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Felix 18.12.2017 00:59

In diesen grauen Mauern
 
(zu einem Foto in Zelle 120 der
Gedenkstätte in Bautzen)


Mein 8. Mai

In diesen grauen Mauern
saß nie ein Mädchen neben mir,
es sollte fünfzehn Jahre dauern,
da fragt man sich: Wofür
hat mich die Staatsmacht rüde weggeschlossen,
die Freiheit, meine Zukunft so brutal geraubt
und mir gedroht, und beinah hätt ich es geglaubt,
so was wie mich, das hätte man vor kurzem glatt erschossen?

Wie kommt das Blondchen neben mich
und lächelt still vergnügt in sich hinein?
Man überdachte sicherlich:
So was wie der gehört hier gar nicht rein.
Nach knapp drei Jahren schloss ein strammer Offizier
mit einem Grinsen im Gesicht
die stets verschlossne Zellentür
auf und sprach, es klang wie ein Gedicht:

Sie packen schleunigst ihre Siebensachen!
Ließ dann zum letzten Mal am achten Mai
im Jahre zweiundachtzig die klinkenlose Türe krachen,
ich dachte nur: Nun bist du endlich frei,
kannst endlich wieder machen,
was dir beliebt und aus der tiefsten Brust
entsprang ein lautes Lachen:
Oh, achter Mai! Oh, Glück! Oh, Lust!

Ach so, dieses Blondchen, das neben mir lächelt -
wir packten die Gelegenheit beim Schopf
und haben einander uns Luft zugefächelt
und sorgsam jeden Knopf
der Jacke wieder zu gemacht.
Sie flüsterte heiser: Du Loser, du Böser,
knips von uns beiden per Selbstauslöser
ein Foto - dann haben wir leise gelacht.

juli 18.12.2017 11:16

Hallo Felix,:)

Dein Gedicht von dem imaginieren Mädchen und dem Mann, der in Bautzen sitzt, berührt. Es ist für mich ein fremde Welt, und ich kann von Glück sagen, dass ich in Freiheit leben durfte. Wenn man abgeschottet von der Welt alleine in einem Raum ist, erkennt man sich selbst. Und um nicht alleine zu sein, ist es gut sich gute Geister zu erfinden, wie: Das Mädchen.:)

Das Gedicht steht bei: ein neuer Morgen, damit ist die Freilassung des Mannes gemeint. Wenn nicht dann, dann sollte man ein Fest feiern. Ein Fest der Freiheit! Ein Fest den blauen Himmel sehen zu dürfen! Ein Fest für eine Zukunft, die man selbst gestalten kann.

Das Reimschema schwankt, es ist abwechslungsreich und die Verslänge paßt gut zum Erzählen. Als Leser habe wohl gefühlt. Das Thema ist trotz des tragischen Schicksals, voller Optimismus. Ich denke zum Schluß: Auf in die Freiheit! Los!

Tolles Foto:)

Sehr gerne gelesen sy:):Blume:

:Blume::Blume::Blume:

Felix 18.12.2017 13:20

Liebe Syranie,
leider bin ich zu dusslig, um das entsprechende Foto mit einzustellen. Also versuche ich mal, es zu beschreiben: In einer Zelle des ehemaligen Stasi-Zuchthauses sitzt ein ehemaliger Häftling auf dem Klapptisch (auf dem er vor Jahren seine ersten Gedichte schrieb. Neben ihn steht eine hübsche Blondine, im Hintergrund ist ein Teil des Fensters zu sehen (aus dem man zwar nicht viel sehen, aber mit den weiblichen Häftlingen kommunizieren konnte).
Während der Haftzeit war natürlich an einen direkten Kontakt nicht zu denken.
Aber jetzt stehen die meisten Zellen leer und die im Obergeschoss gehören nicht zu den Räumlichkeiten, die man in der Bautzener Gedenkstätte besichtigen kann. Es bedurfte einiger Überredungskunst, dem ehemaligen Häftling und seiner Freundin einige Zeit den Zutritt in "seine" Zelle zu gestatten. Den Rest muss man halt dem Gedicht entnehmen.
Zu dem "imaginären" Mädchen nur so viel: Die Vorstellungskraft kann einiges bewirken (während der Haftzeit). Die Überredungskunst dem Aufsichtspersonal gegenüber kann aus zurückliegender Imagination einen kleinen Triumph zaubern. Das hätten sich die früheren Zuchthauswärter in ihren wildesten Träumen nicht vorstellen können.
Liebe Grüße,
Felix


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