Gedichte-Eiland

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Felix 25.11.2016 19:06

Schreibhemmung
 
In froher oder trüber Laune, manchmal
geküsst von roten, weichen Lippen meiner
so sehr geliebten Muse, zeugte ich euch,
ihr Wohlgeratnen, leider auch Kretins,
mit heitrem Lachen, häufig aber auch
die heißen Tränen unterdrückend, schluchzend
zur Mitternacht allein und in Gedanken
versunken und die Feder mühsam haltend.

So leicht die Tinte fließt, wenn Lieb die Pulse,
das leicht entflammte Herz zu raschem Schlage
verführt - so sehr behindern Seelennöte
den Flug des Geistes über Zeit und Raum;
du kämpfst vergeblich, suchst nach Form und Sinn -
wo Liebe nicht das Szepter schwingt, gelingen
die Reime nicht, Metaphern hinken lahmend
und niemand hat an dem Gedicht Vergnügen.

Drum sorge für die beste Sonntagslaune,
vertreib die Nachtgedanken durch ein Liedchen
und pfeif noch eins, wills erste nicht gelingen -
dann nimm dein süßes Liebchen auf den Schoß,
genieß mit ihm den ersten Wein des Tags.
Und auf den Flügeln deines Frohgesanges,
begeistet durch des edlen Rieslings Tropfen,
da zeugst du küssend deine schönsten Töchter. :Blume:

Angelika 26.11.2016 08:08

Hallo Felix, ich bin ja auch der Ansicht, die Welt sollte voller Liebe sein. Aber ist das ungestört möglich unter den heutigen Zuständen? Da macht sich der Mensch seine eigene Welt zurecht, zieht sich zurück, und was bleibt, ist die Liebe nicht zur ganzen Menschheit, aber zum anderen Geschlecht. Mir fällt da ein Bild ein, der Maler mit Saskia auf dem Schoß, das Glas dem Betrachter entgegenhebend: Was kostet die Welt?

Ich finde das Gedicht frisch und munter geschrieben. Was mich allerdings ein bisschen irritiert, ist die Form es Prosagedichts, ich hätte es mir durchaus gereimt vorstellen können. Aber das ist des Verfassers Ansichts- und Geschmackssache.

Antigone

Felix 26.11.2016 10:49

Guten Morgen, liebe Antigone
ach, weißt Du, ich denke, die Welt ist voller Liebe - wer sucht, der findet und wer nicht sucht, den findet sie. Ich halte mich da an Schiller ("Wem der große Wurf gelungen/eines Freundes Freund zu sein/wer ein holdes Weib errungen/mische seinen Jubel ein/ja, wer auch nur eine Seele/sein nennt auf dem Erdenrund/wer dies nie gekonnt, der stehle/weinend sich aus diesem Bund"). Ich bin ein geborener Optimist und - meistens bin ich damit gut gefahren.
"Frisch und munter geschrieben" - dafür danke ich Dir sehr!
Zur Form: Es ist kein Prosagedicht. Ich habe mich ziemlich streng an die Anforderungen des Blankverses gehalten (der lange Zeit eine beherrschende Gedichtform war (Dein Nickname Antigone hat griechische Ursprünge, deshalb mein kleiner Hinweis auf Goethes Iphigenie:
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel...............xXxXxXxXxXx
Des alten, heil'gen, dichtbelaubten Haines,.......xXxXxXxXxXx
Wie in der Göttin stilles Heiligtum,..................xXxXxXxXxX
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,....xXxXxXxXxX
Als wenn ich sie zum erstenmal beträte,..........xXxXxXxXxXx

Diese Endfassung, die vorher in Prosa geschrieben war, besteht (bis auf das Lied an die Parzen) aus Blankversen, fünfhebigen, jambischen Versen mit teils weiblichen, teils männlichen Kadenzen.
Nun bin ich ja nicht größenwahnsinnig und vergleiche mich mit Goethe - das Beispiel sollte nur zeigen, dass der Blankvers (blank von Reimen) eine elegante Sprache hervorbringen kann. Endreime - ich habe die meisten meiner Werklein endgereimt - sind ein Gestaltungsmittel, aber bei genauerem Hinsehen wirst Du merken, dass die Mehrzahl der "großen" Gedichte mit anderen Gestaltungsmitteln zur gebundenen Rede geworden sind.
Schluss des Vortrages - ich danke Dir für Dein Lob!
Liebe Grüße,
Felix

Angelika 29.11.2016 09:45

Felix, ja, da habe ich nicht drauf geachtet, dass es ein Blankvers ist, die Ähnlichkeit des Blankverses mit dem Prosavers soll meine Zerstreutheit entschuldigen. Hier eine Anekdote:

"An der Kasse eines Berliner Theaters fragt ein vorsichtiger Besucher noch einmal misstrauisch nach: 'Das Stück ist doch nicht in Versen?' Von der Kassiererin erhält er die beruhigende Antwort: 'Doch - aber man merkt es nicht!'" (Quelle: Deutsche Verslehre, Erwin Arndt)

Angelika

Felix 29.11.2016 10:41

Liebe Angelika,
ich weiß - leider - mit dem Begriff "Prosavers" nicht viel anzufangen. Erklärlich nur, wenn ich etwas in Prosa (ungebundener Rede) schreibe und durch willkürliche Zeilenumbrüche dem Geschriebenen rein äußerlich die Form eines Gedichts gebe.
Sowie ich diese in Prosa geschriebenen Zeilen (= Verse) entweder durch Reime (Anfangs-, Binnen- oder Endreime und/oder metrische Regelmäßigkeiten bearbeite, gelange ich in den Bereich der Poesie. (So würde ich das in Kurzform definieren).
Weil ich Goethes Iphigenie angeführt habe: Sie war in der Urfassung in Prosa geschrieben; Goethe bearbeitete das Stück und heraus kam die bekannte Fassung.
Das alles soll nicht oberlehrerhaft klingen, aber ich wäre froh, wenn wir uns darauf einigen, was ich da gerade versucht habe zu erklären.
Liebe Grüße,
Felix

Dana 29.11.2016 17:45

Hallo Felix,
ich lese darin eine Ode an die Muse. Wer dieses Liebchen für sich "gewonnen" hat, der kann den Tag zum Sonntag machen und mit ihr wunderschöne Töchter (Gedichte) zeugen.
Dabei ist es nicht notwendig zu träumen, dass sich die ganze Welt in Harmonie bewegt. Ich nenne das oft "sich ein kleines eigenes Universum zu schaffen".:o

Habe hier auch gern Deine Erklärung zu Blankversen gelesen und kann mir sehr gut vorstellen, dass jene sehr bedacht geformt und "gesinnt" sein müssen, um als schönes Gedicht anzukommen. Das gelingt Dir immer wieder sehr gut.:Blume:

Liebe Grüße
Dana

Felix 29.11.2016 19:10

Guten Abend, liebe Dana
"ein kleines, eigenes Universum schaffen" - ja, das ist eine große Kunst!
Die küssende Muse als Liebchen auf dem Schoß zu personalisieren, warum nicht? Und wenn ich versuche, mir eine eigene kleine Welt zu "malen", warum sollte ich auf trübe stimmende Farben zurück greifen (um hauptsächlich die Welt aus einer Perspektive zu sehen und dann auch noch "genüsslich" zu beschreiben? Trotzdem reizt es mich zur Zeit, ein Gedicht über die Hölle und ihre Qualen zu schreiben, aber mit dem Hintergedanken, die "Erfinder" der ewigen Verdammnis, des unaufhörlichen Grillens und weiterer sadistischer Foltermethoden als das zu entlarven, was sie sind: Kranke Geschöpfe.
Bei manchen Gedichten überfallen mich ähnliche Vermutungen.
Die Blankverse, die ich immer wieder mal verwende, halte ich immer dann für einigermaßen gelungen, wenn die Leser/innen die Reime (ich glaube, wir haben diese Gestaltungsmöglichkeit bei den Arabern "geklaut", beginnen also die deutsche Dichtung erst nach den Kreuzzügen zu erobern) gar nicht vermissen.
Danke schön für Deine liebenswürdigen Zeilen!
Felix


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