Thema: Sanatorium
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Alt 23.11.2016, 16:50   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Pinni!

Die erste Fassung gefällt mir besser. Die zusätzlichen Strophen der 2. Fassung sind nicht gänzlich auf demselben lyrischen Niveau - so mein Gefühl. Kann es sein, dass sie beigefügt wurden, als du vielleicht ein bißchen weniger inspiriert warst, weniger sprachgewandt formuliertest?

Der Kinder Tollen und ihr lautes Spiel
bin schweigsam ich belugend,
erinnernd, als der Dämon mich befiel
im Fahrtwind meiner Jugend.

Diffuse Tage harrend im Verschluß,
da sich das Selbst verwässert,
man sagt nach jedem Minus folgt ein Plus,
und hofft, daß sich was bessert.


"Der Kinder Tollen ... bin schweigsam ich belugend" - Ehrlich, so würde vielleicht ein alter Lateiner formulieren, wenn er wörtlich übersetzt, aber schönes, lyrisches Deutsch ist das nicht.
Und meint das "erinnernd" in Z3, dass das LyrIch sich selbst erinnert oder jemanden erinnern will, oder erinnert das Tollen der Kinder das LyrIch an etwas? Worauf bezieht sich das?
In der anderen Str.: Komma nach "sagt" in Z3, und das "was" in Z4 klingt gemeinsprachlich flapsig.

Zum ursprünglichen Werk:

Bei Str. 3 fällt mir einiges auf:

Triumph! Der Kampf der menschlichen Natur Wer triumphiert hier? Die menschliche Natur (kurz) oder der November? Wem galt der Kampf der menschlichen Natur? Und erzählt die Strophe hier nicht vielmehr von einem Versagen? Den "Triumph" würde ich mit einem Fragezeichen versehen, als zynische Frage passt er.
hielt nur für ein paar Wochen, Ein Sieg kann halten, ein Kampf dauert.
dann lag er nackt und regungslos im Flur - Wer ist mit "er" gemeint? Das LyrIch? Bei logischem Bezug auf die menschliche Natur müsste es "sie" heißen, bzw. "ihre" in der Folgezeile.
sein Wille war gebrochen!

Das Gedicht gefällt mir gut, die ungleichen Zeilen wiegen sich rhythmisch, passen aber kongenial zur Zerissenheit, Zerschlagenheit der Figur.

Vorschlag:

November! Eingepfercht im Irrenhaus
versiegender Empfindung,
doch hege ich zu Lieb und Hass durchaus
noch eine schwache Bindung.

Der bunte Sommer, der im Lande war -
vergessen düster glänzt er,
und das, wozu ich einst imstande war,
zeigt ein vergittert Fenster.

Triumph? Der Sieg der menschlichen Natur
hielt nur für ein paar Wochen,
dann lag sie nackt und regungslos im Flur -
ihr Wille war gebrochen!


Solltest du die Zusatzstrophen (sie sind ja nicht schlecht, nur eben nicht GANZ so lyrisch beatmet wie die anderen, so zumindest meine Gefühl) nicht streichen wollen, was ich gut verstünde, hier noch ein paar Verbesserungsvorschläge dafür:

Der Kinder Tollen und ihr lautes Spiel
aus Schattenraum belugend,
erkenne ich die Last, die mich befiel
im Fahrtwind meiner Jugend.

Diffuse Tage harrend in Verschluß,
da sich das Selbst verwässert -
man sagt, nach jedem Minus folgt ein Plus,
und hofft, daß man sich bessert.


Sehr gern gelesen und bewerkelt!

LG, eKy
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