Thema: Depression
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Alt 08.05.2009, 09:01   #8
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asphaltwaldwesen
 
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hallo Chavali,


dein gedicht beschreibt treffend genau ein phänomen, das in vielen paarkonstellationen/beziehungen mehr oder weniger ausgeprägt vorhanden ist und dessen beziehungs- und persönlichkeitsschädigender mechanismus oft gar nicht erkannt wird.

ich hab mal in meiner handgeschriebenen psychologie-mappe geblättert und das hier dazu gefunden. es beschreibt die hintergründe und mechanismen in sachlicherer form, die dein gedicht sehr treffend und eindringlich auf den punkt bringt!

Zitat:
Die meisten Menschen werden von den zwei (mehr oder weniger stark ausgeprägten) großen Lebensängsten begleitet: Zum einen von der Angst vor der Isolation, zum anderen von der Angst vor der Nähe, dem Verschlungenwerden, dem Ich-Verlust.

Bei manchen ist eine der beiden Ängste besonders ausgeprägt, bei anderen wiederum beide gleichzeitig. Dadurch entsteht ein Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und dem gleichzeitigen Wunsch nach Distanz, entweder zwischen zwei Menschen mit unterschiedlicher Bedürfnislage oder als innerer Konflikt in der Person selbst. Beides wird in die Partnerschaft getragen und wird zum Beziehungs-bestimmendem Thema.

Bei vielen Paaren (das können neben Mann-Frau-Paaren auch Mutter-Tochter-Paare oder andere Paarkonstellationen sein) wirkt sich dieser Konflikt folgendermaßen aus: hier wird aus Isolationsangst eine symbiotische Beziehung angestrebt. Das Paar fühlt sich geradezu als eine Person, was die Liebe über kurz oder lang ersticken wird.

In einer solchen Partnerschaft/Paarkonstellation wird eine Persönlichkeitsenwicklung unmöglich gemacht, zu gut ergänzen sich die Partner - der eine bietet Schutz, der andere ist schutzbedürftig - entsprechend abhängig sind beide von einander.

Dieses Partnerschaftsprinzip wird Kollusion genannt.

Obwohl die Partner so „verschieden wirken“ ist der Grundkonflikt für beide der gleiche. Er wird nur in verschiedenen Rollen ausgetragen. Der eine Partner "wählt" den progressiven, der andere Partner den regressiven Selbstheilungsversuch. Progressiv meint hier jedoch Überkompensation.

Auf Dauer kann das nicht gutgehen, denn in Wirklichkeit sehnt sich auch der Beschützende nach eigener Kindlichkeit und Schutz. Langfristig wird eine solche Beziehung scheitern, da die verdrängten Anteile im eigenem Selbst wieder hochkommen.

ich lese dein gedicht auch als dialog zwischen dem zehrenden lyrDu und dem sich gefangen fühlenden lyrIch, kann ihn aber tatsächlich ebenso auch als inneren dialog lesen, in dem das lyrIch sich nicht von selbstschädigenden verhaltensweisen bzw. persönlichkeitsanteilen trennen kann oder mag, obwohl es diese erkannt hat. es geht in beiden auslegungsmöglichkeiten immer um die ängste, die uns mehr steuern als unser rationales denken.

und es geht immer auch um das grenzen setzen. auch dem menschen gegenüber, den wir am meisten lieben. beispielsweise für angehörige von alkoholkranken oder manisch-depressiven ist gerade das ein wichtiger lernprozess. zu anerzogen ist der gedanke des im-stich-lassens, obwohl ein teil im angehörigen fühlt, dass er sich dabei selbst auch vom gegenüber mit-schädigen lässt.

ein heikles thema und allgegenwärtig. oft auch im kleide der ach-so-innigen, aufopfernden liebe.

du hast es wunderbar offen für interpretationsspielraum formuliert.

sehr gern gelesen.


lieber gruß,


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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan
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