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Jongleur 12.12.2018 15:39

Lieber Thomas,
Zitat:

Zitat von Thomas (Beitrag 117284)
.... Es ist meiner Meinung nach gar nicht einfach gute politische Gedichte zu schreiben, was man auch sieht, wenn man in der Geschichte nach solchen sucht.

Für mich ist alles politisch. Selbst Sex, wie uns die "Metoo-Bewegung" wieder einmal lehrt. Heutzutage klingen romantische Naturgedichte wie heimliche Anklagen an die Gegenwart. Kindergedichte erwähnen gedankenlos ausgestorbene Tiere und kommen mir trotzdem manchmal wie subtile Anklagen an die Eltern vor. In diesen Fällen werden wir mit Dichtung und Wahrheit konfrontiert.

In den Gedichten der Zeitgenossen noch nicht. Hier regieren Angriff auf und Flucht vor ungewissen Zeiten und Partnern. Es erfordert viel Übermut, in solchen Zeiten festen Stand auf schwankendem Boden zu behaupten. ;-)

Thomas 12.12.2018 21:02

Lieber Jongleur,

letztendlich kann man alles politisieren, da hast du Recht, also kann man Poesie auch als politisch betrachten. Meine Frage war jedoch, ob das dann gute Poesie ist. Ich will versuchen zu verdeutlichen, was ich meine.

Als Beispiel nehme ich "Das Lied der Deutschen" von Hoffmann von Fallersleben, dessen dritte Strophe unsere Nationalhymne ist. Das ist ein schöner Text, sogar ein Gedicht, aber ist es gute Poesie?

Die erste Strophe singen wir nicht mehr. Als sie geschrieben wurde, war sie völlig berechtigt, denn Deutschland gab es noch nicht und "Deutschland, Deutschland über alles" bedeutete für jeden erkennbar so viel "unser Streben nach einem vereinten Deutschland sollt uns über alles gehen". Leider haben bornierte Nationalisten später, als die Deutsche Nation lange bestand, diese Zeilen missbraucht, weshalb wir sie heute nicht mehr singen können.

So schön ich das Gedicht finde, es ist trotzdem nicht besonders poetisch, wie fast alle politischen Gedichte. Es regt die Einbildungskraft des Lesers kaum an und sagt eigentlich nichts "unsagbares", was meiner Meinung nach das Wesen der Poesie ausmacht.

Ich habe hier versucht, etwas zu schreiben, was zwar politisch ist, aber trotzdem einen gewissen metaphorischen Gehalt hat. Ob es gelungen ist, weiß ich nicht. Aber bornierte Politkommentare erscheinen mir da nicht hilfreich, eher frustrierend, weshalb mir Chavalis Mahnung übrigens gar nicht so ungelegen kam. ;)

Liebe Grüße
Thomas

Jongleur 12.12.2018 23:36

Lieber Thomas, ich will mal Klartext antworten. Ich glaube nicht, dass wir über den poetischen Gehalt aktueller politischer Lyrik richten können. Wir würden vermutlich bereits den Begriff unterschiedlich definieren. Aber selbst wenn wir uns begrifflich ziemlich nah kämen: Wir sind Zeitgenossen, das Wechselspiel der Politik täglich parteilich empfindend, egal in welche Richtung. Erst wenn wir zurückschauen, wenn wir die Wege des Schicksals hinreichend kennen, wissen wir, wer (zufällig?) richtig lag, wessen Sicht sich (zufällig?)
als visionär erwies.

Ich las in meiner Jugend viel politische Lyrik aus den verschiedensten Lagern. Vertonte sie.
Heute betrachte ich diese Gedichte mit viel Skepsis. Die meisten Visionen trafen nicht ein.

Am poetischsten finde ich noch immer Gedichte, die das Leid und die Lügen der Kriege brandmarken. Ohne die Unterscheidung in Angriff und Verteitigung in den Vordergrund zu stellen.

Fazit: ich habe sicher eine aktuelle private Meinung zu aktuellen politischen Gedichten. Die muss nicht ewig gleich bleiben. Aber viel mehr bringt mir die Lektüre historischer Dichter. Sie lehrt mich einerseits, als Dichter Courage zu zeigen und andererseits, in meiner eigenen Überzeugung Raum für Skepsis zu lassen. Man könnte als Visionär ins Bett gehen und als Dummkopf erwachen...

Thomas 13.12.2018 15:27

Lieber Jongleur,

unsere Meinungen scheinen nicht sehr weit auseinander zu liegen.

Mir ist gerade noch ein Beispiel für ein gutes politisches Gedicht eingefallen: Heines "Deutschland ein Wintermärchen".

Liebe Grüße
Thomas


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