Thema: Suum cuique
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Alt 19.09.2012, 23:13   #8
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Moin Thomas,

vielleicht war es aber auch ganz anders.

Der hohe Herr im Himmel sprach:
"Oh welche Schande, welche Schmach!"
Kaum blies er durch die Menschenstirn
Verstand in jedes Durchschnittshirn,
da findet auch ein Streit schon statt,
wer wohl den rechten Glauben hat.
Da sah auch er dann irgendwann,
daß er da nicht mehr helfen kann.
(Er machte sich im Stillen fort
und schuf sich einen neuen Ort.)

Nein, einen echten gläubigen Menschen kannst du mit der von dir zitierten Behauptung ganz sicherlich nicht überzeugen, denn der Glaube schließt die Ratio in diesem Falle aus.
Es ist nur so, daß jedes mehr oder weniger intellektuelle Individuum seine eigene Vorstellung von Moral und der Welt besitzt und somit auch auf seine Gottheit(en) zwangsläufig übertragen muss.
So entstehen unzählige individuelle Götter in der Sicht dieser Einzelwesen, die, ohne es zu bemerken, annehmen müssen, dies sei nun die allgemeingültige Wahrheit.
Ob sie diese Gedanken nun selbst entwickeln oder ob es fremde Gedanken sind, mit denen sie leben und sterben, spielt eigentlich keine Rolle.
Es ist ein kindliches Spiel, kann aber im Extremfall zu Zwangsvorstellungen führen, die verheerende Folgen haben können, wie wir alle wissen.
Und für einen cleveren "geistigen" Führer werden solche Menschen dann auch zu einer leichten Beute, um eigene Vorstellungen durchzusetzen.
Das ist das eigentliche Problem.

Vielen Dank für die erneute Rückmeldung...


Servus Erich,

Zitat:
Da liegt der anthroposophische Denkfehler: Dass alles "einen Sinn haben muss", ist keine Tatsache, sondern unser Wunschdenken. Daraus ergibt sich die überaus praktische Denkart, dass es das Universum nur "wegen uns" gäbe.
Mal ehrlich - welch eklatante Platzverschwendung das wär!
Man könnte es auch anders ausdrücken:
Welch ein fantastischer Ort ist dieses Universum, welches wir, wenn wir uns als Spezies in der Natur bewährten, für uns entdecken und erschließen könnten.
Nein, es muss ganz sicherlich nicht alles einen Sinn haben, aber eine Ursache gibt es immer.
Alles Existierende ist auf eine Ursache zurückzuführen, sonst würde es nicht existieren.

Zitat:
Nein! Es gibt das Universum, und es gibt uns. Ende. Jede weitere Ableitung ist schon "Glaube". Wer's braucht...
Nicht ganz. Es gibt das Universum und es gibt mich. Alles was nicht "Ich" ist, sind Objekte, selbst mein Körper ist ein Objekt dieses Universums.

Zitat:
Übrigens, Dank an Faldi für die Erläuterung, aber er hat offenbar den Zynismus in meinen Zeilen übersehen. Dass der Mensch schuld ist an all dem Blödsinn, den er verzapft, habe ich als allgemeingültige Prämisse unter mündigen Diskutanten mal als gegeben vorausgesetzt.
Nein, den Zynismus habe ich selbstverständlich nicht übersehen. Ich wollte nur noch einmal explizit darauf hinweisen, daß das Göttlein im Hirn ja gar nicht verantwortlich sein kann, denn es existiert ja nur dort und kann überhaupt nix dafür, wie es von seinem Eigentümer missbraucht wird...

Zitat:
Wie hat ein Sudanese kürzlich so schön entlarvend in die Kamera gebrüllt?
"Wenn der Westen mit Freiheit und Demokratie zu uns kommt und Allah und den Propheten beleidigt, dann scheißen wir auf Freiheit und Demokratie!"
Nie war ein Idiot nützlicher... Da erschließt sich das volle Ausmaß kultureller Blindheit - wenn Steinzeitislam und armutsbedingter Minderwertigkeitskomplex sich verbünden, wird freiflottierend verallgemeinert. Die psychosozialen Mechanismen sind da übrigens die gleichen wie bei Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Nur das argumentative Deckmäntelchen divergiert...
Und nur der Vollständigkeit halber: Unsere Betbrüder sind keinen Deut besser. Etwas kultivierter und sublimierter vielleicht, aber genauso vernagelt und unverbesserlich beschränkt. (Wie übrigens alle, die sich im Besitz "ultimativen Wissens" glauben, bzw. derlei nötig haben, weil sie die nüchternen Tatsachen, die uns das sichtbare Universum zeigt, nicht ertragen...)
Tja, es ist halt für das schlichte Gemüt bequemer, mit den Gedanken anderer zu leben und zu sterben, notfalls dafür auch zu unterdrücken und zu morden.
Und das gilt für hüben wie für drüben.

Ach sind wir Atheisten doch friedliebende Menschen, nicht wahr?

Es wird gerade stark an den Grundfesten unserer Gesellschaftsform gerüttelt und ich befürchte, daß bald schon wieder eine Zeit kommen könnte, wo wir uns entscheiden müssen, wie es weitergehen soll.

Ich glaube (!), die Menschheit befindet sich auf dem besten Wege in eine Krise nie dagewesenen Ausmaßes, wenn man das momentane Weltgeschehen einmal näher betrachtet.
Auch unsere Lebensweise steht vor einer großen Prüfung und es stellt sich immer stärker heraus, daß der Weg, den wir beschreiten, auch nicht in eine goldene Zukunft weisen kann.
Wir hinterlassen unseren Kindern und Enkeln eine schwere Last und Bürde und können ihnen nur wünschen, daß sie es schaffen, diese Welt einst besser zu gestalten, denn die heutige Zeit sieht sehr düster und hoffnungslos aus.
Leider...

Auch dir vielen Dank für die erneute Rückmeldung...


Hi Antigone,

ich habe keine Probleme mit dem Titel, denn eine seit zweieinhalb Jahrtausenden gebräuchliche Redewendung hat eine ganz andere Geschichte und ist, für sich betrachtet, erst einmal ganz unschuldig, denn sie kann nichts dafür, wenn sie durch irgendeine Ideologie einmal missbräuchlich verwendet wurde.
Es kommt m. E. immer auf den Kontext an und ich habe mich schon immer dagegen gewehrt, die Sprache nicht frei verwenden zu dürfen, nur weil irgendein Idiot mit der Zusammensetzung von ein paar Begrifflichkeiten einmal übelstes Schindluder getrieben hat.
In der Tat war ich mir allerdings auch nicht darüber bewusst (Bildungslückke anscheinend), daß das Lagertor des KZ's Buchenwald jene Inschrift trägt, sonst hätte ich vielleicht doch von der Verwendung abgesehen, weil es mir fern lag, Opfer dieses üblen Teils der deutschen Geschichte zu verhöhnen oder zu verspotten.
Da ich den Titel eigentlich gut finde, deine Kritik aber durchaus nachvollziehen kann, schlage ich vor, ihn durch das lateinische Original "suum cuique" zu ersetzen.
Somit wird dann wohl deutlich, daß ich sowohl deiner Kritik Rechnung tragen, als auch die alte historische Bedeutung zugrunde legen möchte, denn "Jedem das seine" galt lange als die Gerechtigkeitsformel schlechthin:
Zitat:
Zitat von Digesten 1,1,1 u. 1,1,10
Das Recht ist die Kunst des Guten und Gerechten.…Gerechtigkeit ist der unwandelbare und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zu gewähren. Die Regeln des Rechts sind die folgenden: ehrbar leben, andere nicht verletzen, jedem das Seine zubilligen.
Arthur Schopenhauer hat in seinem Werk "Die Welt als Wille und Vorstellung II" ganz anschaulich dargestellt, wie sich der Gott Jehova aus dem brahmanischen Gott Indra entwickelt hat und zwar ganz ähnlich, wie du es hier beschreibst.

Warum aber braucht der Mensch überhaupt ein (oder mehrere) höheres Wesen?
Ganz einfach, weil er ein metaphysisches Bedürfnis hat, das nach Befriedigung der grundlegenden Fragen strebt: Wer bin ich? Warum bin ich? Wohin gehe ich?
Darauf freilich glaubt jede Religion Antworten geben zu können und für das bequeme Gemüt mögen diese durchaus ausreichen, zumal das Ganze noch mit einer gehörigen Portion Moral ausgeschmückt ist.
Das ist in der Tat eine "Philosophie für das Volk", die jedoch leicht zu einer Ideologie mit vernichtenden Folgen werden kann.
Zudem ist sie, institutionalisiert, ein gewaltiges Machtinstrument, um die Massen zu manipulieren.

Einem Gläubigen kannst du damit freilich nicht kommen, denn er glaubt ja, was nichts anderes heißt, etwas als wahr anzunehmen, ohne es einer Prüfung zu unterziehen.
Das ist dann das Dogma.

Es liegt einem geschichtlich beflissenen Menschen ganz klar auf der Hand, daß das Christentum ein durch und durch konstruiertes Gebilde darstellt, welches seinen Durchbruch Konstantin dem Großen zu verdanken hat, der die zahlreichen und verstreuten Christen, die in verschiedenen Sekten zusammenlebten, brauchte, um die zerbröckelnde Macht Roms zu erhalten.
Aber das führt jetzt zu weit.

Ich denke, wir sind uns über das Wesen der Religion im Großen und Ganzen einig.
Leider führt das alles nicht zum Positiven.
Zitat:
Zum Sonett selbst: Es ist ausgezeichnet geschrieben, ich würde nicht einen Deut ändern wollen.
Dankefein für das Lob...


Ich bedanke mich für euere Gedanken, Kommentare und Anregungen...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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