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Alt 24.08.2012, 22:50   #88
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
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Standard Nr. 13

Servus Erich,

ich denke, hier wird man immer wieder gerne fündig.

Ich sollte mir wohl langsam eine Liste anlegen, um einen Überblick zu erhalten, welches Sonett ich schon kommentiert habe...

Nun gut, diesmal habe ich mir Sonett Nr. 13 ausgesucht, also "Bäume und Unterholz", vom gleichnamigen Bild des Malers Vincent van Gogh inspiriert.

Zitat:
Von ferne dringt der Lichtung zartes Glühen
an die Verborgenheit der schwarzen Erde,
als werfe sie ein selbstbewusstes Mühen
ins grüne Dunkel, dass es heller werde.
Ich finde die Stimmung des Lichtes hier sehr schön eingefangen.
Die kleine Lichtung im Zentrum des Bildes ist tatsächlich die am hellsten erleuchtete Fläche.
Der Blick aus dem dunklen, belaubten Wald, wo kein Sonnenstrahl den Boden trifft, ist sehr treffend in diesem ersten Quartett dargestellt.

Einzige Anmerkung: Ein "un"bewusstes Mühen wäre mir aus philosophischer Sicht lieber gewesen, weil es die Objektivität unterstrichen hätte, die etwas verloren geht, weil das "Selbst"bewusste Mühen dem beschriebenen Ding m. E. eine menschliche Eigenschaft verleiht.
Aber das ist wirklich nur ganz am Rande erwähnt und soll jetzt nicht in eine Diskussion ausarten.

Zitat:
In ranken Garben drängen junge Gerten
in unerklärter Sehnsucht nach dem Himmel,
und wie ein Traumgebilde wilder Gärten
trägt stille Lebensgier das Blattgewimmel.
Auch diese Quartett ist sehr stimmig zum Bild gestaltet.
Es gibt tatsächlich keine dickeren Stämme dort, fast alles junge Bäume die in gegenseitiger Konkurrenz Ast- und Zweigwerk zum Licht heben wollen.
Auch die "un"erklärte Sehnsucht ist hier genau richtig (s.o.), ein kleiner eigener Kosmos, in dem diese Lebewesen nach der für sie wichtigen Energie des Lebens streben.

Zitat:
In zarten Zweigen atmet ein Gewicht,
als ob sie wispernd ein Geheimnis wüssten,
das sie der Sonne einst verraten müssten.
Das erste Terzett ist eine sehr schöne Einleitung zur Interpretation dieses Bildes.
Bleiben die beiden Quartette noch beschreibend und die Stimmung einfangend, taucht hier zum ersten Mal die Idee auf, die ein Gedicht ausmacht.
Hier ist es das Geheimnis der Zweige, deren Laub im Wind raschelt, was sich anhört wie ein Wispern, als wollten sie sich der Sonne mitteilen.

Zitat:
Noch tun sie's nicht und hüllen sich in Schweigen,
und doch kommt manchmal über sie ein Licht,
als dürften sie's in Schattenspielen zeigen.
Das ist ein wunderbarer Abschluss, denn sie dürfen ihr Geheimnis nicht verraten, zumindest nicht an den, der ihre einzige Sprache, nämlich die Schattenspiele im Licht nicht verstehen kann.

Das rundet den Gesamteindruck dieses Gedichtes sehr elegant ab und gibt ihm etwas Traumhaftes mit. Eben so, wie es einem Betrachter einer solchen Szene in einem schönen Tagtraum ergehen könnte.

Auf die Form brauchen wir hier nicht näher einzugehen.
Ein lupenreines Sonett ist es durch das verwendete Reimschema natürlich nicht, aber ich akzeptiere deine im Vorwort erklärende Einstellung diesbezüglich und kann darin auch bei dieser Menge von Sonetten keinen Widerspruch entdecken.
Diese Stimmungen muss man erst einmal einfangen und da sind Abweichungen von der Norm auch eine interessante Abwechslung, die auch klanglich halten, was sie versprechen.

Das hat mir gut gefallen, eines schönes und passendes Gedicht für diese wunderbare Bild.


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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