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Alt 18.09.2011, 14:00   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo, wüstenvogel,

Du bist.....................................xX
die Sprache des Herzens............xXxxXx
die Melodie der Schönheit...........xXxXxXx
du machst................................xX
die Gedanken und Gefühle weit...xxXxXxXxX
lässt sie auf die Reise gehen.......XxXxXxXx
in die ferne Heimat....................XxXxXx
die wir viel zu selten..................XxXxXx
in uns sehen.............................XxXx

Liebe Poesie.............................XxXxX
ich suche dich..........................xXxX
schon so lange.........................XxXx
überall....................................XxX
doch ich finde dich....................XxXxX
fast nie....................................xX
er-ahne manchmal....................xXxXx
einen kleinen Schimmer.............XxXxXx
kann das reichen......................XxXx
für jetzt..................................xX
und immer?.............................xXx

Du liegst.................................xX
im Herzen der Menschen...........xXxxXx
in diesem einsamen..................xXxXxx
verschütteten Eiland.................xXxxXx
tief verborgen..........................XxXx
verbogen................................xXx
in uns. ...................................xX

Dorthin.....................................Xx
müssen wir...............................XxX
endlich vordringen.....................XxXxx
sonst wird bald nirgendwo mehr..XxXxXxxX
dein zartes Lied erklingen...........xXxXxXx
ohne dich.................................XxX
wird in menschenleerer Öde........XxXxXxXx
nur der "Wüstenvogel"...............XxXxXx
ein letztes Mal...........................xXxX
seine Melodie............................XxXxX
"schnarrend".............................Xx
schauderhaft.............................XxX
krächzend.................................Xx
"singen". .................................Xx



wie du siehst, habe ich einmal "durchgeixt", was ich selten bei einem ganzen Werk tue. Hier halte ich es für notwendig, denn das "Problem" bei deinem Werk ist der mangelnde "Fluss". Da es keinen "Takt" und keinen "Rhythmus" gibt, "stockt" es ständig. Deine Wortwahl ist sehr schön, die Bilder stimmig - aber durch die "fehlende Melodie" geht die Wirkung leider größtenteils "verloren".

Ein Gedicht besteht nicht aus einer bestimmten "Einteilung", aber auch nicht aus Endreimen. Ursprünglich waren Gedichte eine Art "Lieder", die mit Begleitung auf einem Musikinstrument, der "Lyra" in einem "rhythmischen Singsang" (anfangs tatsächlich kein wirklicher Gesang) vorgetragen wurden.

Worauf kommt es also an? Auf den "Fluss der Worte", den "Rhythmus", der von einem "Takt" unterlegt wird, daher auch der Begriff "Metrum", er kommt von "Metronom". Es ist immer wieder ein Missverständnis, zu glauben, dass "Freie Verse" einen solchen nicht benötigen - gerade diese umso mehr.

Hinzu kommt: Eigentlich ist das hier lyrische Prosa. Wenn ich es aufzeigen darf:

Du bist die Sprache des Herzens, die Melodie der Schönheit. Du machst die Gedanken und Gefühle weit, lässt sie auf die Reise gehen, in die ferne Heimat, die wir viel zu selten in uns sehen.

Liebe Poesie, ich suche dich schon so lange, überall, doch ich finde dich fast nie; er-ahne manchmal einen kleinen Schimmer - kann das reichen, für jetzt und immer? (Hier bist du "dicht dran", aber es liegt an den Reimen "Poesie - nie" und "Schimmer - immer". Reime sind nicht notwendig, aber können doch zumindest eine "Annäherung" erzeugen.)

Du liegst im Herzen der Menschen, in diesem einsamen, verschütteten Eiland. Tief verborgen, verbogen, in uns.Dorthin müssen wir endlich vordringen, sonst wird bald nirgendwo mehr dein zartes Lied erklingen. Ohne dich wird in menschenleerer Öde nur der "Wüstenvogel" ein letztes Mal seine Melodie "schnarrend", schauderhaft krächzend, "singen".

Es ist ein Prosatext, sehr lyrisch und ansprechend geschrieben, aber - nicht wirklich ein Gedicht ...

Zudem sollte man sich entscheiden, ob man durchgehend eine Interpunktion verwendet oder konsequent überhaupt nicht (das kommt ganz auf den "Inhalt" an, hier würde Interpunktion besser sein.); und ob man durchgehend mit Endreimen arbeitet oder völlig auf sie "verzichtet". Sonst kann es leicht "ungeordnet" bzw. "uneinheitlich" wirken.

Man sollte einen Text durchaus in "Sinnabschnitte" einteilen, so, wie du es hier getan hast, das ist sogar sehr wichtig.

Aber es kommt dann auch auf den "Ausdruck" des "Inhaltes" an. Ich versuche mal, dir die Unterschiede zu verdeutlichen, indem ich "mehrere Varianten" erzeuge:

Du sprichst
die Sprache jedes Herzens,
du bist
die Melodie der Schönheit.
Du machst
Gedanken und Gefühle weit,
du lässt
sie auf die Reise gehen,
bis in
die unbekannte Heimat,
die wir
zu selten in uns sehen. - durchgehender Jambus. (Du sprichst: xX-unbetont/betont)

Liebe Poesie, ich suche dich
lange schon und überall,
finde dich fast nie,
ahne manchmal nur
einen kleinen Schimmer.
Kann das reichen -
jetzt und immer? - durchgehender Trochäus. (Liebe: Xx-betont/unbetont)

Du liegst im Herzen
der Menschen,
in diesem einsamen,
verschütteten Eiland;
so tief verborgen,
verbogen in uns selbst. - trotz nicht "stringentem" Metrum ein Rhythmus, da jeder Vers mit einem Auftakt beginnt, es kommt auf das "Betonungsgefühl" an. (Bsp.: Du liegst xX)

dorthin müssen wir
endlich vordringen
sonst wird bald
nirgends mehr dein zartes lied erklingen
ohne dich
wird in menschenleerer öde
nur der "wüstenvogel" wohl ein letztes mal
seine melodie
"schnarrend"
schauderhaft
krächzend
"singen" - kein durchgehender Trochäus, aber durchgehend ohne Auftakt (trochäischer Versbeginn - dorthin:Xx), hier ohne Interpunktion und ohne Groß- und Kleinschreibung. Der Effekt: Man liest sehr rasch, quasi ein wenig "atemlos", was also eine ganz bewusst erzeugte Wirkung sein kann. )

Wie du siehst, gibt es sehr viele Möglichkeiten zu "takten", und ein Gedicht entweder mit oder ohne ein durchgängiges Metrum rhythmisch klingen zu lassen. Wie am letzten Beispiel ersichtlich, kann ein Dichter sogar die "Lesegeschwindigkeit" steuern ...

Daran kann man erkennen, wie wichtig das Erlernen von metrischen Regeln/Formen/Stilmitteln ist: Sie geben dem Dichter a) das Werkzeug, um ein Gedicht nach eigenem Wunsch "zu formen" und b) die Erfahrung, das "Gefühl" für Takt und Rhythmus. Es gilt also: Zuerst die "klassisch-konventionellen" Formen beherrschen, dann darf auf sie verzichtet werden, denn das "musikalische Gefühl" kann, wenn man es "verinnerlicht" hat, erstaunlich "mühelos" auf "Freie Formen" übertragen werden.

Das ist das "Geheimnis", wie das Dichten "funktioniert". Ich habe mir nicht nur die "metrischen Regeln" angeeignet, sondern bin "in die Tiefe" vorgedrungen, wo jedes Wort (ein-,zwei-, drei-, mehrsilbig), jeder Vokal und jeder Konsonant ganz bewusst, im Zusammenhang mit gewählten rhetorischen Stilmitteln, mittlerweile genau da "sitzt" und die "Wirkung" erzielt, die ich damit erreichen möchte (Wichtig zu erwähnen: Kleine Fehler unterlaufen mir, aber sie werden "seltener"). Es ist ein "weites Feld", und es braucht Zeit. All die "Betonungsmuster" (Metren), die vielen Arten von Reimen, die unterschiedlichen Strophenarten, die verschiedenen Gedichtformen, sie lernt man nicht von "heute auf morgen". Es hilft nur: Lernen und üben, üben, üben.

(Wobei ich ausdrücklich darauf hinweisen möchte: Ich bin nicht Goethe, ich mache Fehler - aber ich beherrsche das "Handwerkszeug" mittlerweile gut und "arbeite" konsequent weiter.)

Wer ernsthaft an Lyrik interessiert ist, wird sich vor der "Mühe" nicht scheuen - wer sich scheut, wird kein Dichter werden, denn ein Mangel an Interesse oder der fehlende "Wille", auch "hart zu arbeiten", erzeugt keinen Lyriker ...

(Bezieh das jetzt nicht auf dich, ich meine es ganz "generell", denn es ist leider so, dass sich schon im "Vorfeld" die "Spreu" vom "Weizen" trennt.)

Ich hoffe, ich konnte dir behilflich sein, denn der Inhalt gefällt mir sehr! Es fehlt nur die passende "Form", um ihn wirklich gut zur Geltung kommen zu lassen.

Nimm meine Kritik also bitte nicht persönlich, du besitzt ein Talent dafür, dich "poetisch" auszudrücken, es muss nur an der "Präsentation" noch "gefeilt" werden. Und hierbei gilt eine alte Maxime: Übung macht den Meister! (Nebenbei gesagt: Wenn ich nicht den Eindruck deines Potentials hätte, hätte ich mir nicht so viel Mühe gegeben. Ich bin der Ansicht, dass es sich bei dir "lohnt". Übrigens: "Hätte, hätte" - ein rhetorisches Stilmittel, das sich Geminatio nennt.)

Sehr gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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Geändert von Stimme der Zeit (18.09.2011 um 14:14 Uhr) Grund: Kleine Ergänzung.
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