Gedichte-Eiland

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Erich Kykal 10.08.2014 11:10

Lebensmüde
 
Der Tag ist schön. Des Himmels klare Tiefe
umrahmt der Wälder Grün mit lichtem Blau.
Ich wüsste kaum zu sagen, wo genau
die Traurigkeit mir winkt, als ob sie riefe.

Und doch, sie ist mein ständiger Begleiter,
ein Umhang wie aus Regenkühl und Nacht,
der alles gleich und sonder Freude macht,
als winkte mich das Leben einfach weiter.

Der Tag ist schön. Die Kinder spielen Fangen
und Schmetterlinge tanzen übers Gras.
Die ganze Welt wirft Lust und Übermaß
um frohe Blicke und erhitzte Wangen.

Mich ruft nichts mehr in dieses bunte Treiben,
ich bin der Spiele und der Spieler satt.
Wohl dem, der keine Lebensfreude hat,
dem keine Freunde oder Träume bleiben.

Er ruht in sich, kein regelloses Fühlen
befördert einen Trieb, der ihn verletzt.
Kein Überschwang, der seine Seele hetzt,
und nicht Begehrlichkeit, darin zu wühlen.

Es wäre gut, behielte mich das Schweigen
allein in seinem Hort aus leerer Zeit
und winkte nicht all diese Traurigkeit
mir täglich zu aus jedem Bilderreigen.

Chavali 10.08.2014 11:54

Hallo Erich,

als ich deine Zeilen las, musste ich weinen :(
Sie berühren und gehen zu Herzen und lassen tief in die Seele und Gedanken eines einsamen Menschen schauen.

Er ist losgelöst von allem, was (ihn) an das Leben binden kann, nichts kann ihn mehr erfreuen.
Vielleicht hat er auch alles verloren, was er je liebte.
Es scheint, als habe er in Frieden mit allem abgeschlossen. Nur vage noch erinnert er sich an schönere,
bessere, ausgefüllte Tage.

Und doch - in der letzten Strophe klingt durch, dass in ihm schmerzliche Erinnerungen wohnen,
die ihn traurig machen.

Ein überaus poetisches Werk, lieber Erich!
Die umarmenden Reime tun ein Übriges, um das Gedicht tief melancholisch zu nennen.

Der Leser kann nur hoffen, dass der Protagonist noch soviel Kraft aus den guten Erinnerungen schöpft,
um ihm ein Weiterleben zu ermöglichen.
Denn es sollte doch immer noch etwas geben, wofür es sich zu leben lohnt.


Sehr gern gelesen, darüber sinniert und mitgefühlt hat mit lieben Grüßen
Chavali :)

Thomas 10.08.2014 18:00

Lieber Erich,

das Gedicht ist so gut gemacht, dass man es in depressiver Stimmung wohl besser nicht lesen sollte. Die Traurigkeit ist wohl das Letzte was bleibt, bzw. geht. Jetzt musst du aber zum Ausgleich auch etwas Lustiges schreiben.

Liebe Grüße
Thomas

Erich Kykal 10.08.2014 18:32

HI, Chavi, Thomas!

Vielleicht sollte ich in meinen düsteren Stimmungen besser nicht dichten? Na, jedenfalls beschreiben all diese Gedichte im Grunde nur meine eigene Gefühlslage - ich rede mich da nicht gern auf ein künstlerisches "LyrIch" aus. Nein, was ich schreibe, das bin ich (meistens).
Interessanterweise geht es mir nach der Niederlegung solcher Trübsal in Reimen oft um einiges besser - eine Art Seelenhygiene sozusagen. Oder brutal gesagt: Ein Magen, der sich auskotzen kann, lebt gesünder!

Vielen Dank für eurer positives Feedback!:)

LG, eKy

Thomas 10.08.2014 19:55

Lieber Erich,

ich finde es gut, dass du das so offen sagst. Ich selbst halte das Geschwätz vom "LyrIch" für einen rechten Scheißdreck, von Leuten, die entweder feige sind oder nichts verstehen. Ich selbst versuche jedoch nicht zu schreiben, solange ich in eine bestimmten Stimmung bin, sondern erst später, weil ich einen Rat Friedrich Schillers beherzige, der sagt: "Ein Dichter nehme sich ja in Acht, mitten im Schmerz den Schmerz zu besingen... Aus der sanftern und fernenden Erinnerung mag er dichten." Ich nehme das unmittelbar geschriebene später als Rohmaterial, wobei mein Rohmaterial auch sehr viel schlechter ist, als das was du z.B. hier schreibst.

Mein Rat bezüglich des Lustigen ist ernst gemeint, denn ich merke (bei mir jedenfalls), dass das Nachdenken über das Komische einer an sich tragischen Situation eine aufheiternde Wirkung hat, und manchmal kommt etwas wirklich lustiges dabei heraus. Viele meiner Maier-Gedichte sind z.B. aus tiefer Frustration entstanden.

Liebe Grüße
Thomas

Chavali 10.08.2014 20:11

Hi Erich,

Zitat:

Vielleicht sollte ich in meinen düsteren Stimmungen besser nicht dichten?
...aber gerade dann! Dann entstehen die schönsten, die tiefsten Gedichte und man fühlt sich hinterher besser.
Das ist wie ein Gespräch mit einem lieben verständnisvollen Menschen - mit sich selbst ;)
und das ist noch immer seelenreinigend!

Gern nochmal hier gewesen!
Chavali

Erich Kykal 10.08.2014 22:59

Hi, Thomas, Chavi!

Tut mir leid, Thomas, aber in diesem Punkt gebe ich Chavi recht - zum einen tut es gut, sich etwas von der Seele zu schreiben, zum anderen ist man kaum je sonst so innig emotional beteiligt und authentisch.

Schiller hat das gesagt? Ehrlich gesagt, genauso hört sich vieles seiner Lyrik auch an: Hocheloquente Sprachkunst, aber distanziert, verschnörkelt, irgendwie zu perfekt, als dass man ihm innige Beteiligung unterstellen möchte. Er beschreibt Gefühle, er ruft sogar zu Gefühlen auf, aber er vermittelt sie nicht, er macht sie mittels seiner Sprache nicht direkt spürbar.
Wenn das das Ergebnis seines Rates ist, dann möchte ich ehrlich gesagt lieber ab und zu gefühlsmäßig die Kacke spritzen lassen!:D

LG, eKy

juli 11.08.2014 10:09

Hallo eKy :)
 
Du, wenn ich ehrlich bin, ich habe Schiller und Goethe und wie sie alle heißen nicht so viel gelesen.:rolleyes::o:o

Es reicht mir hier zu sein, und dieses Gedicht beweist, das ich nichts vermisse.

Du transportierst der Gefühl der Traurigkeit, das sich Leerfühlen und gleichzeitig die Schönheit des Lebens, mit einem Gedicht:Blume::Blume::Blume:


Es macht sehr traurig und ich konnte gut mitfühlen:)

Liebe Grüße sy

Erich Kykal 11.08.2014 13:13

Hi, Sy!

Vielen Dank für das direkte und das indirekte Lob! Habe beides sehr genossen!:Kuss

Wenn du allerdings glaubst, dir entginge nichts, wenn du keine "Klassiker" liest, dann irrst du schwerstens! Manches mag verstaubt klingen oder abgehoben in heutigen Ohren, aber sehr vieles ist immer noch Lesegenuss und Ohrenschmaus vom Allerfeinsten!
Mein absoluter Liebling ist natürlich Rilke - da genügen ein paar Seiten Lektüre, und ich fange allein ob der Schönheit der Sprache zu weinen an! Sein lyrisches Gesamtwerk solltest du dir unbedingt zulegen.
Aber auch Goethe hat viel Schönes, Hesse und manch andere. Da soll jeder nach eigenem Gusto selektieren!
Du lernst auch viel dabei, schulst dein lyrisches Ohr, erweiterst deinen Sprachschatz und und und...

LG, eKy

Cebrail 11.08.2014 15:13

Hallo Erich,
eines deiner Gedichte welches mich besonders anspricht.

Allein der Einstieg.

Der Tag ist schön.

Vier Worte, die schnörkellos eine Menge sagen und doch, so wie sie da stehen, anmerken lassen, dass diese Schönheit den Erzähler nicht erreicht.
Diese vier Worte flüstern dann in der zweiten Hälfte nochmal auf mich ein und drücken auf mein Gemüt, lassen es noch deutlicher werden. Ich finde das schafft für eine große Intensität und gibt dem Gedicht einen sehr guten Kontrast, da hier der Tag wie er einfach ist im krassen Gegensatz zu den Empfindungen des Erzählers dargestellt wird.

Dieses Gedicht hat mich gepackt und mitgenommen, es fühlt sich an als hättst du mit Effekten gespart ohne aber auf die Schönheit des Wortes zu verzichten, du beschreibst hier einfach wie es ist und es trifft.
Ins Herz.


Diesen Satz von Thomas;

Zitat:

Zitat Thomas;
Ich selbst halte das Geschwätz vom "LyrIch" für einen rechten Scheißdreck, von Leuten, die entweder feige sind oder nichts verstehen.
halte ich persönlich für ziemlich daneben.

Ich zum Beispiel habe nicht alle Situationen die ich in meinen Zeilen beschreibe selber erlebt und muss deshalb von einem LyI sprechen.
Das hat nichts mit feige oder nicht begreifen zu tun.
Außerdem sollte es, meiner Meinung nach, jedem Schreibenden selber überlassen sein wie viel er von seinem Seelenleben bekannt gibt bzw. was er aus seinen Gedichten/Geschichten auf sich bezieht.

Wenn du, Erich, nun sagst, dass die Worte aus deinem Innenich kommen ehrt dich solche Offenheit, aber nicht jeder kann oder will das.

Vielleicht sagt der von mir zitierte Satz auch nur aus, dass dessen Verfasser nichts versteht oder eben eine eingeschränkte/andere Sichtweise hat und das soll nun kein Angriff auf Thomas sein, nur eben ein Appell dafür, dass jeder mit seinen Texten umgehen mag wie es ihm beliebt.

Es hängt alles immer von der Perspektive des Betrachters ab und ab und an sollte man vielleicht auch mal einen Schritt zur Seite tun um den Blickwinkel zu verändern, ein richtig oder falsch gibt es nicht, aber ein Miteinander.

Wie auch immer, so fasst ein jeder das wohl anders auf.

Ebenso stimme ich auch klar mit Erich und Katzi überein, dass man in trüben Stimmungen schreiben kann und sollte und denke, dass man „Bauchgedichte“ irgendwie auch mehr spürt als „Kopfgedichte“.

Bei mir heißt das übrigens "Rausschreiben".

Zurück zu den Zeilen.
Die Umschreibung;
„ein Umhang aus Regenkühl und Nacht“ ist einfach nur wunderbar getroffen und klingt lange nach.

Erich,
ich habe hier Zeilen vor mir die das Prädikat Gedicht wirklich verdienen und es ist eines von denen die bestimmt des Öfteren lesen werde.

Nen Gruß
C.

Erich Kykal 11.08.2014 18:55

HI, Cebrail!

Vielen Dank für deine ausführliche - und so positive - Kommentierung.

Gedichte dürfen ja mehrdeutig sein, ein jeder mag darin sehen, was ihm am nächsten liegt. Ich bestehe nicht darauf, dass meine Intention beim Schreiben die einzig gültige sein und bleiben muss.
Ich verwahre mich nur, wenn jemand etwas hineinliest, was meinem Wertekodex zuwider läuft - sowas muss man richtigstellen.
Ich halte die bewussten Nutzer von LyrIchs nicht für "feige" - es ist ein statthaftes lyrisches Mittel, Nähe und Unmittelbarkeit zu erzeugen. Ich sagte ja nur, dass ich persönlich meist ohne auskomme - ganz ohne Wertung, für die hat erst der Thomas gesorgt.
Oft wird mir in Kommentaren ein LyrIch zugedeutet, wo gar keins gemeint war. Das kommt aber oft daher, dass man als Kommentator niemanden vor den Kopf stoßen will, und ein LyrIch anzusprechen ist unverbindlicher als gewisse Inhalte gleich direkt dem Autor zu unterstellen - ein "diplomatischer Akt vorauseilender Höflichkeit" sozusagen:D. Wer wollte das jemandem krumm nehmen?

LG, eKy

Dana 12.08.2014 20:11

Lieber eKy,
Titel: Lebensmüde - Start: Der Tag ist schön :):Kuss;)

Wenn mich Gedichte berühren oder zutiefst treffen, dann steht immer das Gedicht allein da und ich bewundere, bestaune und fühle mich in der ersehnten "Sprachkunst" bestätigt. Das können nur Dichter, wie du einer bist.
Im Forumleben kennt man sich aufgrund der Sprachkunst. Kommentare und "Geständnisse" vertiefen den Umgang in den Aussagen.
Das lyr. Ich, das sich "auskotzt";) oder jenes, das aus "Erfahrung" verdichtet sind gleichberechtigte "Wesen". Beide wollen sich mit einem Anliegen, einem Traum und einer Sichtweise mitteilen.
(Nicht selten habe ich Gedichte in Ich-Form umgestellt, um nicht als Ich erkannt zu werden.:()
Ich erwische mich immer wieder dabei, wenn ich z. B. Goethe, Rilke, Hesse u.a. lese, dass ich ihnen nur zu gerne unterstelle, sie hätten bestimmte Situationen er- und gelebt wie ich. Diese "Vermischung" und "Unterstellung" ist für mich völlig "legal". Eigentlich das Großartigste, sich in einem Gedicht selbst zu finden.

Mit "Lebensmüde" hast du unendlich berührt. Solche Stimmungen und Sichtweisen "kennt" man. Bekommt man sie in einer lyrischen Melodie dargestellt, genießt man es als Leser.
Wenn derselbe Autor ab übermorgen ausschließlich das Glück besingt, das man auch kennt, wird sich ein anderer und derselbe Leser wieder berühren lassen und schwelgen.

Das ist die Wirkung der Poesie.

Ich kann in gänzlich gegensätzlichen Gedichten abtauchen und immer selbst entscheiden, welches ich derzeit wie annehme.

Dieses ist unendlich traurig und ebenso unendlich schön.

Liebe Grüße
Dana

Erich Kykal 13.08.2014 08:42

Hi, Dana!

Es freut mich, dass ich dich mit meinen Zeilen berühren konnte, so wie du mich mit diesem schönen und vertiefenden Kommentar!:):Kuss

Als Dichter gehe ich eigentlich immer von eigenen Emotionen aus, wenn ich schreibe. Die pathetische Anklage, die moralisierende Aussage, das bewusste Tränendrüsendrücken habe ich eigentlich mit meiner Teenagerzeit hinter mir gelassen - das ist nie wirklich authentisch und kommt eher schulmeisternd oder manipulativ rüber. Damit erreichst du den Leser nicht.
Wenn du aber nur deine ureigensten Empfindungen fast lapidar in Worte kleidest, ohne Pathos und Trara, dann bist du ganz bei dir und authentisch. Das nimmt der Leser wahr und auf. Wir Menschen haben empfindlich geeichte Antennen dafür, wie ernst es einer meint und wie treu er sich bleibt. Mir zumindest geht es so.

Vielen Dank für deine erhebenden Zeilen!:Blume:

LG, eKy


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