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Ausflug in die Natur Natur- und Tiergedichte

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Alt 24.03.2017, 18:11   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Stadtrandperspektiven

Stadtrand: Die ungeschaffene Erde

Wo Häuserfluchten an die Felder branden,
die Wege sich verlieren zwischen Bäumen,
und ohne Lampen, die ihr Schwinden säumen,
in Ackerfurchen kaum genutzt verlanden,

wo Fuchs und Hase ihren Frieden fanden
und keine Menschen mehr vom Tage träumen -
in diesen ungewissen, leeren Räumen
sind Spuren einer Schöpferkraft vorhanden,

die jenen, die im Dämmern sie betreten,
ein großes „Bald Vielleicht“ ins Fühlen tragen:
Als beugten selbst die Gräser, um zu beten,

im Winde sich, der ihre Halme spreitet,
für eine Nacht, die ihre tausend Fragen
dem Reich der Möglichkeiten unterbreitet.



Stadtrand: Die verlorene Natur

Wo Wälder zwischen Häuserkanten brechen,
zersplittern an der Gärten Zucht und Enge,
die Zaun an Zaun ein metrisches Gedränge
von klarer Ordnung bieten: tote Flächen,

wo selbst die Blumenbeete Hochdeutsch sprechen,
wenn sie die sittsam auferlegten Zwänge
als Heil beschreiben, das nach Wunder klänge,
verriete nicht ihr Dünkel das Verbrechen,

das sie erschuf: Dem großen Kreis entrissen,
der lebt und atmet unter Moos und Nadeln -
als ob ein Unverstand ermächtigt werde

zu tun, als wäre er Naturgewissen
der fremd Gewordenen, die alles tadeln,
was ungezähmt gedeiht auf dieser Erde.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (26.03.2017 um 21:24 Uhr)
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Alt 24.03.2017, 19:03   #2
bobo
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In mir sinnt es.
Hat was Progressives und Regressives, viele Bilder und starke Worte.
Danke für diese Zeilen, ich lese sie wirklich gerne und bin auch vom Wortgebrauch beeindruckt.
Der Kontrast ist sehr stark und appellierend.

Dazu sollte es Fotografien geben:

"Bilder einer Stradtrandperspektive" - New topographics

lg!
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Alt 24.03.2017, 21:07   #3
Erich Kykal
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Hi Bobo!

Ich wollte diese indifferente Zone zwischen Stadt und Natur - nicht mehr urban, noch nicht wild, nicht mehr bebaut, noch nicht bewaldet, aber vielleicht schon verplant - von beiden Seiten her beleuchten.

Aus Sicht der Zivilisation als ein Bereich der Möglichkeiten, ein vielleicht bald Werdendes, das noch alles sein kann, und aus der Sicht der intakten Natur ein Bereich des Verlustes von echtem Kreislauf und freier Entfaltung.

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
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Alt 25.03.2017, 20:39   #4
Thomas
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Lieber Erich,

das Bild der Gräser im ersten Sonett gefällt mit besonders. In der ersten Strophe des zweiten Sonetts könnte man vielleicht etwas weniger "züchten".

Liebe Grüße
Thomas
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© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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Alt 25.03.2017, 20:43   #5
Erich Kykal
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Hi Thomas!

Der Alliterationsteufel hat mich da überfallen! Ich habe bisher aber kein ähnlich inhaltlich wie klangmelodisch passendes Wort für "züchtiges" gefunden. Fällt dir da etwas ein?

LG, eKy
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Alt 26.03.2017, 18:32   #6
Dana
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Lieber eKy,
die zwei Sichtweisen wirken auf mich fast beklemmend, zumal beide in Bildern schon vorhanden sind. Beim ersten Gedicht dachte ich Du wärst in meinem Heimatdorf gewesen. Dort brandeten ein paar Häuschen in Felder und Wiesen und alles ohne jede Lampe - schön war es.

Sehr gern gelesen.

Liebe Grüße
Dana

(Beim Schreiben glaubte ich, mir würde ein anderes Wort für "züchtiges" ganz leicht einfallen - aber .... )
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 26.03.2017, 21:27   #7
Erich Kykal
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Hi Dana!

Diese Übergangszonen sind wohl um jede Siedlung herum, nicht nur um große Städte. Ich lebe ja selbst in einer solchen!

Das "züchtiges" habe ich nun ersetzt, ich hoffe, das Wort bietet eine ähnliche Wirkung.

LG, eKy
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Alt 29.03.2017, 10:51   #8
juli
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Lieber eKy,

Das erinnert mich an deine Bildergedichte, weil ich ein gemaltes Bild vor dem inneren Auge habe.

Hier hast du eine Gegenüberstellung der Sichtweisen gemacht. Im Ersten, wo die Natur noch Natur sein darf, und im Zweiten, wo der Mensch und die Zivilisation schon ein Auge auf die Natur geworfen hat.

Ich lebe am Dorfrand, und die Dorfgemeinschaft überlegt, was sie mit der Natur alles anfangen könnte. Natürlich gehts ums Geld. Und wer für Natur pur ist, ist dafür keinen Geldreibach zu machen. Ich hoffe ich werde es nicht mehr erleben, dass die weiteren Randgebiete dem Menschen dienen sollen.


Beide Sonette hinterlassen beim Leser Nachdenklichkeit und Staunen. Der Inhalt und die Gegenüberstellung fordern dazu auf, und die Wal der Wörter hinterlassen ein Staunen.

Eich echter Kykal!

Sehr sehr gerne gelesen

Liebe Grüße sy

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Alt 29.03.2017, 12:46   #9
Erich Kykal
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Hi Sy!

Vielen Dank für das vollmundige Lob, das freut mich immer sehr!

Warum so viele meiner Texte intensive Bilder malen, ist leicht erklärt: Meist SIND es Bilder, die meine Schreiblust anregen, mich inspirieren, etwas darüber zu dichten. Beim Schreiben stehen sie mir dann intensiv vor Augen, und mein Sprachzentrum umschmeichelt sie mit passenden Worten.

Auch ich lebe am Dorfrand, genau so ist dies ja auch entstanden. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als kaum drei Häuser um uns zu sehen waren, und heute sehe ich über ein Dutzend, brav in gestutzten Gärten mit Golfrasen, wo einst die duftenden Wildblumen- und Magerwiesen meiner Kindheit lagen. Unwiederbringlich verloren ...

LG, eKy
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Alt 29.03.2017, 14:49   #10
Kokochanel
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du hast es wirklich auf den Punkt gebracht, lieber Erich. Poetisch und berührend.
Wenn ich hinten in unsere Wiesen schaue, die langegzogenen Felder und sehe, wie sich das Neubaugebiet immer mehr in die Natur frisst- ja, so empfinde ich es auch, wie ein Raubtier irgendwie- dann kann ich dir nur zustimmen und weiß genau, was du meinst.
Deine schönen Sonette inspirieren mich gerade, eines über den Golfplatz zu schreiben, der dann nie fertig wurde und den sich die Natur nun zurückholt.Kommen wir immer bei der Radtour dran vorbei.
Muss mich mal in das Bild versenken.
Wieder einmal 2 echte Kygals sozusagen
LG von Koko
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