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Alt 24.04.2017, 18:16   #27
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Auch mein Weg zur Lyrik war steinig:

Mit 12 las ich zum ersten Mal ein echtes Gedicht für Erwachsene: Rilke's Panther, der damals noch im österr. Schullesebuch präsent war. Ich musste weinen, weil mir der Panther so leid tat, und das hatten diese wenigen Worte erreicht . Welch eine Macht! Das wollte ich auch können, traute mich damals aber noch nicht, hatte auch noch gar nicht das nötige Vokabular.
Der zweite prägende Eindruck war die Schallplattensammlung meine Vaters, wo ich mit etwa 14 oder 15, versteckt unter jeder Menge Marschmusik, ein Hörspiel mit Goethe's Faust fand, mit Erich Ponto als Mephisto, dem Nachfolger von Gründgens.
Nach wenigen Wochen konnte ich fast den ganzen ersten Teil auswendig!
So begann ich danach endlich selbst zu schreiben, was sich - entsprechend meinem damaligen recht arroganten Naturell - ziemlich schulmeisternd, belehrend und herablassend anhörte, vom jugendlichen Pathos ganz zu schweigen. Ich schrieb, bis ich ca. 22 war, immer wieder mal etwas und nervte meine ganze Umgebung mit den Ergüssen! Dann sagte mir jemand, dass gereimte Lyrik keinen mehr interessiere. Ich versuchte eine zeitlang, "modern" zu dichten, aber das erfüllte mich überhaupt nicht. Also hörte ich ganz auf - fast 25 Jahre!

Mit Mitte 40 fand ich beim Aufräumen zufällig die Mappe mit den alten Jungendsünden. Ich wollte mir mit dem Computer in der Schule (damals hatte ich noch keinen eigenen) ein kleines Büchlein - nur für mich - fertigen, eine Art Reminiszenz an die alten Zeiten. Durch das Abtippen der besseren Texte bekam ich wieder Lust zu dichten, und ich stellte rasch fest, dass mein Stil sich dank Lebenserfahrung und Reife sehr gewandelt hatte. Andere fanden es plötzlich gut!
Jetzt erst erinnerte ich mich meiner ersten Begegnung mit der Lyrik und kaufte Rilke's Gesamtwerk und verschlang es mehrfach (ich musste erneut weinen, meist schon nach wenigen Seiten, diesmal allein der Schönheit seiner Sprache wegen. Kein anderer Dichter hat das jemals bei mir geschafft!). Danach folgten praktisch alle anderen namhaften Reimdichter. Ich lernte viel dazu (ich war früher reiner Autodidakt und Gefühlsrhythmiker gewesen), auch in den Foren, wo ich mich seit 2008 herumtrieb.
Allerdings lernte ich immer nur soviel wie ich gerade brauchte. Die Fachausdrücke beherrsche ich zum Teil bis heute nicht!

Heute bin ich kreativ, ohne um jeden Preis nach Neuem zu streben. Ich tue, was mir Spass macht, und Punkt. Perfektionieren kann man sich ohnehin nur bis zu einem gewissen Grad, weil das Talent dann einfach nicht mehr zulässt. So weiß ich längst, dass ich Rilke nie erreichen werde. Aber ich tue mein Bestes, mich seinem Sprachgenie möglichst anzunähern. Darin sehe ich meine primäre Herausforderung. Ich betrachte das beileibe nicht als Reproduktion.

Ich sehe es so: Auf einer Leiter (wenn man es so sehen möchte) kann man zwei Dinge tun: Man kann versuchen, immer weiter zu klettern, jede Sprosse nur so lang benutzend, wie sie einem zum Höhergelangen dient.
Oder man kann sich an eine bestimmte Sprosse stellen, die einen irgendwie besonders anspricht, und sie studieren, sie verfeinern, verbessern, sich ganz in sie vertiefen und an ihr schnitzen, bis sie möglichst schön und perfekt ist. Denn jede Leiter endet irgendwann doch, und was soll ich dort oben ... - man kann tief stürzen, und oben stellt man meist fest, dass die Aussicht die Mühe nicht wert war. Leiterstürmer oder Sprossenschnitzer - ich bin auf jeden Fall letzteres ...

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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