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Terrapin 09.02.2017 14:01

02. Februar 2017
 
Du bist die Jedermann-Marionette,
die nach den Fäden tanzt und dann erschlafft.
Dein flüchtiges Profil fließt schattenhaft
entlang den Häuserwänden fremder Städte.

Zerschlage mit geballter Faust die Kette
der lebensfeindlichen Gefangenschaft!
Erlang in deinem Aufbegehren Kraft
genug, daß dich der Drang der Freiheit rette.

Doch hast du alles Alte und den Gram,
die Mauern und die Grenzen umgerissen -
die Wertepflicht, die dich in Anspruch nahm...

lässt dich die vielersehnte Freiheit wissen,
du wirst den Kreislauf, der da schleichend kam,
im Banne der Gewohnheit bald vermissen.

Erich Kykal 09.02.2017 14:20

Hi Pinni!

WOW - ein tolles Sonett! Chapeau! :Blume:

Einzig das Komma nach "Gewohnheit" in der letzten Zeile ist zu streichen - ansonsten ohne Fehl und Tadel!

Sprachlich erhaben erobert ein Aufschrei hier das Leserherz, sich der Anonymität des Alltags zu entringen!
Um den Bogen zu schließen, begreift die Conclusio, dass der Mensch mit nichts zufrieden sein kann, und dass er die Sicherheit seiner täglichen Mühle letztlich dem steten Abenteuer vorzieht.

Beides ist wohl nötig für ein erfülltes Leben: Das himmelstürmende Wagnis ab und zu - und ansonsten die verlässliche Wiege der Gewohnheit!


Ausgesprochen gerne gelesen und bewundernd genossen! :)

LG, eKy

Dana 09.02.2017 18:51

Hallo Terrapin,
Dein Sonett fordert fast an, mehrfach zu lesen. Nicht ob des Verstehens. Man genießt staunend Sprache und Aussage.
Das wahre "Mittelmaß" für alles zu finden ist kein Leichtes. Dazu gehört, das eigene Mittelmaß zu kennen.
Sehr, sehr schön und gut verdichtet.

Liebe Grüße
Dana

Erich Kykal 09.02.2017 19:59

Hi Pinni!

Hab was übersehen:

Ans Ende der vorletzten Zeile gehört ein Komma, um den Einschub "der da schleichend kam" abzuschließen.

Du hattest ursprünglich einen längeren Einschub (mit der Hälfte der letzten Zeile noch dabei), daher auch das von mir monierte Komma in der letzten Zeile: der Einschub war so lang, dass ich ihn nicht erkannte.

Aus stilistischen und betonungstechnischen Gründen rate ich also dazu, den Einschub durch Kürzung übersichtlich zu machen, indem du das (im letzten Kommi von mit monierte) Komma aus der letzten Zeile ans Ende der vorletzten Zeile zurückstellst.

LG, eKy

juli 10.02.2017 09:40

Hallo Terrapin,

Auch ich finde dein Sonett toll!:Blume:

Hier geht es um die innere Freiheit, um Befreiung von den gesellschaftlichen Zwängen und um Gewohnheit, die den Protagonisten wieder zurückwirft in die alten Bahnen. Du wertest nicht, erzählst mehr und lässt mich als Leser deinem Denken ruhig folgen. Man denkt nach, „ Was ist die Mitte?“ „ Wo stehe ich?“

Sehr gerne gelesen und begeistert.:Blume::)

Liebe Grüße sy

:Blume::Blume::Blume:

Terrapin 10.02.2017 13:26

Dank euch allen für die positiven Worte.

Einen gewissen Stolz auf dieses Schreibwerk kann ich nicht von mir weisen.
Auch da es eines der seltenen Sonette ist die das ursprüngliche Verhalten von These, Antithese und Synthese ziemlich streng vorführt. Wobei dies nicht in meiner Absicht begriffen war, da ich diesen thematischen Würgegriff für zu einspurig und unrelevant halte.
Dabei ist seine Entstehung recht interessant.
In Brasilien skizzierte ich eines Abends einigen Halbverse mit Reim, schon beabsichtigend, das es sich um ein Sonett Händle.
Dabei stand zu erst die jetzige zweite Strophe.
Zurück in Deutschland schlich sich mir der Reim Marionette unter, den ich die Tage im Hinterbewusstsein behielt. Schon mehr oder weniger wissend, das dieser ideal als Einstieg die anderen, folgenden sinngemäß nach sich rekrutieren würde. (Dies Gefühl hatte ich von Anfang an bei diesem Gedicht, nicht wissend wo es hinführe und wo und wie es Ende - die Terzette waren ja noch nicht ihrer
Gegenständlichkeit und ihres Innenlebens bewusst.)
Den einen Abend dann ergriff der Rhythmus die gegebenen Reime und komponierte Strophe eins aus der brasilianischen Skizze, wobei hier die Reime, getrennt von ihrem ursprünglichen Inhalt eine neue Bedeutung erfahren sollten.
- Strophe Zwei stand schon so gut wie zur hälfte und musste nur mit wenigen Griffen der geübten Hand dem Wunsch der Muse zu gefallen wissen.
Die Terzette bildeten dann ihr, wie erwartet und vorgesehen, eigenes Kapitel.
Das Fundament der Quartette lagerte ja schon im Erdreich, bereit den Gegebenheiten seines hiesigen Raumes eine Fläche für den außerweltlichen Makrokosmos als kleinsten gemeinsamen Atemzug zu geben.

So etwas weit ausgeholt für simple 14Zeilen. Soll es so.

Mir selbst hat es auch den Anschein als trägen die Baudelairischen Prosatexte (Le Spleen de Paris/ Petits Poems en Prosa), die ich während der Reise aufmerksam las, einen unterschwelligen Anklang bei, der etwas abgewandelt nachwirkt. Anbei ist es mir eine Pflicht zu vermerken, das baudelaires Prosaschriften eine sehr zu empfehlende Lektüre stellen für jeden Kunstinteressierten. Ein Meister seiner Sprache.

Herzliche Grüße, Terrapin.


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