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Alt 24.04.2011, 19:02   #12
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Moin Justin,

daß mit "nur" Goethe war ein Spaß, den ich mir erlaubt habe.
Ich gebe zu, ich mag den "Faust", ja, er fasziniert mich, aber auch der "West-oestliche Divan" ist ein herausragendes lyrisches Werk.

Selbstverständlich könnte ich noch viele andere Dichter hier aufführen.
Hugo von Hofmannsthal, zumindest die Gedichte seiner Jugendzeit (später schrieb er ja fast ausschließlich Dramen), möchte ich stellvertretend hier nennen.
Schiller, Heine, Hesse, Storm, Fontane, C.F.Meyer, Roth, Novalis, Droste-Hülshoff, Gernhardt und viele mehr standen und stehen selbstverständlich auch auf meinem lyrischen "Speiseplan".
Das muss ich mir neben Kant, Schopenhauer und meiner täglichen wissenschaftlichen Lektüre einfach geben, zur Auflockerung sozusagen.

Ich habe, zugegebenermaßen, etwas Probleme mit den Texten von z. B. Ringelnatz, ich lese wirklich lieber gebundene Lyrik, metrisch korrekt und dadurch mit dem Reim auf den Punkt kommend. Das ergänzt sich meines Erachtens bestens und erzielt, zumindest auf mich, die schönste und erhebendste Wirkung.
Aber wie schon an anderer Stelle erwähnt, muss jeder Dichter für sich selbst entscheiden, welche Wege er geht. Das kann einem niemand vorschreiben.
Für mich bleibt es aber ein Fakt, daß Gedichte, die keine klare metrische Struktur aufweisen, nicht zur gebunden Lyrik gehören, weil ein nachvollziehbarer Rhythmus hier einfach fehlt.
Das erinnert mich an die klassische französische Lyrik, die ausschließlich auf Reime setzte und die Metrik dabei vollkommen außen vor ließ, bis die Franzosen dann merkten, daß es auch anders geht.
Mir ist, ehrlich gesagt, in einem lyrischen Text eine einheitliche Metrik ohne Reime lieber, als umgekehrt.
Ich kann das auch nicht begründen, vielleicht bin ich zu "mathematisch-logisch" angehaucht, es ist eben so.

Ich kann fast jeder Musikrichtung etwas abgewinnen, wenn sie denn "gut" (ich weiß nicht, wie ich das anders definieren soll) gemacht ist, doch an "Free Jazz" z.B. komme ich überhaupt nicht ran.
Das ist mir zu konfus, ich sehe keine klare Linie mehr im improvisierten Zusammenspiel der Musiker, es trifft mich nicht, es berührt mich nicht einmal.
Der später daraus aufkommende "Avantgarde Jazz" hingegen spricht mich schon wieder mehr an weil dort (außer in den freien Passagen) Rhythmus und Tempo wieder regelmäßige Strukturen aufweisen, also (für mich) nachvollziehbar sind.

Was die Basslinie (unterstützt vom Schlagzeug) in der Musik ist, ist die Metrik für mich in einem Gedicht.
Fehlt die regelmäßige Linie, so tue ich mich sehr schwer damit.
Ich will weder dem einen, noch dem anderen die Kunst absprechen, ich akzeptiere das und jeder soll auf seine Art glücklich werden, es gehört nur nicht zu meinen bevorzugten Stilrichtungen.

Was die Einseitigkeit angeht (von der ich mich ja auch nicht ganz freisprechen kann), so sage ich, daß dies jeder für sich selbst entscheiden muss.
Das gehört eben zur individuellen Weltanschauung, ist also vergleichbar mit dem Glauben, den ein Mensch "glaubt zu glauben", wobei ich persönlich dann Free Jazz noch allen Religionen (mit Ausnahme von Teilaspekten des Buddhismus') vorziehe.
Da würde ich mir lieber ein solches Konzert anhören, als die Hirngespinste und das dumme Geseiere in den Predigten aller Sorten von Pfaffen in irgendwelchen Tempeln und Kirchen aller möglichen Glaubensrichtungen.

Das aber ist wohl ein anderes Thema.


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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