Thema: Potzblitz!
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Alt 06.01.2016, 13:41   #10
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, charis!

Wie wolo richtig schreibt, können wir alle Rilke's Sprachgenie nur bewundern, niemals wirklich erreichen!
Bei ihm klingt es nicht falsch oder hingebogen, sein Fluss wirkt so natürlich, dass derlei "Fehler" im Taktgefüge gar nicht auffallen, wenn man nicht genau drauf schaut. Und selbst dann noch ist man versucht zu sagen: Macht nichts - bei ihm!

Wenn ich hier in den Foren einen "falschen Verseinstieg" (Auftakt darf ich ja nicht mehr sagen ...) korrigiere, dann ist es doch leider zumeist so, dass er - zumindest nach meinem Ohr - das rhythmische Gefüge des Textes stört.
Kaum einer bringt es je so hin wie Rilke, und wenn, ist es meist ein Zufallsergebnis. WENN die Stelle im Grunde nicht stört, erwähne ich dies aber auch, soweit mir erinnerlich ist.

Rilke ist überhaupt kaum einzuordnen. Er schreibt manches streng nach Regel, manches nicht. Die Leichtigkeit und Eleganz seiner Sprachführung haben nicht ihresgleichen, aber grundsätzlich könnte man sagen: Bei ihm gehen Sprachmelodie und -klang noch vor Regelwerk und Gleichmaß, ohne dass er eins zugunsten des anderen wirklich merkbar opferte. Wie er es hinbringt, das man ihm dies nicht übel nehmen kann, selbst wenn man so ein Taktpharisäer ist wie ich, sondern nur in ehrfürchtiger Bewunderung lauschend zu verharren vermag, wird wohl ein Geheimnis und in der deutschen Sprache einzigartig bleiben!
Bei ihm gehen Rhythmus und Sprachmelodie Hand in Hand, und sie scheinen sich immer gütlich zu einigen, an welcher Stelle nun was ein wenig den Vorzug bekommt.

Anders kann und mag ich es nicht beschreiben.

LG, eKy

PS: Da ich sein Gesamtwerk viele Male gelesen habe, darf ich erwähnen, dass es durchaus Stellen gibt, meist bei unbekannteren Texten, wo es sehr wohl auffällige Diskrepanzen gibt, die ich - unglaublich frech - in meiner Ausgabe sogar irgendwann mal zu korrigieren versuchte! Aber es sind nicht viele auf über tausend Seiten ...
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Geändert von Erich Kykal (06.01.2016 um 13:45 Uhr)
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