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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Nachtvisionen


Erich Kykal
20.10.2009, 10:21
Heut ballt des Himmels wolkener Saum
wie aufbegehrend die grauen Hände,
als schlüge sein Wogen bemerkbar kaum
ans Ragen der glühenden Abendwände.

Darunter verfangen im leeren Geäste
des Waldes sich Dunkel und Schattenfall.
Sie ängsten des Tages verbleichende Reste
und jagen sie westwärts von Tal zu Tal.

Hoch finstern die Bäume! Darunter her
entweicht schon die Nacht ihrer Erde
und schwillt wie ein flutendes Wattenmeer
bis hin an die flackernden Herde.

Dort hören die Seelen im Feuerschein
die dröhnenden Nachtwinde rauschen
und lassen ihr flatterndes Furchtsamsein
dem Herzschlag der Dunkelheit lauschen.

Doch manchmal ist einer, der zieht hinaus,
die Nacht und sich selbst zu erleben!
Er wirft seine Sinne ins schwarze Gebraus
und erntet ihr trotziges Beben.

Da wächst ihm ein einsames Anderssein
im düsteren Fauchen und Singen!
Von nun an weiß er: Der Mensch ist klein,
und groß nur sein ewiges Ringen.

Leier
20.10.2009, 10:37
Oh, Erich Kykal!

Man könnte meinen, Du hättest mich auf einem längst vergangenen Sturmnachtspaziergang begleitet und meinen Empfindungen gelauscht!

Gelänge es mir nur, sie in solch zaubrische Worte zu kleiden wie Du!

Bewundernd:
cyparis

Erich Kykal
20.10.2009, 15:57
Hi, cypi!

Danke für die "zauberischen Worte"! Übrigens, dass du das sehr wohl kannst, zeigt mit die 3. Strophe des jüngst von mir kommentierten Gedichts, "Das Lied", glaube ich. Welch wunderweiches Worteweben, wenn dir der Stabreim nicht zu platt ist!

Zum Text: Als Knabe oder Jüngling (neudeutsch: Teenager) bin ich gern viel spazierengegangen, weil ich ein Einzelgänger war - ich wollte dem fortwährenden Mobbing meiner Altersgenossen entgehen.
Mitternachtsrunden bei Vollmond, aber vor allem Waldwanderungen, auch zu Felsformationen, die die Gipfel des Mühl- und Waldviertler Rumpfschollengebirges markieren.
Sturmnächte waren die Mutprobe für so eine junge Seele. Natürlich musste ich heimlich "verschwinden". Meine Eltern haben mich aber nie erwischt. Sie haben es nie erfahren.

LG, eKy

Dana
27.10.2009, 18:51
Lieber eKy,
ich kann nur sagen: Schaurig schön.
Besonders, weil ich ebenfalls von Kind an diesem "einsamen Anderssein" mit "Wonne" erlegen bin. So sehr ich mich gefürchtet habe, so sehr zog es mich an.
Ich lauschte mit Vorliebe den Stürmen. Weil ich nur selten ungesehen davon schleichen konnte, ließ ich der Phantasie freien Lauf.

Ganz ehrlich - so wirklich gefürchtet habe ich mich nie.
Einmal hielt ich mich bei Sturm und Hagel in der Feldmark auf. Der Sturm war so stark, dass ich am See ein Stück auf allen Vieren gegangen bin, um nicht in einen angrenzenden Graben geweht zu werden.

Deine herrliche und bildreiche Verdichtung hat mich in dieses und andere Erlebnisse zurückgeführt.

Liebe Grüße
Dana

Erich Kykal
29.10.2009, 12:36
Hi, dana!

Danke für deine ermutigenden Worte! Ja, Faszination der Gewalt, der puren Macht der Natur, das Aufgehen im Reigen, das Sichausliefern an diesen Sinnestaumel....
Ich hab dazu wohl schon mehrere Gedichte geschrieben - immer wieder faszinierend!

LG, eKy

Lord Skarak
29.10.2009, 15:27
Nun, der Text ist, auch wenn seine Metrik viele Unregelmäßigkeiten aufweist, sehr angenehm zu lesen, in aller Komplexität die er an diversen Stellen aufweist. :)
Wann hast Du diesen Text geschrieben, wenn ich fragen darf? Mir kommt er etwas älter vor, aber ich schließe das auch bloß aus der Metrik. Es kommt mir so vor, als sei Dein Gefühl dafür zur Zeit des Schreibens noch nicht so ausgeprägt gewesen. Falls das aber nicht so sein sollte, dann bestätige mir einfach dass errare humanum est.

Zum Text an sich:

Meine Lieblingsstellen sind:

Dort hören die Seelen im Feuerschein
die dröhnenden Nachtwinde rauschen
und lassen ihr flatterndes Furchtsamsein
dem Herzschlag der Dunkelheit lauschen.

Donner als Herzschlag der Dunkelheit. Feuerschein. Seelen lassen ihr flatterndes Furchtsamsein dem Puls der Natur lauschen. Das ist in meiner Empfindung Poesie. Und gerade hier ist der Rhythmus auch gut gestimmt, er bringt mir den Herzschlag nahe.

Da wächst ihm ein einsames Anderssein
im düsteren Fauchen und Singen!
Von nun an weiß er: Der Mensch ist klein,
und groß nur sein ewiges Ringen.

Ja. Der Mensch zieht in den Sturm hinaus und fürchtet ihn nicht, weil er ihn aus seinem inneren kennt, der Sturm stülpt ihm seine Seele nach außen, er steht mitten in ihr und in sich selbst. Hier spricht der letzte Rest lyrischer Genialität unserer Zeit.

Doch manchmal ist einer, der zieht hinaus,
die Nacht und sich selbst zu erleben!

Ja.

Knickende Grüße,
Skarak

Erich Kykal
30.10.2009, 07:56
Hi, Skarak!

Ich hoffe, dich nicht zu enttäuschen, wenn ich gestehe, dass dies heuer entstanden ist, genaugenommen vor zwei Wochen!
Um Metrik habe ich mich nie explizit geschert, solange es sich beim Lesen nur gut ausgeht. Oft ist mir ein gewisses Ungleichgewicht sogar recht, um Spannung aufzubauen oder Dynamik zu erzeugen!
Manchmal also mag der Kenner mich zurecht des mangelnden Regelmaßes zeihen, doch da ICH kein "geschulter" Lyriker bin, habe ich mir nichts vorzuwerfen - und will es auch gar nicht.
Vielen Dank für den "letzten Rest Genialität" - das hast du sehr schmeichelhaft formuliert! Umso schöner, wenn es jemand sagt, dessen Meinung ich schätze.

LG, eKy