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Alt 08.03.2017, 14:35   #11
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi nochmal!

Ich denke, Jongleurs Problem mag sein, dass er - ein begnadeter Logiker - jedes Wort an und für sich auf die Goldwaage seiner Dechiffrierkunst legt, anstatt intuitiv eine Stimmung auf sich wirken lassen zu können, die sich aus der Gesamtheit der Worte und ihrem klanglichen wie inhaltlichen Zusammenspiel, aus einem - wie auch immer vagen - Gesamteindruck des Wortkonglomerates ergibt.

So muss er natürlich zu dem Schluss kommen, dass die meisten Adjektive oder Adverben überflüssig seien, dass die "klare Linie" das einzig Entscheidende und Wertige im lyrischen wie im allgemein kommunikativen Kontext sein kann.

Dazu ein von mir vor Jahren erdachter Gedanke:

Es gibt viele Arten, die Realität zu begreifen und mit ihr zu interagieren. In jedem Gehirn gibt es sie so gut wie alle, aber einige sind stets dominanter als andere und ragen heraus.
Zwei hervorstechende davon sind der logisch-deduktive und der intuitiv-kreative Verstand.
Legt man einem logisch-deduktiv geprägten Geist 10 unterschiedliche Gegenstände vor, so wird er jeden einzelnen davon benennen, beschreiben und genau erklären, was man damit machen kann.
Der intuitiv-kreative Geist bekommt dieselben Gegenstände vorgelegt. Er interessiert sich wenig für die Eigenschaften der Einzelteile, sondern nimmt sie einfach, wie sie sind - und baut daraus etwas anderes, neues, größeres. Möglicherweise, ohne auf bewusster Ebene überhaupt zu erkennen oder zu wissen, was er da, und warum er es tut.

Beide Arten sind nötig für den Fortschritt der Menschheit. Der, welcher definieren kann, was IST und jener, der definieren kann, was sein KÖNNTE - und vielleicht WIRD. Der Intuitive hat eine Ahnung, einen - vielleicht nur geahnten - Überblick, ein "Gefühl" für die Natur der Dinge, ohne zu wissen, warum und woher.
Der Logiker versteht diese Denkweise oft nicht, stellt ihr Funktionieren oder ihren Zweck gern zuweilen in Abrede - zumindest habe ich als intuitiv-kreativer Denker oft diese Erfahrung gemacht! Wer nicht "belegen" kann, also quasi "wissenschaftlich" arbeiten, der kann nicht sinnvoll beitragen, so heißt es oft heutzutage. Oft aber erkenne ich Zusammenhänge, die diesen "Stück für Stück"-Denkern bisher entgangen sind und wundere mich ständig, warum sie das nicht erkennen, wo es doch so offensichtlich auf der Hand liegt, wenn man die Komponenten kennt und die Wahrscheinlichkeiten objektiv gewichtet. Ich bekomme dann zu hören, dass nichts von solchen Annahmen "beweisbar" sei.

Wir leben in einer Zeit - zumindest in der westlich geprägten Einflusszone - die Logik bevorzugt. Alles muss auf Fakten basieren. Ich kann bis heute kaum mit dem Computer umgehen, er "denkt" einfach nicht wie ich, sprich ich kann "seiner" Logik nicht folgen, und im Virtuellen finde ich nichts Greifbares für mein intuitives Talent.
Ich werde mich nicht darüber beschweren - die Alternative: Woodoo, Magie, Geisterbeschwörung und religiöser Fanatismus wären mir noch wesentlich mehr zuwider, denn ich bevorzuge durchaus ein naturwissenschaftliches Universum!


Um den Kreis zu schließen: Vielleicht haben wir hier in den unterschiedlichen Denkansätzen in Sachen Lyrik genau diese Problematik: Der analytische Logiker, der klare, reduzierte Sprache präferiert - und die "Gefühlsdichter", die einen Gesamteindruck durch ihre - mehr oder weniger intuitive - Wortwahl erzeugen wollen und den reduktiven Gedanken nicht nachvollziehen können, ebenso wenig wie der "Nüchterne" den in seinen Augen überflüssigen und störenden Wortschwall der Intuitiven.
Die einen nennen das andere entweder "zu skelletiert, ohne Sprachfleisch" oder "zu verschwurbelt, zuviel Unnötiges" - und verstehen nicht, warum sie nicht verstanden werden. Zumindest nicht so wie gewünscht. Ein Kommunikationsknoten, der zwangsläufig entstehen muss bei so unterschiedlichen Denkarten.

Das zumindest denke ich mir so vor mich hin ... - Aber was weiß ich schon, ich bin ja bloß der Intuitive ...

LG, eKy
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