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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : die Tochter


Christian Wolf
24.01.2013, 18:54
Es geht auf sieben Uhr zu, das Pendel schwingt hin und her.
Bald wird der Kuckuck rufen.
Die weiße Zimmertür geht auf und eine Frau mittleren Alters betritt den Raum. Sie wird mit dem Plattenspieler beginnen und das Grammophon von innen nach außen reinigen, danach wird sie die Bücher und Regale abstauben und zum Schluss das Bett neu überziehen. Sie wird das immer tun müssen, sonst kann doch die Tochter nicht mehr zurückkommen, denkt sie sich.
Der Kuckuck ruft.
Sie ist gerade rechtzeitig fertig geworden, schließt die Zimmertür und geht die Treppe hinunter.
Der Vater sitzt bereits bei Tisch. Es ist diese Krankheit, er sitzt und wartet auf das Essen. Früher haben wir immer um diese Zeit gegessen, jetzt essen wir um acht. Es ist die Kuckucksuhr die seine Schritte lenkt, die Zeit an die er sich angelebt hat.
Der Zug rauscht vorbei, die Tochter muss schon unterwegs sein. Sie stellt den Kaffee auf, damit der Vater aufhört zu schimpfen, und nimmt für ihn Koffeinfreien, damit das auch so bleibt.
Die Mutter setzt sich zum Vater. Er weiß nichts mehr von den aktuellen Ereignissen, aber seine Tochter kann er nicht vergessen, sie war ihm stets das Wichtigste.
Er beginnt über sie zu sprechen, nach einer Weile schwillt es aber eher zu einem lauten Brabbeln an.
Er sagt: „Sie ist so ein liebes Mädchen, andere rauchen doch auch“.
Die Mutter umarmt ihn, er ist nicht mehr der Sturkopf der er einst war.
Die Familie fällt auseinander, die Familie war das einzige, das sie je besessen hat und das einzige, auf das sie je stolz gewesen ist.

Die Tochter wird gehen und nicht mehr zurückkommen, der Vater aber, ist schon gegangen.