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Alt 29.01.2012, 10:03   #1
a.c.larin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 14.03.2009
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Standard Winter

Wenn ich zurückdenke an die Tage meiner Kindheit, so sehe ich immer wieder jene Bilder aus Winterstarre, Kälte und Schnee vor mir. Schon damals schienen sie mir unbegreiflich und still, lagen vor mir, so sehnsüchtig Bewegung und Erfüllung erwartend, dass ich nicht anders konnte, als weinend zu Mama in die Küche zu laufen, um an ihrer Wärme und Zärtlichkeit den Sinn, die Bedeutung der eigenen Gedanken und Gefühle zu begreifen.

Mama hatte immer Zeit für mich. Nicht, dass ich etwa ständig um sie herum gewesen wäre, nein, weit gefehlt. Ich war ein selbständiges Kind und oft genug verstrickt in die eigenen Träume und Phantasien, aber meine Mutter gab mir das Gefühl, dass sie da war für mich, zumindest in meiner Nähe, soferne ich diese wollte und brauchte. Das genügte für mich.
Oft plauderten wir damals miteinander in der Küche, erzählten uns Geschichten, reimten Ungereimtes zusammen oder rätselten darüber, wo denn nur heute wieder "unsere Männer" blieben.

Ich weiß nicht mehr genau, ob es wirklich immer so gewesen ist, dennoch habe ich in der Erinnerung immmer irgendein Spiel bei mir und auch Mama war unentwegt beschäftigt. Sonderbar - ich sehe sie immer nur im Winter und immer in der Küche, und immer denke ich mir dabei, dass sie gerade Kekse bäckt und - natürlich völlig ohne Aussicht auf Erfolg - mich vom Kuchenteig fernzuhalten versucht.

Ja, so war es damals, der Haushalt und auch das übrige häusliche Management oblagen der weisen Voraussicht von "uns Frauen", die Männer waren ja sowieso immer irgendwo, zwecklos, sie dort aufzuspüren wie die Stecknadeln im Heuhaufen, sie fühlten sich offenbar wohl dort und konnten es getrost bleiben - solange sie uns nur die warme Küche ließen!
Außerdem wusste wir schon damals ganz genau , dass sie sicher nicht verloren gingen, Mutter Natur ist die konsequenteste Erzieherin ihrer Kinder - zu den Mahlzeiten sah man sie ganz bestimmt und regelmäßig wieder!
So also ließen wir uns das einsame Frausein nicht verdrießen: Wir waren zu zweit und daher stärker als eine ganze Armee, völlig uns selbst überlassen, frei in der Entscheidung und daher auch des Friedens gewiss, denn da, wo ein Mann nicht ständig querschießt in seiner ewig unbegreiflichen männlichen Willkür, da stand schon damals dem Frieden - und wenn es auch nur der kleine, häusliche war- so gut wie nichts mehr im Wege!

Immer noch sehe ich heute die tief verschneiten Gärten vor mir, die dunkelberindeten Bäume, die gebieterisch drohend aus dem kühlglitzernden Weiß heraussstachen, eine Katze war auch immer da, die sich stiefelhoch, naserümpfend und leicht indigniert durch den Schnee hievte, solange, bis sie endlich den schmalen freigeschaufelten Weg in die hintere Gartenecke gefunden hatte.

Ach, da gab es Spiele, die gibt es heute nicht mehr, oder wenn, so würde ich sie sicher nicht mehr so intensiv und erregend empfinden. Ja, ich war sensibel und ich hatte Phantasie, und wenn die Schneedecke über Nacht gefror, sodass sie an ihrer Oberseite ein wenig zusammenbuk, so verstand es sich von selbst, dass am nächsten Tage 122 Stück Schneekuchen gebacken wurden, runde, eckige, sternförmig-gezackte (soferne sie nicht zerbrachen), solange, bis man es in den dicken Kinderfäustlingen ( noch von Mama selbstgemacht, versteht sich! ) nicht mehr aushalten konnte vor lauter Eiseskälte.
Interessant war es auch, "Das arme Waisenkind im Wald" zu spielen und dabei alle abgeworfenen Trauerweidenzweige einsammeln zu gehen. Die sollten natürlich Brennholz sein, das die furchtbar böse Stiefmutter von ihrem armen Kinde aus dem Wald geholt haben wollte.( Alle armen Waisenkinder müssen im Wald Brennholz sammeln gehen!) Dieses Spiel fand besonders in den Augen meiner Mutter heftigen Zuspruch und sie hätte sich wohl über längere Zeit des neuen Brauches erfreuen dürfen, wäre ihr nicht der sträfliche Fehler passiert, die neue Sitte in ein etwas Mißtrauen erweckendes, schiefes Licht geraten zu lassen. "Geh doch wieder Waisenkind spielen!" war da nur eine jener verdächtigen Äußerungen, die den Gedanken nahelegten, es könne sich bei meiner neuen Leidenschaft doch tatsächlich um so etwas wie "Arbeit" handeln. Nun gut, es gab ja zum Glück auch noch andere Möglichkeiten.

Zum Beispiel war es auch immer recht nett, wenn Papilein im Herbst vergessen hatte, die Schaukel wieder im Keller zu verräumen. So musste man nur noch darauf warten, dass ganz, ganz viel Schnee im Garten lag ( was damals auch im Flachland manchmal der Fall war) und schon stand dem "Unternehmen Schleudersitz" so gut wie nichts mehr im Wege. (Ich habe Ähnliches einmal im Frühsommer probiert, aber der Vergleich hielt dem einfach nicht stand, und so ließ ich's bald wieder bleiben.)

Besonders schön waren auch Ferien. Wenn Ferien waren, hatte Papi viel Zeit, und wenn er Zeit hatte, ging er in den Garten, um Schnee zu schaufeln. Dann verwandelte sich das Blumenbeet unter der Birke plötzlich in einen riesengroßen Slalomhang (man muss verstehen, dass ich damals etwas kleiner war) und wenn man wollte - und man wollte so oft als möglich - dann konnte man seine schifahrerischen Kenntnisse oder wechselweise die Nervenstärke des eigenen Vaters erproben. Herrje - was hat er damals gelitten mit mir!
Ich war ein sportliches Antitalent und hatte, zumindest, was Christkindleins Schier anbetraf, die ja so "überhaupt nicht schifahren"
konnten, keinerlei Ambitionen. Auch Rodelwiesen im Wienerwald, die an vermeintlicher Gefährlichkeit durch nichts zu übertreffen waren, konnten daran nicht viel ändern. Ich blieb lieber auf dem Boden der Tatsachen, dort, wo mich meine eigenen zwei Beine ohne Mithilfe schwieriger technischer Hilfsmittel trugen und erlernte das Schifahren erst viele Jahre später, aber auch nur der Männer wegen, vor denen ich mich nicht völlig blamieren wollte.

Eislaufen fiel mir da schon ein wenig leichter, wenngleich es nicht weniger gefährlich dabei zuging, und die etwas vorgeneigte Körperhaltung nicht so sehr vom Respekt den anderen Läufern gegenüber herrührte, als von dem innigen Wunsche, den regelmäßig stattfindenden, heftigen Aufprall in seiner Wucht zumindest ein bisschen zu verringern. Ohne Knieschoner konnte man damals nie unterwegs sein - und auch die halfen nur wenig. Wie dem auch sei - weibliche Eitelkeit setzten auch diesem ungeschickten Treiben ein Ende und ich konnte mit einem Male gerade und aufrecht dahinfahren, als es mir aus, Gründen der Staatsräson, dringend notwendig erschien!

Das machte Eindruck - zumindest auf mich selbst! Es dürfte wohl ein Charakterzug von mir sein, denn noch heute passiert es mir so gut wie fast nie, dass ich umfalle, solange mir irgendeiner dabei zusieht. Das geschieht entweder vorher oder nachher, dafür aber umso heftiger. Damals war es mir aber noch relativ gleichgültig, doch betrug die Sturzhöhe zu dieser Zeit allerbestenfalls einen Meter zwanzig, und betroffen waren auch fast nur die Knie.

Mein Bruder und ich gehörten noch zu jenen unglaublich glücklichen Kindern, die in der näheren Umgebung ihrer Behausung ein richtiges Stoppelfeld hatten. das heißt, im Winter war es natürlich kein Stoppelfeld mehr, aber dann konnte man dorthin wenigstens schifahren gehen, da es eine kleine muldenartige Vertiefeung hatte. Es bestand natürlich nie ein Zweifel darüber, wer in diesem Metier wohl der bessere Sportler sei. Aber kleine Schwestern lieben nun einmal ihre großen Brüder, und wenn sie schon einmal dürfen - und das war ja nie so sicher bei der ständig anwachsenden Konkurrenz an Freunden seinerseits - dann begleiten sie diese einfach überall hin.

Schon früh hatte man zu erlernen, dass es nicht leicht war, mit diesen riesigen Kerlen Schritt zu halten, aber das konnte nur zu äußerstem, zähen Widerstand mobilisieren, sonst nichts. Dafür spielte man dann an langen Winterabenden, an denen die Eltern schon schliefen ( oder schlafen wollten ) stundenlang "Ahörnchen und Behörnchen" miteinander. Man zog sich dazu eine Bettdecke über den Kopf (sämtliche Eichhörnchen, die wir kannten, wohnten in Baumhöhlen, ganz besonders im Winter) und erzählte sich dann stundenlang irgendwelche Geschichten. Natürlich musste man dabei auch immer wieder furchtbar quietschen und kichern, was in der Folge meist zum baldigen Ende des schönen Spieles führte, weiß der Himmel, warum Eltern nur so wenig Verständnis für die „armen Tiere im Winter“ haben!

Als Ersatz war dann auch noch "Muschel in der Schale" möglich,das ging irgendwie ähnlich, nur konnte man dabei dick und fest eingewickelt in der eigenen Bettdecke und im eigenen Bett liegen.
Die Geschichten waren in etwa dieselben und auch das berühmt - berüchtigte Kinderzimmer-Gekicher blieb nicht aus und damit hatte es sich dann meistens auch schon, denn noch einmal konnte man sich ein Ertapptwerden beim Blödsinnmachen sicher nicht mehr leisten.

Ja, wenn ich zurückdenke an die Tage meiner Kindheit, dann sehe ich immer alles ein wenig verklärt und ein wenig schön, ich glaube nicht, dass für mich damals immer alles nur hell und rosig gewesen ist. Auch Kinder haben ihre Tränen, nur später einmal vergisst man sie, so, wie wir jetzt vergessen, was uns heute an Schmerzlichem und Bösem trifft. Irgendwann werden einige von uns feststellen, dass sie zeitlebens immer irgendwie nur Kinder gewesen sind und dieselben Bilder immer wieder regelmäßig bei uns einkehren, durch ein ganzes Leben sich hinziehen und gleichsam die Quintessenz bilden für das, was im Grunde unseres Herzens schon immer da gewesen ist.

Wenn ich zurückdenke an die Tage meiner Kindheit, so weiß ich, dass sie erfüllt waren durch das Spiel meiner Phantasie und durch die Freude, die ich gewinnen konnte aus der Beschäftigung mit ihr. So ist es immer gewesen und geblieben bis zum heutigen Tage, und ich glaube, auch wenn ich noch hundert Jahre alt werden müsste : Daran ändert sich nichts.
__________________
Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich!
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