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Alt 02.03.2018, 23:43   #16
Felix
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Liebe Xenia,
ich will versuchen, Deinen Beitrag und Deine Fragen nacheinander zu beantworten.
Der Ausflug in die Geschichte und meine Biografie war eine Antwort auf einen Teil des Beitrages von waterwoman. Wie Du gelesen hast, habe ich keineswegs nur die dunklen Seiten unserer (der deutschen) Geschichte erwähnt. Der millionenfache Sklavenhandel ist nicht auf unserem Mist gewachsen, die Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima haben allein die USA auf ihrem Konto, der Völkermord an den Armeniern war und ist eine Gräueltat der Türken und die Gebirgsjägereinheit in Kalavrita war eine österreichische (wiewohl Österreich zu der Zeit "heim ins Reich" gekehrt
- worden- war). Bei dieser Geschichtsbetrachtung will und werde ich nicht zum Nestbeschmutzer und gebe Dir (beinahe) recht, wenn Du schreibst:
"Auch finde ich, Deutschland hat daraus gelernt."
Aktuell beobachte ich, dass die rechtslastige AfD erfolgreich dabei ist, die SPD in Umfragen zu überholen. Haben alle Deutschen wirklich gelernt?
Nein, von einer individuellen Erbschuld der Deutschen kann keine Rede sein.
Ich liebe mein Land (auch wenn sich das sehr pathetisch anhört), freue mich wie ein Wutzelwicht, wenn ich von einer Schulklasse in Jerevan mit dem Lied "Sah ein Knab ein Röslein stehn" empfangen werde und die Schüler der Deutschklasse mir (nachdem ich sie gefragt hatte, ob sie denn außer dem Verfasser des Liedes noch andere deutsche Dichter kennen) sagten, dass sie Heine, Schiller und Rilke kennen (und zum Beweis dafür von jedem ein Gedicht aufsagten). Deutschland hat kulturell, in den Geisteswissenschaften und in der Forschung Beträchtliches geleistet (ganz abgesehen davon, dass wir auch noch Fußballweltmeister sind).
Unsere Gastfreundschaft, nicht nur im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik, wird gelobt, unser Ordnungssinn und Zuverlässigkeit auch. (Dass ich mich über Deinen Vornamen - auch wenn es "nur" ein Nickname sein sollte - freue, sag ich mal so nebenbei).
Ich sagte, dass wir als Individuen keine "Erbschuld" tragen. Aber wir sind nicht nur die Spätgeborenen von Goethe, Schiller, Kant und vielen anderen großen Deutschen. Als Staatsbürger tragen wir auch Verantwortung - nicht Schuld - dass auf dem Ettersberg bei Weimar, genau an der Stelle, wo Goethe und Schiller ihre Initialen in eine Buche ritzten, ein KZ entstand (das man nur KZ Buchenwald nannte, damit Goethe mit diesem dunklen Kapitel nicht in einem Atemzug genannt wurde.
Die Zuordnung "Gutmensch" oder "Nazi" ist genau die Schwarz-Weiß-Malerei, die ich nicht mag. Man ist kein Nazi, wenn man Fehlentwicklungen kritisiert, man ist aber auch kein "Gutmensch" (Du weißt wie ich, dass dieser Begriff abwertend, spöttisch gemeint ist), wenn man versucht zu differenzieren und abzuwägen.
"Darf man überhaupt noch alles sagen?" Ja, darf man! Die freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut und ich habe mir nie den Mund verbieten lassen. Freie Meinungsäußerung hat Grenzen, aber die sind weit gesteckt. Verleumdung, Beleidigung (auch die Leugung des Holocaust) sind Straftatsbestände. Wer wissen will, was passiert, wenn er seine freie Meinung äußert, muss sich schon nach Russland, in die Türkei oder Polen begeben.
Also: Bangemachen gilt nicht.
Was wir wirklich wollen?
Im Jahr 2002 haben das bei der Bundestagswahl fast 80% "gesagt", welche Parteien/Personen unsere Legislative stellen.
2013 waren es 71 %. Fast ein Drittel der Wahlberechtigten bleibt abstinent, mit anderen Worten: Fast einem Drittel der erwachsenen Bürger/Bürgerinnen geht das alles am Arsch vorbei. Demokratie in Gefahr? Ja, wenn die Zahl der Demokraten weiter abnimmt und die Zahl der "Alternativen" zunimmt.
Wie es weitergehen soll?
Liebe Xenia, ich weiß noch nicht einmal, ob es morgen schneit. Die Nähe zu Köln (da arbeite ich) bringt es mit sich, dass man leichthin sagt: Et hätt noch immer jut jegange. Das ist nicht mein Lebensmotto und ich versuche meinen Teil beizutragen, damit es weiterhin gut geht.
Das Ende der Krisen..., ich hab die Ölkrise erlebt und an Sonntagen leere Autobahnen, ich hab die RAF-Krise und deren Mörderbande überlebt, alle paar Monate wurde eine neue Sau durchs Dorf getrieben (Waldkrise, Kohlenkrise - ich war nebenbei auch mal fast 10 Jahre Bergmann und weiß, wovon ich rede -, Rinderwahnsinn, Schweinepest, Vogelpest, Aids/HIV-Katastrophe, Kubakrise (mit NATO-Alarm und Ausgangssperre), aktuell die Diesel-Krise und andere mehr. Kritische Momente wegen der zahlreichen Kirchenaustritte (ist das eine Religionskrise?) - und jetzt haben wir eine Flüchtlingskrise. Die Probleme werden bleiben, das ist mir klar. Aber - pass mal auf: In zwei Jahren spricht da kein Mensch mehr davon.
Wie die Integration klappen soll?
Frag mich mal was Leichteres. Es gibt (nicht nur in der Geschichte) glänzende Beispiele für ein gelungenes Neben- und Miteinander.
Solange es, ich sprech mal Hochdeutsch, Weicheier gibt, die Kreuze in öffentlichen Gebäuden abhängen (ich bin kein Christ und halte das Symbol eines Gekreuzigten für einen Fehlgriff), wenn Weihnachten (auch den Begriff halte ich für zweifelhaft, aber ich kann gut damit leben) zum Lichterfest werden soll und andere "Anpassungsversuche" um sich greifen, dann muss man den Verantwortlichen mal in den Hintern treten, sie abwählen und - das wär die Krönung: Selbst aktiv werden.
Natürlich gibt es unter den Flüchtlingen, Migranten, Zuwanderern auch Verbrecher. Auch aus der ehemaligen DDR ist nicht nur die Creme de la Creme geflohen. Das Problem eines Rechtsstaates ist, dass er nicht aufgrund eines Verdachtes Leute verhaften und ausweisen kann, sondern dass ermittelt, bewiesen und in einem rechtlich einwandfreien Verfahren ge- oder verurteilt werden muss.
Noch heute habe ich einen Beitrag gehört, der darüber berichtete, dass es z.B. an der Hochschule für Theater und Musik in Rostock über 50% Studenten/Studentinnen aus dem nichteuropäischen Ausland gibt. Die kommen natürlich gern nach Deutschland, weil sie hier keine Studiengebühren wie z.B. in Amerika zahlen müssen.
Ich kenne eine große Anzahl dieser Studenten/innen (ich gebe zu, mehr -innen). Die lernen, egal ab sie aus Japan, Korea, China, Russland, Kirgistan oder sonst woher kommen, in kürzester Zeit die deutsche Sprache, sind fleißig (eine meiner Freundinnen ist Geigerin und übt täglich 6 - 7 Stunden), hochbegabt und von Deutschland und seiner Gastfreundschaft begeistert. Sie liegen uns nicht auf der Tasche, aber die Populisten haben es leicht zu fordern: Die müssen Studiengebühren bezahlen und sich nicht auf Kosten der deutschen Steuerzahler ausbilden lassen.
Vergessen wird bei dieser Diskussion, dass man nur in der Hochschule aufgenommen wird, wenn das Können und die Begabung außerordentlich gut sind. Jetzt kam einer auf die glänzende Idee: Wir müssen unseren eigenen Nachwuchs besser ausbilden/schulen, damit sie bei der Aufnahmeprüfung besser abschneiden.
Vielleicht muss die christliche Kirche attraktiver werden, damit wir nicht von Moslems kassiert werden?
Vielleicht müssen wir demokratischer werden, damit die Systemgegner nicht überhand nehmen?
Das Bessere ist allemal der Feind des Guten.
Liebe Grüße,
Felix
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