Gedichte-Eiland

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Falderwald 19.06.2016 17:07

O Geist
 


O Geist


O Geist, eh mein Verstand beständig sich verwirrte,
war er noch leer und ich der Unschuld Blumenkind,
die Knospen wogten ungestüm im Sonnenwind,
als sanfte Ahnungslosigkeit mich noch umschwirrte.

Die Welt erschien mir wie ein buntes Labyrinth,
je tiefer ich mich in den Blütentraum verirrte,
doch als sein Spiegelbild mit lautem Knall zerklirrte,
bemerkte ich entsetzt, ich war, ach Geist, so blind.

Das Leben ist ein steter Kampf mit Wind und Wetter,
und all das Ungeziefer - Läuse, Wanzen, Milben -
bedient sich ungeniert und schamlos meiner Blätter.

Gedankenunkraut wuchert zwischen Wurzelsilben,
was mir das Hirn zerbricht, drum sei, o Geist, mein Retter,
bevor die letzten grünen Triebe mir vergilben.


Falderwald
. .. .



Erich Kykal 19.06.2016 21:20

Hi Faldi!

Ein sehr schönes Gedicht in wundervoll lyrischer Sprache.

Was mich einzig stutzen ließ:

S2Z3 - "sein Spiegelbild" - wovon ist da die Rede? Spiegelbild des Verstandes aus S1, des Blütentraumes aus der Vorzeile? Und warum Spiegelbild? Gespiegelt woran oder worin? Das wird nicht erklärt, somit hängt dieses Bild völlig in der Luft.

Grundsätzlich stellt sich auch die Frage, welcher "Geist" hier angesprochen wird. Um des Verstand (?) eines realen Baumes kann es ja nicht gehen. Ist eine Art "heiliger" Geist gemeint, eine Art "Über-Ich"?
Soll der Baum selbst hier als Gleichnis für den Verstand des Dichters dienen? Wenn ja, welchen Geist ruft er an? Den göttlichen? Oder ist er einfach schizophren?

Für mich sind "Geist" und "Verstand" dasselbe, daher habe ich in S1Z1 automatisch geschlossen, dass diese Begriffe hier verschiedene Entitäten definieren. Habe ich ein Interpretationsproblem?

Ich sehe es so:

Ein Verstand sieht sich vom Schmutz und Ungeziefer des Lebens bedrängt, was sinnbildlich für Verlockungen zur Sünde steht, und die Winde unsicheren Schicksals zerren an seiner "reinen" Gestalt.
Daher ruft dieser Verstand einen Geist an - Gott?

Falls ich richtig deute, gefällt mir das Gedicht zwar formal sehr, inhaltlich aber kaum. Da ich weiß, dass du über Religionen ähnlich denkst wie ich, befürchte ich allerdings, die wahre Bedeutung deiner Zeilen entzieht sich mir.

Ich ersuche um Erläuterung ...

Sehr gern gelesen!:)

LG, eKy

juli 20.06.2016 10:34

Hallo Faldi,

Das finde ich gut! :)

Körper, Geist und Seele gehören zusammen, für mich ist der Geist, der Intellekt, das Denken - Können schlechthin. Im Laufe des Lebens haben sich Ansichten und somit auch der Geist verändert. Wenn man jung ist, hat man noch Blümchen im Kopf, Freiheit und den sinn Etwas bewegen zu könnnen.Das lese ich aus deiner 1 S.
Die 2.te stellt ernüchtert fest, das der Geist, sprich der Verstand am eigenen Ich scheitert. Was mal feststand als Überzeugung wird revidiert oder relativiert, und hinterfragt - es ist mit der Zeit anders geworden, wie man selbst einmal dachte....:rolleyes:

der 3.Teil zeigt die Widrigkeiten( Ungeziefer,Läuse, Wanzen, Milben) des Lebens auf. Sie haben sich schamlos über die ehemaligen Blümchengedanken, die mit Optimismus angefüllt waren, hergemacht. Das unbeschwerte gin verloren...

der 4te Teil, weiß noch um das ehemalige Denken, das Unbeschwerte, und hofft etwas davon behalten zu können. Es ist für mich ein nachdenkliches Sonett, daß daran erinnert, sich treu zu bleiben, auch wenn es Widrigkeiten gibt, die verändern können. Es ist ein Gedicht mit einem Ruf an die Vernunft und die Unbeschwertheit. Beide gehören zusammen.

Das fiel mir bei deinen Worten ein.:):Blume:

Sehr gerne gelesen sy

:Blume::Blume::Blume:

Falderwald 26.06.2016 15:39

Servus Erich,

es freut mich, wenn dir die lyrische Sprache zusagt. Schade ist es aber, dass du mit dem Inhalt nicht klarkommst, denn dass dieser durchaus verständlich ist, hat mir der zweite Kommentar gezeigt, der eine gute Interpretation meiner Intentionen spiegelt.

Das „Spiegelbild“ in Strophe zwei bezieht sich selbstverständlich auf den „Blütentraum“. Meiner Meinung nach muss das gar nicht erklärt werden, denn jeder Traum, jede Weltanschauung, ja jede Weltbetrachtung ist immer nur ein Spiegelbild dessen, was sein Besitzer betrachtet und empfindet.

Dieser Text steht ja auch nicht umsonst in der „philosophischen Abteilung“, soll also zum Nachdenken und zum Eintauchen anregen.
Und philosophisch gesehen sind der Geist und der Verstand auf gar keinen Fall ein und dasselbe.

Immanuel Kant hat den Verstand ganz klar der Vernunft gegenübergestellt. Er sah im Verstand die Fähigkeit, Begriffe bilden und diese zu Urteilen verbinden zu können.

Arthur Schopenhauer sagte (und dazu tendiere ich auch):
„Das subjektive Korrelat der Materie oder der Kausalität, denn beide sind eines, ist der Verstand, und er ist nichts außerdem. Kausalität erkennen ist seine einzige Funktion, seine alleinige Kraft.“

Damit beschränkt sich der Verstand auf das Erkennen von Ursache und Wirkung.
Womit im Prinzip auch ausgesagt wird, dass selbst Tiere einen Verstand besitzen, den sie im täglichen Überlebenskampf auch brauchen, sonst könnten sie gar nicht überleben.

Der „Geist“ hingegen bezeichnet im Zusammenhang mit dem (menschlichen) Bewusstsein die kognitiven Fähigkeiten des Menschen, also die Wahrnehmung, das Lernen, Erinnerung und Vorstellung und sämtliche Formen des Denkens wie Überlegung, Auswahl, Entscheidung, Absicht, Planung, Strategie, Voraussicht, Einschätzung, Gewichtung, Bewertung, Kontrolle, Beobachtung und Geistesgegenwärtigkeit.

Damit wäre der Verstand also nur ein Teil des Geistes.

Somit ist hier also nicht irgendein heiliger Geist oder Über-Ich gemeint.

Außerdem zielt dein Interpretationsansatz in die falsche Richtung, denn hier ist ja kein Baum gemeint, der wird nirgendwo im Text erwähnt, sondern es wird von Anfang ein Blumenbild bis zum Schluss verfolgt:

Blumenkind, Knospen, Blütentraum, Blätter, Gedankenunkraut, Wurzelsilben bis hin zu den letzten grünen Trieben.

Die Ansprache, die in diesem Text erfolgt, richtet sich also an den eigenen Geist, denn der Protagonist beklagt bei diesem die Verwirrung des eigenen Verstandes.

Das Ungeziefer sind die Typen, die einem im Leben so begegnen und an der Welt verzweifeln lassen, weil sie immer nur eines wollen, nämlich den Menschen für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. Sie saugen an ihm wie es Parasiten nun mal so machen. Es geht nur um materielle Dinge und Macht, egal was dabei zerstört wird.

Dazu gehört Gedankenunkraut ebenso wie, Läuse, Wanzen und Milben, die sich auf Kosten anderer bereichern.

Ich schätze also, hier lag tatsächlich ein Interpretationsproblem vor.

Aber dafür haben wir ja den gemeinsamen Austausch…:)

Vielen Dank für deine Gedanken zum Thema…:)


Moin syranie,

deine Interpretation zeigt genau in die richtige Richtung mit einer Ausnahme.
Du gehst davon aus, dass Geist und Verstand dasselbe sind. Dass dies aber nicht so ist, habe ich in meiner Antwort an Erich schon erläutert.

Der Rest allerdings trifft ziemlich genau meine Intentionen.

Im Laufe des Lebens haben sich wohl die meisten Ansichten verändert, denn es eröffnen sich immer wieder neue Blickwinkel.
Manche kann man einfach nicht verstehen (also mit dem Verstand erfassen).
Ein junger Mensch weiß von vielen Dingen noch nichts und muss in ebenso vielen Dingen später umdenken, weil sein Spiegelbild von dieser Welt eben doch nicht so ist, wie es sich ihm zunächst darstellt.

Dein Fazit ist ebenso gelungen. Der Text ist ein Hilferuf an die Vernunft und die verlorene einstige Unbeschwertheit.

Und da es dem Autor und dem Protagonisten an einem religiösen Glauben und somit einem Gott mangelt, kann dieser Aufruf nur an den eigenen Geist erfolgen.

Vielen Dank für diese Interpretation, zeigt sie mir doch, dass dieser Text nicht unverständlich ist…:)


Ich bedanke mich für eure Kommentare…:)

Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald



Wodziwob 05.07.2016 13:27

Hallo Falderwald,

es ist ein zweischneidiges Gedicht. Zum einen hast Du natürlich recht, oder wie Ian Gillan von DP kürzlich so schön sagte: "Als ich jung war, wusste ich alles. Heute weiß ich, wie wenig ich weiß."

Einmal abgesehen davon, dass die Blumenkinder bei Weitem nicht so blauäugig naiv waren, wie sie heute gerne hingestellt werden, da ihre umwälzende Bewegung nach wie vor als Bedrohung empfunden wird von diversen Leuten, ist es sicher wahr, dass manche Seifenblase zerplatzen muss, bevor man klar sieht... andrerseits ist jede Enttäuschung ein Stück überwundene Täuschung, und eben deshalb kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Im Gegenteil, der Geist kann sich klären dadurch.

Andrerseits besteht die Gefahr, dass eben dieser geklärte Geist zu einem kalt abgeklärten und resignierten schrumpft, kann man ja oft genug beobachten. Deshalb ist es wichtig, den (guten!) Idealen der Jugend ein Lebtag treu zu bleiben, mag Vieles davon auch ein Traumbild gewesen sein, es war allemal erstrebenswerter und besser als die Wirklichkeit. Eines Tages kommt eine Generation, die verwirklicht, was mitunter Generationen davor angestoßen wurde. Dafür braucht diese aber Vorbilder, die ihr Ding durchgezogen haben, auch wenn es sich seinerzeit noch nicht verwirklichen ließ und sie letztlich allein geblieben sind damit und von fast allen verkannt.

Das ist für mich die zeitlose Freiheit des Geistes, die jede Verstandeskraft um ein Vielfaches übersteigt.

Schöner Geistesanstoß! :)

Liebe Grüße
Wodziwob

Falderwald 21.08.2016 18:51

Hallo Wodziwob,

ich hatte deinen Kommentar hier noch gar nicht gesehen, aber auch eine späte Antwort ist eine Antwort. :rolleyes::)

So ein wenig kalte Abgeklärtheit kann eigentlich nicht schaden, denn das Leben ist auch ein Spiel. Da kann ein Pokerface manchmal sehr sinnvoll sein.

Zudem kann die Abgeklärtheit beruhigen helfen, denn wenn man den Unsinn in der (Menschen)Welt betrachtet, könnte einem ja doch manchmal mulmig zumute werden. Da ist auch die Wut nicht unbeteiligt.

Natürlich waren die Blumenkinder nicht alle blauäugig und naiv, sie hatten klare Ziele und Vorstellungen. Sie strebten eine antiautoritäre und enthierarchisierte Welt- und Wertordnung ohne Klassenunterschiede, Leistungsnormen, Unterdrückung, Grausamkeit und Kriege an. Das sind zweifelsohne hehre Ziele, doch gegen die Dogmen des Sozialismus, des Kapitalismus, der Religionen oder anderer Ideologien konnten sie nicht bestehen.

Aber schön wäre es doch gewesen...:Blume:

Ich könnte mir das zum Ende der menschlichen Existenz so vorstellen, wenn alles erforscht und die Technik ausgereizt wäre.
Nur noch weise Philosophen, die sich und die anderen einfach leben lassen.

Heutzutage? Einfach unvorstellbar und genau so unvorstellbar ist es, dass die Menschheit eine solche Existenz jemals er-leben wird.

Die wird auch in tausend Jahren noch an Götter glauben, anstatt an den eigenen Geist. Ist nämlich viel bequemer. ;)


Danke für deine Gedanken zum Thema...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald




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