Thema: Ohne Menschen
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Alt 08.02.2017, 11:36   #12
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Sy!

Ein tolles Endzeitgedicht, die lyrische Sprache konterkariert den Schrecken der Extinktion und versöhnt zugleich mit dem Bild einer gesundenden Natur.

Tipps:

S1Z4 - Wald und Sand sind zwei, daher würde ich sie in einem Plural zusammenfassen: "sind Wald und ..."
S4Z1 - Ich würde entweder "fest umschlungen" oder "fast verschlungen" schreiben.
S4Z4 - Dieser Satz ist für mich unvollständig: "es" (das Haus?) trägt blätterlind ... WEN oder WAS? - Da fehlt das Objekt!
S5Z2 - Fliegendreck würde hier wohl kaum auffallen. Ich würde "Vogeldreck" präferieren.
S6Z1 - Schöner: "..., niemand wird mehr stören,"
S6Z3 - Für den Sprachrhythmus: "als wolle hier sich die Natur ..."
S6Z4 - Lyrischer: "da keine Zeit mehr zählt, wo sie enteilt."

Zitat:
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Ohne Menschen

Mikroben drangen ein in Menschenzellen,
und neue Viren nahmen keinen Pfand,
sie fällten Leben wie Tsunamiwellen,
wo Menschheit war, ist Wald und Wüstensand.

Gebäude längst vergangner Tage fließen
in ihre Ewigkeit - wie einst auch Rom!
Der Löwenzahn, die Gänseblümchen sprießen,
und Teufel fallen aus dem Kölner Dom.

Umgeben vom Geraschel grüner Espen
verfällt ein rostigrotes Backsteinhaus,
in seinen grauen Fugen wohnen Wespen,
durch Löcher gehen Mäuse ein und aus.

Von rauher Wildnis ist es fast umschlungen,
durch aller Wände Ritzen weht der Wind,
gehäufter Sand versammelt sich gedrungen,
bei jedem Wetter trägt es blätterlind.

Die Räume hatten einstmals viele Buchten,
sie sind verhüllt mit Staub und Fliegendreck.
Hier gab es Stille für die kleinen Fluchten
und auch das Gruseln für den großen Schreck!

Nun wachsen Pflanzen, niemand kann mehr stören,
wenn immergrüner Efeu Steine keilt,
als wolle sich hier die Natur empören,
weil keine Zeit mehr zählt, wenn sie enteilt.

Besonders gefallen hat mir das Bild mit den Teufeln, die aus dem Kölner Dom fallen! - Die Aussage ist klar: Was immer der Mensch sich erdachte und erschuf, zählt ohne ihn nichts mehr und hört auf zu existieren. Mit dem behaupteten Guten des Doms zerfällt auch das Sinnbild für das Böse - der Unterschied war ohnehin oft genug kulturelle Auslegungssache! Ein tolles Gleichnis!

Fakt am Rande: In einem Endzeitszenario wäre tatsächlich der Kölner Dom das letzte, was von der Stadt noch zu sehen oder zu erahnen wäre! Er wurde über Jahrhunderte und für die Ewigkeit erbaut, seine massiven Wände werden selbst mit Erdbeben, Flut usw. noch an die eintausend Jahre stehen bleiben, mehr oder minder verwittert und zerfallen. Alle anderen Bauwerke sind zu fragil oder von vornherein für kurze Nutzung konzipiert worden, sodass sie relativ rasch zerfallen und überwuchert werden.

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
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