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badico
12.01.2016, 19:47
Köln, 10.09.2001


Mein Liebling,


eine schwierige Zeit liegt hinter uns, und ich weiß, dass auch die nächsten Wochen und Monate nicht einfacher werden. Aber ich fühle es! Es ist einfach an der Zeit Dir Danke zu sagen. Danke für die vielen Jahre an Deiner Seite, für die Liebe die Du mir gibst. … die wir teilen!
Es war bestimmt nicht immer leicht für Dich, mit mir, dem verdrehten Künstler zu leben. Mit meinen so gegensätzlichen Seiten. Introvertiert, bis hin zum Eremitentum in den Schaffensphasen und mehr als extrovertiert, beinahe exhibitionistisch, in den Zeiten nach der Vollendung eines Bildes.
Es gab nur selten ein Dazwischen, ich weiß wie anstrengend ich bin und dennoch hieltest Du durch.
Wegen mir hast Du Dich damals mit Deiner Familie überworfen.
Der Sohn aus gutem Hause, mit abgeschlossenem Jurastudium, outet sich als homosexuell und liebt diesen schrillen Nichtsnutz mit künstlerischen Ambitionen.
„Lass ihn fallen!“, haben Deine Eltern damals gesagt. „Es ist nur eine Phase nach Deinem anstrengenden Studium. Lebe es aus und dann werde wieder normal! Er ist ein Nichts und wird niemals etwas werden. Wie sollte er auch, ohne sicheren Beruf, ohne sozialen Stand?“
Dir war mein Stand egal!
Du hast meine Bilder gesehen und Dich in sie verliebt und erst dann in mich, wie Du mir später gestanden hattest.
Wer konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass es einmal so grundlegend anders werden würde?
Ich bestimmt nicht!
Aber Du!
Du hast wie ein Besessener an mich geglaubt. Mich in den Momenten aufgebaut, in denen ich alles hinschmeißen wollte. Ich weder Geld für Farbe noch für Leinwände hatte, geschweige denn für etwas zu Essen im Kühlschrank. Ich kann es bis heute nicht fassen, kann Dir nicht sagen wie wichtig Dein Rückhalt, Dein uneingeschränkter Optimismus für mich war. Du hast den Lebensunterhalt für uns beide verdient, hast Dich nie beschwert.
Oh, ich höre noch die Telefonate, als Du Dich noch verpflichtet fühltest Dich zu rechtfertigen, Du beinahe verzweifelt versucht hast, Dich zu erklären, Deine Gefühle für mich zu erklären, Deinen Glauben an mich. Nein - Deine Gewissheit!
Die Menschen um Dich herum, sie haben es nie verstanden, nicht wahr?
Unsere Liebe lag so weit außerhalb ihres kleingeistigen Verstandes.
Sie waren so festgefahren in ihren Ansichten, in ihrem Weltbild. Künstler war für sie ein Schimpfwort, kein Beruf.
Ich wette in ihrer Fantasie gab es nur schlichtes schwarz oder weiß. Eventuell noch verschiedene Grautöne, doch alles Bunte, alles Lebendige war ihnen fremd. Es machte ihnen dermaßen Angst, dass sie Dich ziehen ließen. Dich, den wunderbarsten und kostbarsten Sohn, den unglaublichsten und liebevollsten Menschen.
Wenn ich Dich ansehe, sehe ich Licht. Immer und immer wieder habe ich versucht es zu malen. Und es will mir einfach nicht gelingen, Dein Leuchten zu fassen.
Ich verzweifle an den Versuchen etwas Perfektes mit unzureichenden Mitteln auf diese Leinwand zu bannen. Es gibt keine Textilstruktur, keine Farbe, egal ob Öl, Acryl, oder einfache Kohlestifte, es gibt keinen Weg Dich so wiederzugeben, wie mein Herz Dich sieht. Meine Finger werden wund, wenn ich versuche mein unzureichendes Talent zu zwingen, Dich in Deiner wahren Person einzufangen.
Mein Geliebter, mein einzigartiger, wunderbarer Geliebter! Verzeih mir meinen Dilettantismus, mein Unvermögen. So viele Bilder von mir in Galerien und Museum rund um den Erdball, doch die Bilder dieser speziellen Ausstellung im MET werden Dir nicht gerecht. Egal wie sehr die Presse sie lobt, denn sie alle sehen nicht, was ich sehe. Sie betiteln Dich als meine Muse, meinen Ruhepol, als den Mann hinter dem kreativen Geist.
Sie sehen ja nicht was ich sehe, sie sehen nicht was fehlt, was nicht auf Leinwand zu bringen ist, egal wie sehr ich es versuche. Deine Loyalität und Dein immerwährender Rückhalt. Deine unglaubliche Liebe zu mir, die so wunderbar ist, so rein.
Wie können sich meine Bilder daran messen?
Sie sind nichts im Vergleich zu Dir.
Nicht vollkommen!
Alles nicht perfekt! Unbrauchbar! Und hättest Du mich nicht überzeugt, dem Museum diese Bilder zu überlassen, ich hätte sie verbrannt und es immer und immer wieder von vorne versucht.
Als ich es Dir erzählt habe, hast Du nur gelächelt, hast mich in Deine Arme geschlossen, wie Du es immer tust, wenn die Zweifel mich überfallen.
Du bist mit mir zusammen an den Bildern vorbeigegangen.
Vor jedem Einzelnen bist Du stehen geblieben, hast mir erzählen können wann und wie es entstanden ist.
Hast gelacht: „Es ist eine Galerie der verstreichenden Jahre. Ich sehe, wie meine Falten mehr werden!“
Wenn ich Dich ansehe, dann sehe ich keine Falten, dann sehe ich Liebe. Ich sehe Wärme in der ich bade. Ein starkes Band, ein Vertrauen, das mich im Hier und Jetzt hält. Eigentlich ist es in Wirklichkeit Deine Hand, die meine Kunst auf leere Leinwände bringt, die den Pinsel führt damit das entstehen kann, was in mir ist.
Was bin ich ohne Dich?
Wo wäre ich heute ohne Dich?
Wahrscheinlich würde ich mit Kreide, Bilder in irgendeiner Fußgängerzone auf den Bürgersteig malen. Einen Pappbecher neben mir, mit der Bitte um ein paar Cent.
Dass es heute anders ist, ist Dein Verdienst. Wir leben noch immer in dem alten Haus, das wir umgebaut haben, damit ich ein großes, helles Atelier habe. Wir könnten heute überall in dieser Welt leben, mit Appartements in jeder berühmt, berüchtigten Stadt, wo sich der Boheme trifft. Ich will nicht woanders hin, will nie woanders sein, als da wo Du bist und Du liebst diese Stadt.
Also bleibe auch ich hier, hier wo mein Anker ist, mein Herz.
Es fällt mir schwer zu gehen. Ich will nicht fliegen, auch wenn das Museum mit mir angeben will, wie Du es so schön nennst.
Am liebsten würde ich nörgeln, wie ein kleines Kind. Warum kommst Du nicht mit? Blödes Timing ... Ich will nicht ohne Dich nach New York, lieber bleibe ich bei Dir. Außerdem bist Du das Motiv dieser Bilder. Ist das nicht wichtiger, als nur derjenige zu sein, der das Glück hatte ein wenig Talent in die Wiege gelegt zu bekommen? Dass ich es kann, habe ich mir nicht ausgesucht, zu etwas besonderem hast erst Du es gemacht.
Wenn ich kommende Woche zurück bin, müssen wir schon nach London für die nächste Ausstellung in der Tate Gallery, aber immerhin wirst Du dann an meiner Seite sein.
Du schläfst noch, also lege ich diesen Brief hier einfach neben Dich aufs Kopfkissen.
Stellvertretend werde ich ihn küssen, damit ich Dich nicht aufwecke.


Ich liebe Dich, ich liebe Dich so sehr!


Dein


Joshua














Deutscher Künstler bei Angriff auf das World Trade Center getötet


Wie das Auswärtige Amt bekannt gab, ist der bekannte deutsche Maler Joshua Weber ebenfalls Opfer der Terroranschläge geworden. Als Gast des Metropolitan Museums of Modern Art, war er im Marriott Hotel im WTC3 untergebracht. Zwar wurden nach Angaben des Hotels alle Gäste rechtzeitig evakuiert, doch half der beliebte, deutsche Künstler der Feuerwehr bei ihrem Rettungseinsatz. „Er wollte einfach nicht tatenlos zusehen, wie Menschen sterben“, wird ein Angestellter des Hotels zitiert. Seine Ausstellung im Museum wird dennoch weitergehen: „Um einen großartigen Künstler und Menschen zu würdigen“, sagte der Museumsdirektor.






Köln 21.04.2002


Geliebter Joshua,


wie konntest Du nur? Wie konntest Du es nur wagen mich alleine zu lassen? Mit diesem Brief, mit einem letzten Kuss, den ich noch nicht einmal spüren durfte! Warum nur habe ich Dich alleine fliegen lassen? Hätte ich es verhindern können? Oder wären wir beide gestorben, was momentan der größere Trost wäre.
Was soll ich denn nun tun ohne Dich? Du warst mein Lebensinhalt, das Elixier, das ich brauchte. Erst Deine Kunst machte mich lebendig. Was bin ich ohne Dich? Eine leere Hülle. Deine Farben waren es, die mich erweckten, mich zu dem machten, der ich bin. Durch Dich konnte ich mich spüren, merken, wer ich wirklich war. Sah mein Ich, durch Deine Reflexion. Du warst mein Spiegel.
Wie soll ich weiterleben mit diesem Loch in mir, dort wo Du sein müsstest? Mit diesen losen Fäden an deren Ende Du einst warst?
Ich breche zusammen, bin zerstört, genauso wie diese Türme, die Dich begruben. In mir ist kein Halt mehr. All diesen verschiedenen Facetten unseres Lebens, die wie sichere Mauern wirkten, fehlt nun das Fundament. Sie bröckeln, sind locker, ohne jeden Zusammenhalt.
Meine Eltern waren auf Deiner Trauerfeier, sie wollten mit mir reden. Mit mir besprechen, wie es weiter geht. Als ob sie es wüsten, als ob sie eine Plan hätten, wie ich ohne Dich weitermachen kann.
In die Kanzlei meines Vaters ...
Niemals! Niemals!
Du hast recht, sie haben es in den vergangenen zwanzig Jahren nicht verstanden, und verstehen es bis heute nicht, dass Du mich nicht von meiner „Karriere“ abgehalten, sondern mir einen neuen Weg geschenkt hast.
Du hast mich gerettet in mehr als nur in einer Art und Weise.
Keine Lügen, kein Theater spielen vor anderen Menschen, um deren Norm zu entsprechen, den Erwartungen meiner Eltern, meiner Umwelt. Maler ist kein Beruf? Nein, da hatten sie sogar Recht. Was sie nicht verstanden haben, dass es nicht nur ein Beruf sondern Deine Berufung war. So unendlich viel mehr, als lediglich eine Arbeit, der man nachgeht, um zu leben. Die Farben, die leeren Leinwände, die darum bettelten von dir gefüllt, von Dir erweckt zu werden, das war die Wirklichkeit. Deine Intuition und Deine Genialität war mehr Vitalität, mehr Spaß am Leben, als ich es jemals zuvor gespürt habe. Das Malen war Deine Berufung, Du die meine!
Du glaubtest wirklich, das Leben mit dir war anstrengend?
Keine Sekunde lang. Ich habe es geliebt, an jedem einzelnen Tag. Was kann für einen Mann erfüllender sein, als hinter dem Menschen zu stehen, den er liebt? Ihn wachsen zu sehen, an Größe gewinnen. Es war unendlich befriedigend für mich zu erleben, wie Du den Platz einnahmst, der dir gebührte!
Und, oh - wie unglaublich anregend war es dir Model zu stehen, wenn Dein Körper mir verriet, wie sehr Du mich liebtest.
Schon wieder fallen meine Tränen aufs Papier.
Nie wieder, nie wieder wird es so sein. Wie soll ich das überstehen?
Du glaubst wirklich, ich war Dein Licht?
Dann warst Du das meine! Ein Leuchtturm auf hoher See. Eine Kerze die von zwei Seiten brannte. Deine unendliche Energie, die mich mitzog. Du gabst mir Flügel, damit ich an Deiner Seite das Fliegen lernte und schenktest mir Wurzeln, um in mir zu ruhen, damit ich für Dich in Momenten da sein durfte, wo Du nicht für Dich selbst sorgen konntest. Wenn Du versunken warst in Deinen Visionen.
Deine Bilder sind Dein Vermächtnis an mich, sind Dein Vermächtnis an eine Welt, die sich nun ohne Dich weiter drehen muss.
Die Welt wird es überstehen, doch wie soll ich es? Wo ist mein Weg?
Du warst der Stern, dem ich folgte. Warst wie ein Pol, auf den ich mich einnordete. Jetzt bin ich nur noch eine Kompassnadel die sich verzweifelt in ihrer Windrose dreht. Es gibt kein Ziel, keinen Stern mehr, der mich führt.
Morgen muss ich nach New York, Deine Ausstellung auflösen. Die Bilder verpacken und wieder zurück nach Hause schicken.
Nach Hause ... es gibt kein zu Hause mehr ohne Dich.
Ich fürchte mich so vor diesem Augenblick.
Wenn ich mich wieder mit Deinen Augen sehe und weiß, ich werde nie wieder so sein.
Ich war noch nicht einmal mehr in Deinem Atelier seit dem Du ...
Und dennoch werden es einzig Deine Bilder sein, die mich die Jahre ohne Dich durchstehen lassen. Ich verspreche Dir, ich werde der Welt zeigen, wie wertvoll Du warst, wie begnadet, wie kostbar und einmalig.
Die Summen, die für Deine Kunst geboten werden, sind mittlerweile astronomisch. Es ist so makaber, so zynisch, doch verdienst Du jeden einzelnen Cent und noch viel mehr.
Ich werde in Deinem Namen eine Stiftung errichten, die jungen Künstlern die Chance geben wird, sich zu finden, in Ruhe zu wachsen. Mit einem Wohnheim für die, die es brauchen.
Vielleicht schafft es ja diese Umgebung ihnen ebensolche Ruhe zu spenden, die ich Dir durch meine Nähe geben durfte. Die Unabhängigkeit, die ein Künstler braucht, um wahrhaftig zu sein.
Deine Bilder werden weiterhin in den Galerien und Museen dieser Welt geliebt werden. Zusammen mit diesen jungen, unverbrauchten Künstlern, wird Dein Name unsterblich werden.
In meinem Herzen bis Du es ...


Ich liebe Dich und werde Dich, bis zu dem Moment an dem wir uns wiedersehen werden, unendlich vermissen.
Ich weiß, es wird geschehen. Irgendwann wird unser Licht wieder gemeinsam leuchten.


Vergiss mich nicht, dort, wo Du nun bist. Hoffentlich haben sie genug Farben für Dich und viele Leinwände, die Du füllen kannst.


Dein zutiefst trauriger


Mark