein dunkles unverwundnes
grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.

Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen,
das, da es mich, mich rufend, gehen ließ,
zurückblieb, so als wären's alle Frauen
und dennoch klein und weiß und nichts als dies:

Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen,
ein leise Weiterwinkendes - , schon kaum
erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum,
von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen.

Chavali 10.10.2011 09:33

In der Fremde
 
Heinrich Heine

In der Fremde



Es treibt dich fort von Ort zu Ort,
Du weißt nicht mal warum;
Im Winde klingt ein sanftes Wort,
Schaust dich verwundert um.

Die Liebe, die dahinten blieb,
Sie ruft dich sanft zurück:
O komm zurück, ich hab dich lieb,
Du bist mein einz'ges Glück!

Doch weiter, weiter, sonder Rast,
Du darfst nicht stillestehn;
Was du so sehr geliebet hast,
Sollst du nicht wiedersehn.

2

Du bist ja heut so grambefangen,
Wie ich dich lange nicht geschaut!
Es perlet still von deinen Wangen,
Und deine Seufzer werden laue.

Denkst du der Heimat, die so ferne,
So nebelferne dir verschwand?
Gestehe mir's, du wärest gerne
Manchmal im teuren Vaterland.

Denkst du der Dame, die so niedlich
Mit kleinem Zürnen dich ergötzt?
Oft zürntest du, dann ward sie friedlich,
Und immer lachtet ihr zuletzt.

Denkst du der Freunde, die da sanken
An deine Brust, in großer Stund'?
Im Herzen stürmten die Gedanken,
Jedoch verschwiegen blieb der Mund.

Denkst du der Mutter und der Schwester?
Mit beiden standest du ja gut.
Ich glaube gar, es schmilzt, mein Bester,
In deiner Brust der wilde Mut!

Denkst du der Vögel und der Bäume
Des schönen Gartens, wo du oft
Geträumt der Liebe junge Träume,
Wo du gezagt, wo du gehofft?

Es ist schon spät. Die Nacht ist helle,
Trübhell gefärbt vom feuchten Schnee.
Ankleiden muß ich mich nun schnelle
Und in Gesellschaft gehn. O weh!

3

Ich hatte einst ein schönes Vaterland.
Der Eichenbaum
Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft.
Es war ein Traum.

Das küßte mich auf deutsch, und sprach auf deutsch
(Man glaubt es kaum,
Wie gut es klang) das Wort: »Ich liebe dich!«
Es war ein Traum.




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