Thema: Red Jacket
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Alt 14.11.2016, 12:27   #1
Wodziwob
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Standard Red Jacket


Auf unfruchtbaren Boden gefallen und hinab gesunken auf den tiefen Grund des Ontario See ist die große Rede Sagoyewatha’s alias Red Jacket, Häuptling der Seneca und Mitglied des Wolfsklans, von Achtzehnzwanzig, in der er dem Presbyterianer Missionar Joseph Cram eine Absage erteilt, als dieser am Buffalo Creek die ich weiß nicht wievielte Missionsstation errichten will. „Der sie wach hält“ bedeutet sein indianischer Name, so wie das Geheul der Wölfe des Nachts die Seneca um den Schlaf bringt, und so wie Wölfe es zu tun pflegen, heult er Worte voller Kraft und Weisheit.

„Freund und Bruder! Höre unsere Rede.

Es gab eine Zeit, in der diese große Insel unseren Vorvätern gehörte. Ihr Land erstreckte sich von der aufgehenden bis zur untergehenden Sonne. Der große Geist hat es für die Indianer gemacht damit sie es nutzen. Er hat den Büffel, den Hirsch und andere Tiere als Nahrung geschaffen. Er schuf den Bären und den Wolf, und ihre Felle dienten uns als Kleidung. Er hat sie über das ganze Land verstreut und uns gelehrt, sie zu jagen. Er sorgte dafür, dass die Erde Mais hervorbringt, um Brot zu backen. All das hat er für seine roten Kinder getan, weil er sie liebte.

Aber ein schlimmer Tag brach für uns an. Der weiße Mann hat unser Land entdeckt. Die Kunde davon wurde über das Meer getragen und immer mehr kamen zu uns. Aber wir fürchteten sie nicht. Wir hielten sie für Freunde, sie nannten uns Brüder. Ihre Zahl wurde immer größer, sie wollten mehr Land, sie wollten unser Land. So wurden uns die Augen geöffnet, unser Geist wurde unruhig, es gab Krieg. Die Weißen waren stark und mächtig und haben Tausende getötet.

Einst waren unsere Länder groß und eure sehr klein, jetzt seid ihr ein großes Volk geworden, und wir haben kaum noch einen Platz, an dem wir unsere Decken ausbreiten können.

Bruder!

Du sagst, es gibt nur einen einzigen Weg, den großen Geist zu verehren und ihm zu dienen. Wenn es nur eine Religion gibt, warum seid ihr Weißen so häufig uneins darüber? Warum seid ihr nicht einig, wo ihr doch alle das Buch lesen könnt? Ich verstehe das alles nicht.

Auch wir haben eine Religion, die einst unseren Vorvätern gegeben wurde und von diesen an uns, ihre Kinder, überliefert wurde. Unsere Religion lehrt uns, dankbar für alle Gunst zu sein, die wir erhalten haben, einander zu lieben und Einigkeit zu bewahren. Wir streiten niemals über Religion.

Der große Geist hat uns alle erschaffen, und doch hat er einen großen Unterschied gemacht zwischen seinen weißen und roten Kindern, warum sollten wir daraus nicht schließen, dass er uns auch eine unterschiedliche Religion gab, die unserem Verständnis entspricht? Der große Geist handelt gerecht, er weiß, was das Beste ist für seine Kinder. Wir sind zufrieden.

Wir wollen eure Religion nicht zerstören oder sie euch wegnehmen, wir wollen uns nur an unserer eigenen erfreuen.“

Offenbar zu viel verlangt.

Der Animismus ist die Mutter aller Religionen. Die Idee einer beseelten, meist mütterlichen Natur und der Gedanke an einen großen Geist, der alle Lebewesen und Dinge, die da sind, lebendig macht und beseelt, hat keine Mühe, alle späteren Gottesgedanken in sich aufzunehmen wie die alte Erde neuen Regen. Sei es nun die christliche Lehre, die mit den Missionaren übers Meer geschifft kam, die der Wüstenvölker des siebenarmigen Leuchters oder des Halbmondes, oder die des ochsenreitenden Bettelweisen, der in sich ruhenden orangefarbenen Mönche und der Hüter der heiligen Kühe am heiligen Strom, von deren geheimnisvollen Welten mir der alte Chinese recht farbenfroh und anschaulich erzählt hat, all diese neueren Betrachtungsweisen sind letztendlich aus dem Animismus hervorgegangen.

Undank ist der Welten Lohn, kaum waren die Erneuerer dem fruchtbaren Boden ihrer Urgroßeltern entwachsen, verkündeten sie lauthals, wir brauchen euch und euren Aberglauben nicht mehr, die mütterliche Erde ist eine große Ackerfläche, ihr Gestein ist toter Baustein, sämtliche Natur und allesamt Rohstoffe sind keine guten Geister sondern zum Ausbeuten und Plündern da, Luft ist nichts als leerer Windhauch und Wasser ohne eigenes Leben, ja selbst die Geschwister Tiere haben keine Seele, für einen aufrechten Christenmenschen nicht einmal die Indianer.

Anfangs hatten die animistischen Stämme des Nordostens keinerlei Probleme mit der neuen Glaubenslehre, die ihnen zum Beispiel die Herrnhuter Missionare übers große Wasser herüberbrachten. Toleranten Wesens und aufgeschlossenen Sinnes, wie er ihnen eigen ist, war die Bibel in ihren Augen tatsächlich ein von Gott geschenktes Buch für seine weißen Kinder, die es ja offensichtlich lesen konnten, folgerichtig sollten diese versuchen, es nachzuleben und daran festzuhalten, wenn es ihnen von Gott befohlen sei und für sie bestimmt.

Den Indianern und Kindern des Waldes aber hat Gott ihre Jagdgründe und Zeremonien gegeben.

„Wir haben gehört, dass eure Religion in einem Buch aufgeschrieben ist. Wenn dieses Buch für uns ebenso bestimmt wäre wie für euch, warum hat der große Geist es uns nicht gegeben, und warum hat er die Kenntnis dieses Buches nicht schon unseren Vorvätern gegeben und sie gelehrt, es richtig zu verstehen?“

Bald mussten die Stämme erkennen, dass ein friedvolles Nebeneinander verschiedener Glaubensauffassungen eine recht einseitige Angelegenheit darstellte und von den andersgläubigen Weißen durchaus nicht so vorgesehen war, ja deren eigentlichem Vorhaben entgegenstand und sich mit ihrem aufdringlichen Ansinnen als unvereinbar erwies, wie Red Jacket weiter recht nüchtern feststellt, wenn er ein paar durchaus berechtigte Zweifel anmeldet.

„Bruder, du sagst, man hat dich gesandt, um uns zu lehren, wie man den großen Geist nach seinen Wünschen verehren soll, und wenn wir die Religion des weißen Mannes nicht übernehmen, wären wir für alle Zeiten unglücklich. Du sagst, dass du recht hast und wir verloren sind. Wie sollen wir wissen, ob das wahr ist? Wir wissen nur, was du uns darüber sagst, wie sollen wir wissen, wann wir euch glauben sollen, wo wir so oft von den Weißen betrogen worden sind?“

Die Schlussfolgerung zumindest einer radikalen Minderheit war die, dass Indianer und Weiße nicht desselben Ursprungs sein können und getrennt voneinander erschaffen worden sein müssen, und da sie ihre Religion zunehmend von der des weißen Mannes bedroht und verfolgt sahen, reagierten sie ihrerseits mit der Warnung, dessen Sitten und Gebräuche zu übernehmen und sich gemäß seiner Religion zu verhalten, weil dieses den Zorn ihres Schöpfers auf sie ziehen und sie der Vernichtung preisgeben würde.

„Der große Geist hat uns alle erschaffen, aber er hat zwischen seinen weißen und roten Kindern einen großen Unterschied gemacht; er hat uns eine andere Hautfarbe und andere Gebräuche gegeben; euch hat er besondere Kunstfertigkeiten gegeben, für die er unsere Augen nicht geöffnet hat; wir wissen, dass dies die Wahrheit ist.“

Der fortschreitenden Zersetzung und Unterwanderung durch die vermeintlichen Nachbarn begegneten wiederum noch Weitsichtigere mit wachsendem Misstrauen, der erzürnte Schöpfer würde ihnen ihr Land wegnehmen, ihre Freiheit und ihre Gewohnheiten, auch ihr Gold und ihr Silber, je mehr sie sich deren Gepflogenheiten anpassen würden, wie etwa der des Whiskeytrinkens, das eine Erfindung der Weißen sei, ebenso die eingeführten Wucherzinsen, die sie als ein Übel brandmarkten, das es in ihrer Welt nicht gegeben habe und welches ursprünglich bei ihrem Volk nicht bekannt gewesen sei, sondern von den Weißen zu ihnen gebracht worden.

„Du sagst, du bist nicht gekommen, um unser Land und unser Geld zu nehmen, sondern um unseren Geist zu erleuchten. Ich will dir aber sagen, dass ich bei euren Versammlungen gewesen bin und gesehen habe, wie dabei Geld gesammelt wurde, ich weiß nicht, wofür dieses Geld bestimmt war, aber ich vermute, es war für euren Priester. Und sollten wir uns eurer Denkweise anschließen, vielleicht verlangst du dann Geld von uns. Ihr habt unser Land bekommen, aber ihr seid nicht zufrieden, ihr wollt uns eure Religion aufzwingen.“

Die Habgier ist in der Tat eine ansteckende Seuche und todbringende Krankheit schlimmer als die Pocken, weil sie nicht den Leib, sondern die Seele frisst. Und dennoch - wie gutgläubig und selbstkritisch scheint dieses Aufbegehren doch angesichts der kompromisslosen Gewalt, mit der den Algonquin im Laufe wachsender Zuwanderung Lebensweise, Lebensraum und Leben geraubt wurde.

„Deine Vorväter überquerten das große Wasser und landeten auf dieser Insel“, wie der Seneca und begnadete Redner sich erinnert, „ihre Zahl war klein. Sie fanden Freunde und keine Feinde. Sie erzählten uns, dass sie aus Furcht vor bösen Menschen aus ihrem Land geflüchtet und hierher gekommen wären. Wir hatten Mitleid mit ihnen, gewährten ihnen ihre Bitte, und sie ließen sich unter uns nieder. Wir gaben ihnen Mais und Fleisch, sie gaben uns Gift dafür.“

Als nach den katholischen Spaniern und ihrer Schreckensherrschaft die Glaubensflüchtlinge reformierter Freikirchen in den Osten geströmt kamen, hofften die geplagten Algonquinvölker naiv und gutgläubig, dass die Neuankömmlinge als Verfolgte mehr Verständnis aufbringen würden für Not und Belange der Ureinwohner als ihre katholischen Vorgänger, sehen sich jedoch nicht nur bitterlich enttäuscht sondern eines Besseren belehrt, deren Fanatismus in Glaubensfragen erscheint mitunter sogar noch unversöhnlicher.

„Endlich wurde ihre Zahl immer größer, sie wollten mehr Land, sie wollten unser Land. So wurden uns die Augen geöffnet und unser Geist wurde unruhig. Es gab Kriege. Indianer wurden bezahlt, um gegen Indianer zu kämpfen, und viele unserer Leute wurden getötet. Sie brachten uns harte Getränke, sie waren stark und mächtig und haben Tausende getötet.“

Ein weiteres Mal wird Martin Luthers eigentliches Ansinnen ins Gegenteil verkehrt und der große Reformator bitterlich betrogen, von Puritanern, Calvinisten, Methodisten, Baptisten - oder wie die Glaubenskrieger alle heißen mögen - missbraucht, mir fehlt da wirklich der nötige Überblick. Der rote Heide jedenfalls bleibt selbst noch als Bekehrter ein primitiver Untermensch, muss mitnichten als Nächster betrachtet und deshalb auch nicht so behandelt werden, wie die Bibel es ursprünglich lehrt, zumindest in ihrem jüngsten Abschnitt, wozu in drei Teufels Namen hat der kämpferische Magister sie wohl übersetzt?

„Bruder, wir haben gehört, dass du vor den weißen Leuten in dieser Gegend predigst. Diese Leute sind unsere Nachbarn, wir kennen sie. Wir werden eine kleine Weile abwarten und sehen, welche Wirkung deine Predigten auf sie haben. Wenn wir feststellen, dass sie ihnen gut tun, sie ehrlich machen und weniger geneigt, die Indianer zu betrügen, dann werden wir noch einmal bedenken, was du uns gesagt hast. Der große Geist möge dich auf deiner Reise beschützen und du sicher zu deinen Freunden heimkehren.“

Wie aber soll eine Predigt einen weißen Menschen bessern, der sich von Gott daselbst als sein Abbild geschaffen fühlt, als auserwähltes Volk und dem roten Wilden überlegene Rasse?



Buchauszug: Ga'an Desperado - Der Federhut
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