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Alt 30.01.2015, 22:49   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Walther!

Ein gut geschriebenes Sonett, keine Frage - übrigens genau in dem epigonalen "klassischen" Stil, den es anprangert, wenn ich nicht irre. Ist das nicht ein klein wenig schizo???

Aber ich sehe das ohnehin anders: Die Schönheit von Sprache ist zeitlos, und sie zu nutzen, steht über Zeitgeschmack und -einflüssen. Meist spricht nur der nackte Neid der diesbezüglich Unfähigen aus jenen, die sich über sog. "altmodischen" lyrischen Stil mockieren und ihn als überkommen und unkreativ bezeichnen.

Es ist wie in der Malerei: Man wollte um jeden Preis "etwas Neues, Anderes" haben, um sich abzugrenzen, Individualität zu beweisen - oder schlicht kaschieren, dass man es einfach nicht so gut konnte wie die alten Meister!
Das Ergebnis ist die sog. "moderne Kunst" - manches gut, manches Müll, aber man muss es eben mögen. Aber wenn alles abstrakt wird, wer versteht es dann noch, wenn mal kein Künstler daneben steht und blumig erklärt, worauf er mit diesem Bild, dieser Skulptur, Montage, Happening usw... eigentlich hinaus wollte!? Und mal ehrlich: Manche "Künstler" machen es sich heutzutage wirklich leicht! Dreimal farbig quer über die Leinwand gestrullt und fertig! Diese Art von Kunst kommt jedenfalls nicht mehr von "Können"!

Ebenso in der modernen Lyrik: Nur noch die Idee zählt, der kreative Gedanke - die Schönheit der Sprache selbst wurde nebensächlich, sie dient nur als Werkzeug, als Transportmittel, als Vehikel für die Aussage.
Das ist nicht mein Angang. Für mich zählt vor allem die Sprachkunst! Die Inhalte wechseln mit Zeitgeist und Mode - der Zauber der magischen Worte aber ist zeitlos: Ein Rilke treibt mich auch hundert Jahre später zu Tränen, kaum dass ich ein paar Seiten gelesen habe... und das, obwohl ich mich mit manchen seiner Inhalte kaum identifzieren kann oder sie heutzutage gar nicht mehr richtig verstehe oder anders interpretiere.

Klar, in ein paar weiteren hundert Jahren wird sich die heutige deutsche Sprache - so es sie noch gibt - so weit verändert haben, dass kaum noch jemand außerhalb von Universitäten oder Antiquariaten verstehen kann, wovon ein Rilke schrieb - um das zu kapieren, muss man nur mal versuchen, ein paar Sätze Mittelhochdeutsch zu verstehen! Heute fragt sich kein Sprachwissenschaftler mehr, ob die Merseburger Zaubersprüche aus der Sicht der damals Lebenden wohl sprachlich besonders ästhetisch waren!

Dennoch - solange ich lebe, werde ich unter Lyrik hauptsächlich schöne Sprache verstehen, so wie ich sie schätze und verehre. Das hat für mich nichts Altmodisches, Überkommenes oder Angestaubtes an sich - das ist einfach nur zum Weinen schön!
Und ich gebe einen Sch...dreck auf die Meinung derer, die versuchen, mir die geliebte Kunst der ästhetischen Sprache schlechtzureden, bloß weil sie proflierungswütig sind oder schlicht wahrer sprachlicher Größe unfähig.
So betrachte ich mich grundsätzlich nicht als Epigonen, sondern vielmehr als Bewahrer und Weiterträger einer zeitlosen Kunst der Verinnerlichung, wiewohl meine bescheidenen Versuche die Größe meiner "lyrischen Ahnen" kaum zu spiegeln vermögen. Mich ebenfalls - und vor allem dennoch - darin zu versuchen, macht mich demütig und stolz zugleich. Ich sehe darin nichts Schlechtes, und ich begreife jene nicht, die sich offenkundig mindererer Mittel bedienen, bloß um irgendwie "anders" oder "neu" sein zu können, so als wäre das grundsätzlich besser oder kreativer. Das aber ist ein Irrtum - oder hängt zumindest von der Betrachtungsweise ab.

Gern gelesen, auch wenn ich deiner Aussage anders gegenüberstehe.

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (31.01.2015 um 11:16 Uhr)
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