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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 06.08.2015, 11:33   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Käferlein

Ich seh ein Käferlein auf einem Blatte
um Gleichgewicht sich mühen und um Halt,
in unermüdlich winziger Gestalt
bewahren wollend, was es einmal hatte.

Und wie das Käferlein auf seinem Blatte
sich ewig strauchelnd in die Höhe krallt
ist auch der Mensch in seiner Allgewalt,
der Unterwerfer und der Nimmersatte,

ein wirres Tierchen bloß, das vage tastet,
was ihm ein sicheres Geleit verspricht,
und mancher Schritt ist jäh und überhastet.

Doch weiß ich darum ihn geringer nicht,
denn wie sein Zerren auch das Blatt belastet,
verleiht er ihm doch Regung und Gewicht.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 08.08.2015, 00:03   #2
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Standard

Servus Erich,

ich beobachte auch manchmal das Treiben von Krabbeltieren und wenn ich die Muße dazu habe, dann versuche ich, mich in ihre Welt zu denken.
Dabei erscheint mir die Größe der Gestalten sehr relativ.
Für Menschen sind diese Wesen winzig, doch wie groß müsste der Baum sein, der es ihnen ermöglichte, auf seinen Blättern herumzukrabbeln?
Jede noch so leichte Luftbewegung wäre eine Herausforderung, gegen die sie sich mühsam stemmen müssten. Das wäre eine gigantische Welt mit gigantischen Lebewesen.
Für sie mag der Käfer winzig sein, einer Blattlaus hingegen wird er gewaltig erscheinen.
So hängt die Betrachtung seiner Gestalt wohl ausschließlich vom Standpunkt im Raumzeitgefüge ab.
Allerdings erschließt sich mir im ersten Quartett nicht, was das Käferlein eigentlich bewahren will. Was hatte es denn einmal? Das Leben kann es ja nicht sein, das ist ja bei Beobachtung noch existent.

Die Analogiebildung zum Menschen im zweiten Quartett finde ich gelungen, denn jedes Lebewesen strebt im Rahmen seiner Möglichkeiten nach Fortschritt und Weiterkommen.
Die Wertung, mit der die letzte Zeile abschließt, ist wieder relativ (s.o.) zu betrachten, denn der Käfer ist auf seine Art derselbe Unterwerfer und Nimmersatte wie der Mensch, wenn auch auf einer anderen moralischen Ebene, zumindest von der menschlichen Sicht aus.
Wer weiß schon etwas über Käferphilosophie zu sagen?
Aber wie auch immer, jeder tastet sich mit dem ihm persönlich zur Verfügung stehenden Mitteln in und durch das Leben, immer auf der Suche nach einer Halteleine.
Dabei bleibt es nicht aus, das manches auch vorschnell daneben geht, denn nicht immer sind die Konsequenzen des individuellen Verhaltens vorhersehbar.

Im abschließenden Terzett kommt mir nicht klar genug heraus, wen der Erzähler im Gedicht nicht geringer weiß.
Ist es das Käferlein oder ist es der Mensch?

Das ist nämlich syntaktisch aus den zwei aufeinander folgenden Sätzen nicht einwandfrei zu definieren.
Erst: „Und wie das Käferlein...ist auch der Mensch...“
Dann: „Doch weiß ich darum ihn geringer nicht...“

Prinzipiell könnten auch beide gemeint sein.
Der Mensch hat dem Käfer allerdings gegenüber einen üblen Nachteil: Er ist in der Lage, Dinge zu erfassen, die für das Insekt nicht einmal ansatzweise wahrnehmbar, geschweige denn existent sind.
Und wenn er sich vorstellt, wie Milliarden von Galaxien mit Milliarden von Sternen, Planeten, Monden und anderen galaktischen Körpern, Molekülen, Atomen, Strahlungen, dunkle und andere Energien im Kosmos herumwirbeln, dann kommt er sich so klein und nichtig vor und er weiß, dass die Bedeutung der Belastung eines Blattes oder eines Planeten für das Universum nicht mehr als ein winziger Bruchteil im Raumzeitgefüge besitzt, obwohl ein großes Blatt für den einen oder gar eine ganze Welt für den anderen dabei betroffen sein können.

Aber so bleibt eben alles ziemlich relativ und die Bedeutung von Regung und Gewicht kann nur in einem bewussten Wesen zum Tragen kommen.


In diesem Sinne gern gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 08.08.2015, 00:08   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard

Hi, Faldi!

Deine Analyse ist profund und lässt nichts offen.

Natürlich sind BEIDE mit dem letzten Terzett gemeint, der Mensch wie der Käfer, aber wie du sagst, nur der Mensch reflektiert darüber. Nur der Mensch entdeckt die Parallelen, kann vom Blatt des Insekts auf die Umwelt des Menschen extrapolieren.

Vielen Dank für deine ausführlichen Zeilen!

LG, eKy
__________________
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Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
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