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Alt 12.09.2014, 17:57   #1
Erich Kykal
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Standard Callboy

Er lernte niemals, was die andern fühlten,
wenn er wie Dunst durch ihre Wünsche ging,
ein Dienender, der kein Gefühl empfing
von jenen, die sein Innerstes zerwühlten.

Er ging, wenn ihre Sinne rasch verblassten
nach jenen Stunden, die man nicht benennt,
ging fort wie einer, der die Gründe kennt,
warum sie seine fernen Blicke hassten.

Er nahm das Geld und nahm sich nicht das Leben,
trieb weiter bloß durch einen nächsten Tag,
denn etwas wollen heißt: sich selbst vergeben.

Er wollte nichts, und wer sich selbst nicht mag,
verlernt beschämt, das müde Haupt zu heben,
das allzu oft in fremden Armen lag.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (13.09.2014 um 18:21 Uhr)
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Alt 13.09.2014, 18:04   #2
Dana
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Lieber eKy,

ein gutes Sonett - aber das kannst du ja.

Die Entscheidung, es unter Beschreibungen zu posten, zeugt von Abstand zu Urteil, Kritik und Sicht.
Das hat mir nicht minder imponiert, als das Sonett selbst.

Man liest die Verse, glaubt zu verstehen (will fast bedauern) und erkennt erst in der letzten Strophe, dass es Menschen gibt, die sind. Noch mehr - man anerkennt ohne jede Bewertung. Damit will ich nicht die "Leserin" (also mich) darstellen, sondern die Wirkung deines Gedichtes.

Einzelne Verse sind beeindruckend:

Zitat:
Er nahm das Geld und nahm sich nicht das Leben,
genial!!

oder:

Zitat:
Zitat von Erich Kykal
Er wollte nichts, und wer sich selbst nicht mag,
verlernt beschämt, das müde Haupt zu heben,
Sehr schön durchdacht, bedacht und zum Lesen gereicht.

Liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 13.09.2014, 18:24   #3
Erich Kykal
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Hi, Dana!

Zum Inhalt kann man sich stellen, wie man will, denn es wird solche und solche Callboys geben. Ich ging von mir selbst aus, als ich versuchte, mich in die Lebenslage eines Callboys zu versetzen: Wie steht es um sein Selbstwertgefühl, wenn er tut, was er tut? Ich denke, selbst jene, die eisenhart sagen, es mache ihnen nichts aus, sich zu prostituieren, begeben sich damit nur in eine Art Flucht nach vorne. Sowas beeinflusst jeden, ob er will oder nicht, und es hinterlässt Spuren.
An mir und meinem Selbstbild jedenfalls würde so eine Tätigkeit gewaltig nagen, und einen solchen Menschen wollte ich eben darstellen: einen, dem vielleicht kaum eine Wahl blieb, einen, der das tun muss, um zu überleben, aber gewiss nicht glücklich ist damit, einen, der es schon gewohnt ist, ausgenutzt und gebraucht zu werden wie ein Gegenstand, innerlich gelähmt, ohne Sebstachtung und inneren Antrieb.
Klar mag es auch jene geben, die von Grund auf diesbezüglich schmerzfrei sind, oder so versaut, dass sie es sogar genießen. Es hängt eben davon ab, wie man sich dazu stellt. Betrachtet man es bloß nüchtern als Gelegenheit, schnell Geld zu machen und hütet man sich vor den moralisch-ethischen Implikationen für die Psyche, dann mag jemand durchaus seinen Spass dabei haben...

Aber wie gesagt - wer möchte SOLCH einen Menschen schon in einem Gedicht verewigen!?? Die inhaltlich lyrische Qualität entsteht aus der Gebrochenheit der Protagonisten, wie sie scheitern oder obsiegen, sich überwinden oder überwunden werden.

Vielen Dank für deinen Kommi!

LG, eKy
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Alt 13.09.2014, 19:19   #4
Dana
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Lieber eKy,

speziell auf jene "Berufung" (Callboy/Prostitution) stimme ich dir zu.
Ich wollte mich auch nicht "leichtfertig" äußern, dass es eben so ist und mein Kommentar war zuerst ein wenig anders angedacht.

Doch dann fiel mir sooooo viel ein:
Politiker, Diktatoren, Stars "Geschäftsleute", Hobbyjäger und religiöse Fanatiker. Jene können eigentlich nicht schmerzfreier und versauter sein als Jene und doch erleben wir sie ohne Selbstachtung und inneren Antrieb.
Verstehst du?
Ich dachte auch an jene Seelen, die von kleinst auf dazu gezwungen werden und später ihre "Selbständigkeit" erkennen, dass sie es von sich aus tun.

Kein leichtes Thema.

Liebe Grüße
Dana
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(Frederike Frei)
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Alt 14.09.2014, 09:31   #5
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Dana!

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie man dieses Gedicht in Richtung Diktatoren, Politiker, Stars, Geschäftsleute (diese alle bis hierher strotzen doch zudem vor - zu viel - Selbstachtung und - viel zuviel - innerem Antrieb, der sie in diese Positionen treibt) oder gar Hobbyjäger und religiöse Fanatiker deuten könnte.

In bestimmten Phrasen, allein für sich genommen, ja - aber im Gesamten weist doch viel zuviel auf die Profession des Protagonisten hin, die auch schon der Titel deutlich umreißt.

Vor allem die letzte Zeile läßt sich schwerlich auf etwas anderes beziehen...


Nein, das Werk steht vor allem deshalb unter "Beschreibungen", weil ich eben einen Callboy beschreiben wollte (zumindest eine mögliche Variante von Seelenzustand in diesem "Beruf") und nichts sonst.
Aber schön zu erfahren, was dir so alles an Gedanken kommt bei meinen Gedichten - manchmal traust du mir wohl zuviel zu...

LG, eKy
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Alt 14.09.2014, 14:38   #6
juli
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Beiträge: n/a
Standard Hallo eKy :)

Da hast Du ein interessantes Thema aufgegriffen. Mir gefällt es, dass Du das Sonett unter Beschreibungen gepostest hast. Du will vielleicht eine Stigmatisierung vermeiden. Auch sagst du, du wolltest vor allen Dingen einen Callboy beschreiben. Das ist Dir sehr gut gelungen. Ich weiß, ich sage in meinen Kommentaren fast nur Gutes, aber ich bin der Meinung, dass dieses Gedicht aus Deinen sonstigen Sonetten, ich möchte diese jetzt nicht klein reden, hervorsticht, weil es den Leser seelisch berührt.

Du beschreibst, ohne zu moralisieren.

Sehr sehr gerne gelesen
sy
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Alt 14.09.2014, 16:16   #7
Erich Kykal
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Hi, Sy!

Das Moralisieren versuche ich immer zu vermeiden - dazu habe ich selbst viel zuviel Dreck am moralischen Stecken, wenn man so sagen will! Auch kommt es literarisch nicht gut rüber und riecht immer unangenehm nach Selbstgerechtigkeit und Hybris.

Mir ist das meiste menschlich und ich nehme die Menschen, wie sie sind.

LG, eKy

PS:
Nur bei Fanatismus und Frömmelei kenne ich keine Toleranz! Hier darf es keine mildernden Umstände geben, weil sie die Grundwerte liberalen menschlichen Miteinanders angreifen. Wer sich im Namen göttlicher oder rassischer Überlegenheit anmaßt, anderen das Lebensrecht abzusprechen, begibt sich jenseits allen Verständnisses und sollte mit seiner eigenen Unbarmherzigkeit gerichtet werden!
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Alt 16.09.2014, 18:00   #8
AAAAAZ
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Mir geht es da genauso, lieber eKY.
Besonders bei Massenmord, Menschenhandel, Waffenschiebereien, maffiösen Erpressungen, Kinderarbeit und Ausbeutung im großen Stil hört bei mir die Toleranz auf. Auch da gibt es dann auch keine mildernden Umstände mehr, wenn einer sich Überlegenheit anmaßt. Auch diese gehören unbarmherzig gerichtet. AZ
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Alt 16.09.2014, 18:59   #9
Erich Kykal
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Hi, AAAAAZ!

Bei Massenmord kann ich noch folgen - die anderen Verbrechen, die du da aufzählst, sind ein Fall fürs Strafgesetzbuch, nicht für heiligen Ingrimm. Aber da scheiden sich wohl die Geister - für jeden ist scheinbar etwas anderes "absolut unverzeihlich"...

LG, eKy
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Alt 16.09.2014, 21:34   #10
AAAAAZ
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Hi eKy,

gut, heiliger Ingrimm soll es bei dir sein: Wenn es denn etwas komplett anderes ist, als Fälle, die auch das Strafgesetzbuch betreffen könnten. Egal.
Zumindest klingt dein p.s. in #7 für mich differenzierter formuliert als pauschalierte frühere Antworten von dir, die ich hier entsprechend kommentiert hatte, und das ist gut so.
Diese bekennende,, ich nehme die Menschen wie sie sind"- Haltung verträgt sich nämlich überhaupt nicht mit pauschalierten Wertungen, sondern muss das Individuum betrachten.
Dein Gedicht ist ein beachtlicher Versuch, sich in dir vielleicht fremde Gefühlswelten einzufinden. Hierbei gefällt mir deine Individualbetrachtung, wohlwissend, das es Prostituierte gibt, die noch ganz anderes unterwegs sind.
L.G.AZ

Geändert von AAAAAZ (17.09.2014 um 00:14 Uhr)
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