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Alt 13.09.2011, 10:35   #3
Stimme der Zeit
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Moin, Moin, eKy,

nach deinem "dezenten" () Hinweis neulich im Chat suchte ich mir also ein weniger "stark frequentiertes" Gedicht von dir. Um zu vermeiden, dass ich dir dadurch zu sehr "Honig um den Bart (trägst du einen?) schmiere": Ich habe etwas zu "mäkeln", Ätsch. Aber erst am Schluss.

Zitat:
Ob heiter froh, ob lamentierend,
es sucht ein jeder sich hienieden,
ob voller Zorn, ob resignierend,
zuletzt das Los, das ihm beschieden!
"Jeder ist seines Glückes Schmied", ein altbekanntes Sprichwort, älter, als man denkt: "Faber est suae quisque fortunae." oder "Faber est quisque fortunae suae." - Appius Claudius Caecus, zitiert bei Sallust, 2. Brief an Caesar, I. (Quelle: Wikiquote, Lateinische Sprichwörter) Dennoch ist es heute so wahr wie damals.

Zitat:
Er kann nicht anders, als sein Wesen
ihm unentrinnbar vordiktiert!
Stets hat er mit dem eignen Besen
die Schrift im Sande sich verschmiert!
Wer nur negativ eingestellt durch sein Leben geht, wird nur negative Erlebnisse haben - das gilt auch für die positive "Seite" der Medaille. Mir gefällt das Bild vom "eignen Besen" in Verbindung mit dem Sand: So betrachtet, "verläuft die Schrift im Sande". Die Bemühungen "versanden" erfolglos. Viele Menschen kennen das Prinzip der "sich selbst erfüllenden Prophezeiung" nicht. Geht man mit der Einstellung "Das wird sowieso nichts werden" an etwas heran, dann wird man auch (unbewusst) selbst dafür sorgen, dass es "nichts wird". Wie oft höre ich: "Der/die hat immer so unverschämtes Glück, was er/sie auch anfängt, es "wird etwas daraus"!" Immer begleitet von akutem Neid. Erfolgreiche Menschen sind meist von Natur her optimistisch und, man sehe und staune, sie haben in den allermeisten Fällen auch Erfolg. Warum? Weil sie selbst dafür sorgen, indem sie überzeugt sind, dass ihre Bemühung ein Erfolg wird. Was dann auch der Fall ist.

Zitat:
So stolpern wir durch Raum und Zeiten
als Söldner unserer Utopien,
und jeder Tag wird im Durchschreiten
zur Brücke, über die wir fliehn!
Wunschvorstellungen und Träume, welcher Mensch hat sie nicht? Wir folgen ihnen, ob nun mit oder ohne "Erfolg". "Söldner" ist eine gute Metapher dafür. Ein Wunsch hat uns durchaus "gekauft" und wir dackeln ihm brav hinterher, gelegentliches Stolpern inklusive. Fallen wir dabei auf die Nase, dann gibt es ja den "nächsten Tag" als (rettende) Brücke, wir fliehen über sie - hin zum nächsten Traum/Wunsch/Ziel.

Wie Lipiwig bereits richtig bemerkte: Das Gedicht "malt" deutliche Bilder, ich finde es gut gelungen.

So, jetzt zum "Mäkeln":

Zitat:
So stolpern wir durch Raum und Zeiten
als Söldner unserer Utopien,
und jeder Tag wird im Durchschreiten
zur Brücke, über die wir fliehn!
Vers 2 hat ein Betonungsproblem:

Zitat:
als Söldner unserer Utopien
xXxXxXxXxx (unserer ist ein bisschen "Autsch" betont)

Du könntest
Zitat:
als Söldner unsrer Utopien
schreiben, aber:

xXxXxxXxx

Ich weiß nicht, ob "unserer" statt "unsrer" ein Tippfehler ist, ich denke nicht, da sonst eine Silbe fehlt. Trotzdem möchte ich beide Varianten darstellen. Betrachte ich Version 1, dann ergibt sich Folgendes: unserer Utopien - XxXxXxx, eigentlich XxxxXxx. Da es aber im Deutschen keine drei unbetonten Silben nacheinander geben darf, hebt sich die Nachsilbe (Suffix) von "unserer", wodurch dessen Betonung (nicht gerade "gut", da "gebogen") in den jambischen Rhythmus passt, allerdings eine gleitende Kadenz "dasteht": xXxXxXxXxx.

Bei Version 2 kehrt die (korrekte) Betonung von Utopien als Problem zurück: unsrer Utopien - XxxXxx, da sich Utopien (ich hasse Fremdwörter, betonungstechnisch gesehen!) xXxx betont. Utopia ebenfalls: xXxx, dafür aber (grmpf) Utopie (Singular) prompt xxX (). Fazit: Hier entsteht sogar ein daktylischer Versfuß und erneut eine gleitende Kadenz: xXxXxxXxx. Ich gebe offen zu, dass ich bei lateinisch- und griechischstämmigen Fremdwörtern lieber die Suchmaschine anwerfe, da ich mir manchmal unsicher bin. Dabei stellte ich fest: Aus deren Betonungsregeln werde schlau, wer will ...

Also lass es stehen, ich wollte nur aufzeigen, wie leicht man in eine "Betonungsfalle" tappen kann, was auch mir von Zeit zu Zeit passiert.

Deshalb gefällt mir dein Gedicht nicht weniger gut, nur, damit es kein Missverständnis gibt.

Sehr gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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Geändert von Stimme der Zeit (13.09.2011 um 10:59 Uhr) Grund: Kleine Ergänzung.
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