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Alt 18.12.2017, 00:59   #1
Felix
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Standard In diesen grauen Mauern

(zu einem Foto in Zelle 120 der
Gedenkstätte in Bautzen)


Mein 8. Mai

In diesen grauen Mauern
saß nie ein Mädchen neben mir,
es sollte fünfzehn Jahre dauern,
da fragt man sich: Wofür
hat mich die Staatsmacht rüde weggeschlossen,
die Freiheit, meine Zukunft so brutal geraubt
und mir gedroht, und beinah hätt ich es geglaubt,
so was wie mich, das hätte man vor kurzem glatt erschossen?

Wie kommt das Blondchen neben mich
und lächelt still vergnügt in sich hinein?
Man überdachte sicherlich:
So was wie der gehört hier gar nicht rein.
Nach knapp drei Jahren schloss ein strammer Offizier
mit einem Grinsen im Gesicht
die stets verschlossne Zellentür
auf und sprach, es klang wie ein Gedicht:

Sie packen schleunigst ihre Siebensachen!
Ließ dann zum letzten Mal am achten Mai
im Jahre zweiundachtzig die klinkenlose Türe krachen,
ich dachte nur: Nun bist du endlich frei,
kannst endlich wieder machen,
was dir beliebt und aus der tiefsten Brust
entsprang ein lautes Lachen:
Oh, achter Mai! Oh, Glück! Oh, Lust!

Ach so, dieses Blondchen, das neben mir lächelt -
wir packten die Gelegenheit beim Schopf
und haben einander uns Luft zugefächelt
und sorgsam jeden Knopf
der Jacke wieder zu gemacht.
Sie flüsterte heiser: Du Loser, du Böser,
knips von uns beiden per Selbstauslöser
ein Foto - dann haben wir leise gelacht.
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