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Alt 20.03.2012, 18:31   #5
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Liebe Dana,

meine, vielleicht etwas zu locker hingeworfene, Bemerkung (die leider, wie ich beim nochmaligen Lesen feststelle, eine Verallgemeinerung enthält) ist überhaupt nicht als Kritik gedacht. Ich dachte dabei an Dichter wie den Dichter Seyid Nesimi, er wurde wegen seiner sufischen (d.h. religiösen) Ansichten in Aleppo Anfang des 15. Jahrhunderts auf bestialische Weis umgebracht. Oder an Pir Sultan Abdal, er wurde 1560 von dem Pascha Hizir (Hinzir), dem Stadthalter von Sivas zu Tode verurteilt. Aber auch Christian Friedrich Daniel Schubart, der im 18 Jahrhundert in Deutschland lebte und wegen seiner gesellschaftspolitischen Haltung zehn Jahre lang eingekerkert war. Er wurden dem jungen Schiller zur Abschreckung vorgeführt, was Schiller veranlasste aus seiner Heimat zu fliehen. Aber z.B. auch Heine ist nicht freiwillig aus Deutschland emigriert Sein Bild ist heute romantiziert und domestiziert, dass die schlesischen Weber, und Doctrin etc. gar nicht zu ihm zu 'passen' scheinen. Oder aus noch jüngerer Zeit Solschenizyn etc.

Heute ist das Problem etwas anders gelagert. Mir hat vor einiger Zeit ein Physiker, der 'ketzerische' Ideen vertreten hat, gesagt: 'Früher sind die Ketzer wie Giordano Bruno verbrannt worden, heute werde sie totgeschwiegen, das ist heute vielleicht humaner, aber vor allem wirkungsvoller.' Da ist etwas dran.

Dichter sind eigentlich keine Helden, sondern Menschen, die ein Gespür für tiefe gesellschaftliche Bewegungen haben. Du sagst 'Ideenvorläufer'. Deswegen geraten sie, ohne dass sie etwas dafür können, in Konflikt, und da solchen Menschen meist ihre intellektuelle Identität und Integrität sehr wichtig ist, hat das bisweilen Konsequenzen für ihre 'Karriere'. Das scheint fast zwangsläufig so zu sein, aber nicht notwendig, d.h. der Zufall spielt eine Rolle. Ob jemand ein guter oder weniger guter Dichter ist, kann man deswegen daraus nicht ableiten.

Deine Frage bezüglich der Anliegen, die durch Poesie zu lösen sind, ist schwer zu beantworten. Ich persönlich finde, dass Friedrich Schiller in den 'ästhetischen Briefen' (die vor dem Hintergrund der gescheiterten Französischen Revolution zu sehen sind) die bisher beste Antwort auf die Frage gegeben hat, was die Kunst für und in der Gesellschaft leisten kann und soll. Aber dagegen wurden schon viele Argumente vorgebracht.

Nochmals, meine Bemerkung ist keine Kritik an irgendjemandem.

Liebe Grüße
Thomas

P.S.: Das ging jetzt alles weit über das übertragene Gedicht hinaus, aber ich wollte dir so gut es geht auf deine wichtige Frage antworten.

Geändert von Thomas (20.03.2012 um 18:38 Uhr)
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