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Alt 24.10.2015, 15:53   #25
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, M!

Das Problem mit solchen Allgemeingültigkeiten ist, dass sie die Freiheit auch immer ein Stückweit einengen. Mit der Zeit kommen immer mehr Regeln hinzu, weil die versierten Poeten neue Herausforderungen brauchen.
Ein schönes Beispiel dafür sind die Sonettregeln:
Am Beginn stand wahrscheinlich nur die Form von Quartetten und Terzetten im Verein. Bald kamen weitere Regeln hinzu: die umarmenden Reime, die Struktur von These, Antithese, Synthese, die unbetonten Auftakte, die weiblichen Kadenzen, die Vermeidung des Paarreims in den beiden Schlusszeilen, die Gesetze des Kranzes und sicher noch ein paar Einschränkungen mehr, die ich nie gehört oder schon wieder vergessen habe.
All das schnürt ein enges artifizielles Korsett, in dem zwar durchaus dichterische Höchstleistungen möglich sind, das aber zugleich auch vieles ausschließt und außenvor hält, was das Sonett als Kunstform durchaus bereichern könnte!
Auch viele sprachliche Möglichkeiten werden so verunmöglicht! Wird ein Korsett zu enggeschnürt, bleibt dem Träger irgendwann die Luft weg!
Nur der Pharisäer, der starre Geist beharrt um jeden Preis auf solchen Grenzen, als wären sie in Erz gegossen und absolut unverrückbar. Nur wer Grenzen braucht, schafft sich welche - und immer neue!
Ich bin der klassischen Sonettform durchaus nicht abgeneigt und versuche sie meist zu befolgen - aber wenn es mal nicht passt oder meine Kreativität andere Wege geht, nehme ich auch dies als wertige Leistung an und schere mich nicht um die stringente Befolgung dessen, was meine Vision kastrieren würde. Demgemäß erachte ich gesunden Menschenverstand und individuelle Bewertung der Lage auch in der Gesellschaft als wichtiger als eine robotische Befolgung von Gesetzen und Vorschriften. Leider können viele Geister diesen Schritt nicht tun, ja nicht einmal innerlich nachvollziehen!
Bedauerlich.
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Geändert von Erich Kykal (24.10.2015 um 15:57 Uhr)
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