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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Mit Gram die Stirn gefaltet


Galapapa
09.11.2009, 15:59
Viel zu stolz, um ihre Armut zuzugeben,
zählt sie heimlich vor dem Laden noch ihr Geld.
Deutlich war die Scham in ihrem Blick zu sehen,
sie hat still die Süßigkeit zurückgestellt,
ihr Gesicht trägt Bitterkeit, jedoch kein Flehen.

Viele Jahre Bangen um das Überleben
haben ihr mit Gram die blasse Stirn gefaltet.
Hat nicht viel genommen, näher lag ihr Geben,
nun sind auch schon ihre Sorgen längst veraltet,
während Wünsche in Vergessenheit entschweben.

Schmerzgebeugt, mit ihrem arbeitsmüden Rücken,
stützt sie sich mit gichtgequälten Händen ab,
selbst das Liegen mag ihr nicht mehr richtig glücken,
wahrer Frieden liegt schon lang in einem Grab,
und das Leben bröckelt ab in kleinen Stücken.

Kesselpfeifen reißt sie aus den leeren Träumen,
und der Duft von Tee aus selbst gepflückten Blüten
füllt die Luft in kleinen, viel zu kalten Räumen.
In den leeren Flaschen, eingepackt in Tüten,
sammelt sie Gewissheit, nichts mehr zu versäumen.

Chavali
10.11.2009, 08:02
Lieber Galapapa,

hui, was für eine tragische Geschichte.
Und doch - wievielen alten Menschen in bitterer Armut geht es so.
Hier allerdings sehe ich irgendwie eine Indiofrau vor mir, warum, weiß ich auch nicht, hatte einfach diese Assoziation.
Mit deinem Text rufst du Bilder auf, die ich in Dokumentationen über die dritte Welt schon gesehen habe.
Aber nicht nur dort kann man solchen von Gram gebeugten und resignierten Menschen sehen.
Es gibt sie auch bei uns.

'Technisch' ist dein Werk wieder absolut Spitze.
Es liest sich in diesem speziellen Reimschema auch sehr schön.
Lediglich zwei (Schreib-?)Fehler hab ich entdeckt:
In Strophe 2 werden die Worte Bangen und Geben zum Substantiv in dieser Verwendung,
daher müssen sie groß geschrieben werden.

Lobende und liebe Grüße!
Chavali

Galapapa
11.11.2009, 16:08
Hallo Chavali,
danke für Deinen lobenden Kommentar!
Du hast Recht, von diesen Schicksalen gibt es in unserem sog. Sozialstaat beschämend viele. Menschen, die den letzten Weltkrieg durchleiden und ein Leben lang hart arbeiten mußten am Aufbau, am Ende aber nichts hatten, als ihren Stolz, der sie lieber Pfandflaschen sammeln läßt, als vor einem unfreundlichen Beamten ihre Armut einzugestehen.
Es ist eine Schande, wenn man gleichzheitig sehen muß, wofür manche Milliarden ausgegeben werden...
Mit einem lieben Gruß an Dich!
Galapapa

ruhelos
12.11.2009, 13:29
hallo Galapapa,

ein trauriges Schicksal hast du hier beschrieben. Ein Mensch alt, krank und arm kämpft ums tägliche Überleben. Dein Gedicht liest sich flüssig. Das Reimmuster passt gut zum Inhalt. Du hast hier ein melanchonisches Stimmungsbild geschaffen, das den Leser nachdenklich zurücklässt. Wortwahl und Bilder finden mein Gefallen. Besonders, die letzte Str. hat es mir angetan.

Viele Grüße
ruhelos

Galapapa
12.11.2009, 16:06
Hallo ruhelos,
für Dein aufbauendes Lob hab herzlichen Dank!
Zweiunddreißig Jahre habe ich im Außendienst in der Großstadt gearbeitet und eben diese Schicksale tausende Male gesehen.
Man kann diesen Menschen meist nur schwer helfen, weil sie viel zu stolz sind, Geschenke anzunehmen. Mein Gott, wie sehr kann ich mich da hineinfühlen und mitleiden.
Es ist eine Schande!
Sei ganz herzlich gegrüßt von mir!
Galapapa

Dana
23.01.2010, 16:35
Lieber Galapapa,

abgesehen von der Realität, die so und nicht anders da ist und sich ganz sicher noch ausbreiten wird.
Man kann sich darüber aufregen, solche Bilder für Stimmenfang und/oder als "Egopolitur" benutzen.

Anders dein einfühlsames Gedicht in einer Sprache, die anders berührt.
Man nimmt sich direkt vor, genauer zu schauen.
Es ist nicht immer eine "reißerische" Hilfsaktion angebracht, die die Betroffenen eher beschämt.

Ein Wort, eine Geste, ein Lächeln bewirken manchmal viel mehr, wenn sie echt sind, von Herzen kommen.

Eine "schöne" Traurigkeit, die ich jetzt erst wieder entdeckt habe.

Liebe Grüße
Dana

Galapapa
31.01.2010, 13:41
Liebe Dana,
für Deinen lobenden Kommentar möchte ich Dir herzlich danken!
Auch dafür, dass Du den Text noch einmal "hochgehoben" hast, denn dies gibt mir die Gelegenheit, noch eine überarbeitete Fassung anzubieten.

Überarbeitete Version:


Ihr Stolz wird nie die Armut eingestehen,
so zählt sie heimlich vor dem Laden noch ihr Geld.
In ihren Blicken ist die Scham zu sehen,
sie hat ganz still die Süßigkeit zurückgestellt.

So viele Jahre Angst ums Überleben,
das hat mit Gram die blasse Stirn gefaltet.
Zu nehmen war ihr nie so nah wie geben,
nun sind selbst ihre Sorgen längst veraltet.

Vom Schmerz gebeugt, mit arbeitsmüdem Rücken
stützt sie sich mit den gichtgekrümmten Händen ab,
denn selbst das Liegen mag ihr nicht mehr glücken,
als Hoffnung auf Erlösung bleibt ihr nur das Grab.

Das Kesselpfeifen reißt sie aus den Träumen,
der Duft von heißem Tee aus Kräutern, selbst gepflückt,
erfüllt die Luft in viel zu kalten Räumen,
wo Moderfeuchte die Gemütlichkeit erdrückt.

Es würde mich freuen, wenn ich dazu noch das eine oder andere Feed-back bekommen würde.
Gewidmet ist der Text all denen, die ihr Leben lang hart garbeitet haben, um sich und ihre Familie über Wasser zu halten und die im Alter in eine schreiend unwürdige und unverdiente Armut versinken und dennoch zu stolz sind, diese Ungerechtigkeit bettelnd einzugestehen. In heldenhafter Stille leiden sie ihr Dasein zuende.
Ich habe dies in vielen verschiedenen Ausprägungen gesehen, und es tut mir immer wieder weh...
Mit einem herzlichen Gruß!
Galapapa

Dana
31.01.2010, 14:30
Lieber Galapapa,
dann will ich meinem Vorkommentar gleich gerecht werden: ;)

Ein Wort, eine Geste, ein Lächeln bewirken manchmal viel mehr, wenn sie echt sind, von Herzen kommen.

Die Überarbeitung hat sich "gelohnt". Bin ich in der Erstversion allgemeiner auf die Armut als solche eingegangen, erschließt sich hier dein Anliegen viel persönlicher.
Diese Mütter, Väter und große Geschwister haben/hatten nur eine Aufgabe - sich selbst für das Überleben oder ein bequemeres Sein der anderen fast ganz zurück zu nehmen.

So viele Jahre Angst ums Überleben,
das hat mit Gram die blasse Stirn gefaltet.
Zu nehmen war ihr nie so nah wie geben,
nun sind selbst ihre Sorgen längst veraltet.

Diese Änderung ist stärker. Ich kenne Menschen, die aus Scham nicht einmal offizielle, staatliche Hilfe in Anspruch genommen haben.
Und ja, wie wahr - solche "Sorgen" gelten längst als veraltet. Es gibt nur Anrechte, was ich aber auf keinen Fall verallgemeinern möchte.

Auch die überarbeitete letzte Strophe hat gewonnen, obwohl jede für sich stehen kann. Die leeren Flaschen in Tüten sollten wohl das in Parks und Straßen gesammelte Leergut zur "Rentenaufbesserung" aufzeigen. Ob es jedem Leser klar wurde, weiß ich nicht. (Eine veraltete Sorge;))
Die moderfeuchte, kalte Wohnung betont das Schicksal eindringlicher.
(Den Leergutsammlern kann es durchaus passieren, dass sie verlacht werden oder gar der "Bereicherung" beschimpft werden - weiß ich.)

Die gewählte Rubrik sagt mir, dass du nicht Staat, nicht einzig die Gesellschaft "anprangerst". Oft, sehr oft sind es jene, für die sich die nun alt und krumm gewordene Dame mit ihrem ganzen Sein eingesetzt hast und niemals darauf berufen wird. Ja, das tut weh.

Liebe Grüße
Dana

Galapapa
31.01.2010, 14:57
Hallo liebe Dana,
Deine prompte Antwort hat mich überrascht und sehr gefreut! Trotz Zeitmangels möchte ich dehalb auch gleich antworten.
Ich teile Deine Einschätzung, dass der Text mit der Überarbeitung gewonnen hat, leider wohl auch dehalb, weil die "Reimerei" im ursprünglichen Text eben auch Reime mehr oder weniger erzwungen hat. Da habe ich dazugelernt.
Du hast auch vollkommen recht mit der Annahme, dass viele Leser das mit den Pfandflaschen nicht verstanden haben. Da muß ich Dir ein Kompliment machen. Du warst wirklich "drin" im Text.
Also, vielen Dank für Deine Antwort!
Und sei ganz herzlich gegrüßt von mir!
Galapapa

Falderwald
02.02.2010, 08:18
Hallo Galapapa,

zum Inhalt deines Gedichtes ist jetzt schon fast alles gesagt worden, so daß ich darauf nicht mehr näher eingehen möchte.

Ich will dir aber mitteilen, daß der Text durch die Überarbeitung viel gewonnen hat.
Vom Trochäus in den Jambus zu wechseln, lässt den Leser wesentlich flüssiger durch deine Zeilen gleiten, das finde ich gelungen.

In meiner alten Heimat gab es eine alte Frau, die war bei Wind und jedem Wetter mit einem alten, klapprigen Fahrrad unterwegs.
Sie durchsuchte auch jeden Müllcontainer nach Leergut, welches sie eintauschen konnte.
Viele Geschäfte haben sie abgewiesen und doch hat sie nie aufgegeben.
Ich erinnere mich daran, daß sie auch mit einem platten Reifen unterwegs war, denn sie brauchte das Fahrrad, um die ganzen Taschen zu transportieren.
Durch dein Gedicht werden mir diese Bilder ins Gedächtnis gerufen.
Und diese alte Dame hatte auch noch ein Herz für Tiere, denn sie hatte stets ein Beutelchen mit Brotkrumen dabei, welche sie an die Tauben verfütterte.
Deshalb hatte sie auch den Spitznamen "Taubenoma".

Meine Güte, wenn ich daran denke, wie sie sich abgeplagt hat.
Ich sehe sie noch, wie sie ihr vollgepacktes Fahrrad im dicksten Schneetreiben einen langen Berg raufgeschoben hat...

Manchmal fragt man sich wirklich, welches Schicksal ein solcher Mensch erlitten hat.

Das hast du mit deinem Gedicht gut und anschaulich dargestellt.


In diesem Sinne gerne gelesen und kommentiert...:)


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald

Galapapa
02.02.2010, 17:15
Hallo Falderwald,
herzlichen Dank für Deinen lobenden Kommentar.
Es war für mich sehr wichtig, noch Meinungen zu meiner Überarbeitung zu bekommen, und so war Deine Antwort ein wichtiger Beitrag für mein Lernen. Schade fand ich, dass bei der Überarbeitung die Sache mit den Pfandflaschen auf der Strecke geblieben ist.
Ja, weiß Gott, jeder kennt eine oder mehrere von diesen "Taubenomas". Ich bewundere diese Menschen ob ihrer Kraft, weiter zu machen bis zum bitteren Ende...
Mit einem herzlichen Gruß an Dich!
Galapapa