Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Der verlassene Hof
Erich Kykal
18.12.2016, 11:36
Es ist so kalt in diesen greisen Mauern,
verlebt, entraten ihrem treuen Zwecke.
Im Zimmer sickert Wasser von der Decke,
und in den Ecken sieht man Reste kauern
von manchem, welches jenen, die hier lebten,
Bedeutung trug und einen Sinn erfüllte,
eh trübes Schicksal es in Dunkel hüllte
mit allem, was die Nutzer einst erstrebten.
Und mit den Überbleibseln sintert alles,
was diesen Ort bestimmte, aus dem Rahmen
erlebter Zeit und ihres Widerhalles,
und meine Sinne tragen mich ins Grübeln,
was letztlich bleibt von allen unsern Dramen,
den Segnungen wie auch den großen Übeln.
Lieber eKy,
mir fiel gleich nach dem Lesen eine Antwort ein:
Es bleibt eine ganze Menge, wenn man die Dinge (Höfe, Plätze, Paläste, einzelne Bäume, Gedichte oder Fotos) mit Gedanken und Gedenken betrachtet. Wenn man obendrein noch Poet ist, dann wird aus den Dingen am Ende noch mehr, als da nur geblieben ist.
Man hat die Freiheit, sich jene Dramen, Segnungen und Übel in "Eigenregie" vorführen zu lassen. Dein Sonett ist diesem Falle die Overtüre dafür.:)
Ein wunderschönes Sonett in einer künstlerisch erhabenen Sprache.
Liebe Grüße
Dana
Erich Kykal
18.12.2016, 19:58
Hi Dana!
Mag sein, für kurze Zeit, aber letztlich macht die Zeit alles platt!
Vielen Dank für deine ermunternden Gedanken in zeitnahem Bezugsrahmen! :)
LG, eKy
Angelika
19.12.2016, 07:38
Ja, Erich, leider wahr - alles geht irgendwann den Bach runter. Der Zahn der Zeit nagt an den festesten Mauern. Was heute noch propper in der Landschaft steht, kann morgen schon Ruine sein. Ich hätte mir bei diesem Thema eine weniger gehobene Sprache gewünscht, eher eine etwas mehr diesseitigere, das würde auch der Intention des Gedichts entsprechen. Aber zu "entraten" mal eine kleine Anmerkung: Dieses Wort wird im Sinne von entbehren gebraucht, genitivisch, zum Beispiel so: "einer Sache nicht entraten können". Das müsste dann auch "ihres treuen Zwecks" heißen, also nicht Dativ.
Aber ich halte das Wort in diesem Zusammenhang sowieso nicht für sehr glücklich.
Angelika
Erich Kykal
19.12.2016, 16:42
Hi Angelika!
Da liegst du aber reichlich daneben, was deine Definition des Begriffes angeht!
Wenn etwas "entraten" ist, meinte man ursprünglich primär "nicht GEraten" im Sinne von "nicht wohlgeraten", also quasi "ungelungen". Im weiteren Sinne meint es eine Abweichung ins Negative, Sinnfremde, zB ein "entratenes Kind" für "nicht wohlerzogen". Die nächste Steigerung des Bildes wäre das von den Nazis so gern missbrauchte Wort "entartet" in Bezug auf ihnen missliebige Kunst.
Im Sinne von "entbehren" - diese Deutung habe ich noch nie gehört, und ich halte sie auch für falsch.
Der Dativ dazu erscheint mir korrekt: "eine Sache, ihrem Zweck entraten".
LG, eKy
Kokochanel
21.12.2016, 10:31
Guten Morgen, Erich,
mich spricht dieses Werk besonders an, erstens das Bild des alten Hofes, das ich aus persönlicher Lebenserfahrung kenne und zweitens die Aussage- und so lese ich es- dass alles Materielle, Zweckgebundene eines Lebens irgendwann erstirbt, verfällt. Nämlich dann, wenn die, die den Hof mit Leben füllten, denen er wichtig war, versterben.
Mir ging es so, als ich "das Archiv" meines ersten Mannes entsorgen musste, es war sein Heiligtum. Zig Kisten mit Daten aus Jahrzehnten, die er über Sportler zuammengetragen hatte. Er war einer der anerkanntesten Leichtathletik-Journalisten in Deutschland und immer wieder griff er auch für seine Artikel auf sein Archiv zurück.
Es schmerzte mich unglaublich, als ich es endlich nach zwei Jahren forträumte. Für mich war es nur ein Haufen Papier. Aber- und das ist der Punkt- etwas fortzuräumen oder um im Bild des Hofes zu bleiben, verfallen zu sehen, was einem anderen Menschen sehr wichtig war, das geht voll ins Herz.
Darum geht mir dein Werk sehr nahe und ich meine genau das darin zu lesen.
Zum Wort entartet meine ich auch im Sinne von "entsagen", dem ursprünglichen Sinn entsagt, dass es mit Dativ richtig ist. Des Sinnes enthoben, was man auch sagen könnte, ist dann wieder mit Genitiv.
Ich wünsche dir, Erich und allen Mitgliedern dieses Forums eine schöne Weihnachtszeit.
Erich Kykal
21.12.2016, 16:30
Hi Koko!
Als ich als Bub zum Teil hier im Mühlviertel aufwuchs, in den späten 60er und den 70er Jahren, gab es in der Umgegend noch so manche verfallene alte Höfe, die ich als Kind mit damaligen Gefährten erforschte und in denen wir - natürlich ohne Wissen unserer Eltern - spielten. Wir fanden mumifizierte Rehskelette, verrostete Sicheln und anderes Bauerngerät, dessen frühere Verwendung wir nicht immer herausfanden.
Ich machte mir in all dem schimmelig-feuchten Muff aber immer darüber Gedanken, wer wohl einst dort gelebt haben mochte, als noch unzerbrochenes Glas in den Fenstern war, die Stuben sauber, trocken und warm! Ein zerbrochenes Zuhause ist wie ein verratenes, geschändetes Lebenswerk!
Seltsam, wie der Mensch denkt, denn den Verschiedenen war es bestimmt egal.
Heute sind all diese alten Gemäuer übrigens restauriert und wieder bewohnt!
LG, eKy
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