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Alt 24.04.2016, 21:12   #1
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Sommervogel Die Welt ist klein



Die Welt ist klein


Beim Wispern der Winde durchs Blattwerk der Bäume
im Vollmond zur Mitternachtsstunde
begann seine Reise zur Welt ohne Träume
von einer zur andren Sekunde.
Die Farben verschwammen und lösten sich auf,
ein Szenenspiel nahm seinen Lauf.

Der Boden erbebte und unter den Füßen
verlor er den Halt, freies Fallen
umfing sein Bewusstsein im widerlich süßen
Gefühl wie ein Ton zu verhallen.
Sein Weltraumgefüge verlor an Gestalt,
er suchte vergeblich nach Halt.

Der Zauber betäubte die flatternden Nerven
bis tief in die Ganglienzellen,
ihn schien eine Kraft aus dem Zeitstrom zu werfen,
sie traf seine Mitte in Wellen.
Die Aura schwoll an und er fühlte sich wie
im Brennpunkt aus schwarzer Magie.

Auf einmal erfasste ein kaltes Erschauern
sein Herz und beengte die Kehle,
es half nichts, sich ängstlich zusammenzukauern,
ein Stich traf den Punkt seiner Seele.
Es fand sein Empfinden mit sicherem Strich,
er spürte das Böse in sich.

Sein Körper entwickelte seltsame Formen,
die Zähne, das Fell und die Klauen
entsprachen nicht länger mehr menschlichen Normen,
ihn packte die Furcht und das Grauen.
Er wurde zum Werwolf und gierige Macht
verlangte nach blutiger Nacht.

Er hatte dem Drang, seinen Blutrausch zu stillen,
im Geist nichts entgegenzusetzen,
die Wollust beherrschte zur Gänze den Willen
und wollte ein Menschlein zerfetzen.
Er schaute mit schaurig verzerrtem Gesicht
sich um und erblickte ein Licht.

Bald eilte er heimlich im Schatten der Sterne
zum Haus, das ein Mädchen bewohnte,
und sah durch ein Fenster im Schein der Laterne
ein Opfer, dass wahrlich sich lohnte.
So rosig und zart lag sie da, als sie schlief,
ein Knurren entrang sich ihm tief.

Schon schlich er zur Türe hinauf die paar Stufen
der Treppe auf samtenen Pfoten,
da hörte er plötzlich ein lautstarkes Rufen:
„Der Zutritt, mein Freund, ist verboten!
Denn will einer, der mir die Laune verdirbt,
das Haus hier betreten, der stirbt!“

Es lachte der Werwolf: „Du willst mir erzählen,
du könnest dich gegen mich wehren?
Ich werde die Hülle vom Körper dir schälen
und an deiner Qual mich verzehren!“
Er schaffte gewaltsam sich Zutritt zum Haus
und hoffte auf fröhlichen Schmaus.

Da tönte ein Schuss und er grinste im Wissen,
es könne ein Schuss ihm nicht schaden,
doch war die Pistole, so seine Prämissen,
mit silbernen Kugeln geladen.
Er fiel auf den Boden, zum tödlichen Kampf
erbebte sein Körper im Krampf.

Sie schaute mit Lust auf sein qualvolles Hecheln
und seine Torturen hernieder,
dann drückte ein Kreuz sie mit hämischem Lächeln
ihm hart auf die zuckenden Glieder.
Man sieht sich stets zweimal, sprach sie im Verlauf
und setzte ihr Rotkäppchen auf.


Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)




Geändert von Falderwald (20.06.2016 um 07:56 Uhr) Grund: Änderung
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